Unglücksrabe: „Jetzt aber naht sich das Malör, Denn dies Getränke ist Likör“ (Bild aus Wilhelm Buschs „Hans Huckebein, der Unglücksrabe“, 1867/68). Foto: Wikipedia commons/Wilhelm Busch

Die Deutsche Post fragt die Deutschen jedes Jahr wie glücklich sie sind. Wir stellen die Frage einmal andersherum. Denn Glück ist vergänglich, Unglück dagegen ein verlässlicher Begleiter. Was sagen Philosophen und Dichter dazu? Und vor allem: wie nehmen wir das Leben trotzdem leicht?

Stuttgart/Bonn - Alle reden vom Glück – auch die Post. Zum siebten Mal gibt die Deutsche Post DHL Group den „Glücksatlas“ heraus. Wie schon in den letzten Jahren trotzen die Deutschen Flüchtlingskrisen, Terrorängsten und Kriegstrommeln. Glaubt man dem „Glücksatlas 2017“ sind sie so glücklich wie nie – und werden immer glücklicher. Sie verdienen gut und haben (die meisten jedenfalls) ein gesichertes Leben. Auf einer Skala von null bis zehn liegt die Zufriedenheit der 82,7 Millionen Bundesbürger bei 7,07 Punkten.

Im Norden lebt’s sich zufriedener

Glück ist auch eine Frage der Geografie und Mentalität. Am zufriedensten sind die Schleswig-Holsteiner (7,43), gefolgt von Hamburgern und Badenern (beide 7,28). Die Württemberger liegen mit 7,14 auf dem elften Platz. Ostdeutsche sind insgesamt mieser drauf als Westdeutsche: Sie liegen auf der Glücksskala abgeschlagen auf den Rängen 14 bis 19.

Gelingendes Leben?

Jeder will, dass sein Leben gelingt und es glücklich ist. Obwohl jeder genau weiß, dass Glück nicht von Dauer ist und ein Unglück selten allein kommt. Irgendwann macht man die Erfahrung: Ist ein Wunsch erfüllt und das Streben befriedigt, wähnt man sich für kurze Zeit glücklich, doch schon bald kehrt der Drang nach mehr zurück.

Besser unglücklich als glücklich?

Warum also drehen wir den Spieß nicht um und fragen etwas provokativ: Ist es nicht besser (hin und wieder) unglücklich zu sein? Wer mit einer gehörigen Portion Pessimismus durchs Leben geht, den werden Rückschläge nicht so schnell umhauen.

Wenn Geld glücklich macht, macht noch mehr Geld dann nicht noch glücklicher? Gesund zu sein ist ein Geschenk, doch dieser Zustand ist nicht von Dauer. Jeder wird einmal krank – und muss sterben. Dieses unvermeidliche Schicksal kann bedrohlich wirken und dem Genuss der einem verbliebenen Zeit im Wege stehen.

Philosophen, Dichter und Psychologen haben sich viele Gedanken gemacht, was Unglück ist und warum es (manchmal) besser ist unglücklich zu sein als glücklich. Wir zeigen Ihnen in zehn Schritten, wie das geht.

1. Auch Unglück will gelernt sein

Die 1983 veröffentlichte „Anleitung zum Unglücklichsein“ des Wiener Psychologen Paul Watzlawick (1921-2007) ist ein Klassiker der Misanthropen-Literatur. „Unglücklich sein kann jeder; sich unglücklich machen aber will gelernt sein“, lautet Watzlawicks Maxime. Doch von nichts kommt nichts. Das gilt auch für den Pessimismus, welcher der ständigen Übung bedarf. Watzlawicks Anleitung vermag jeden in tiefes Unglück stürzen, der sich fest an die Anti-Ratschläge hält, falls er es unbewusst nicht sowieso schon tut.

Tipp: Kosten Sie jeden der letzten schönen Herbsttage aus und tanken Sie neue Kraft und Energie, um vorzubeugen. Denn bekanntlich kommt ein Unglück selten allein.

2. Alles schwernehmen

„Was kann man nun von einem Menschen . . . erwarten?“ fragt der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski 1821-1881) in seinem Roman „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“. Man könnte ihn mit allen Erdengütern überschütten, ihm die Last des Krankwerdens und der Mühsal nehmen. Und doch wird er, der eigentlich glücklich sein müsste, sich für den Unglücklichsten aller Menschen halten. Andererseits: Die Sorge ums tägliche Brot und Mühsal des Tages Last lassen den Menschen kaum Zeit, um über sein Unglück nachzudenken.

Tipp: Nehmen Sie sich Zeit und gönnen sich den Luxus, um ausgiebig über Ihr Schicksal nachzudenken. Dann werden Sie auch viel Gutes darin erkennen.

3. Wissen anhäufen

„Alles in der Welt lässt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen“, schreibt Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832). Im ersten Teil seiner Tragödie „Faust“ lässt der Dichter sein Alter Ego Dr. Heinrich Faust akklamieren: „Da steh ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor . . . Es möchte kein Hund so länger leben!“

Tipp: Machen Sie es nicht wie Doktor Faust. Beschweren Sie Ihr Hirn nicht mit allerzuviel Unnützen, bis Sie den Wald voller Bäume nicht mehr sehen. Sprich: Vor lauter Wissen den Durchblick vollends verlieren.

4. Den Glauben ablegen

Blaise Pascal (1623-1662) war wie nur wenige mit Geistesgaben gesegnet – und doch oder gerade deswegen tief unglücklich. „Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“, war der französische Mathematiker und Philosoph überzeugt.

„Der Mensch ist weder Engel noch Tier, und das Unglück will es, dass, wer einen Engel aus ihm machen will, ein Tier aus ihm macht“, schreibt er in seinen Tagebuchaufzeichnungen „Pensées“. Den am Leben Verzweifelnden rettete nur der Glaube an Gottes Barmherzigkeit. „Möge Gott mich nie verlassen“,waren seine letzten Worte auf dem Sterbebett.

Tipp: Lassen Sie nicht alle Hoffnung fahren. Bewahren Sie sich auch an trüben Tagen einen Rest Optimismus und Glauben, dass alles in ihrem Leben und der Welt am Ende gut ausgehen wird.

5. Hohen Anspruch kultivieren

Arthur Schopenhauers (1788-1860) pessimistische Philosophie atmet den Geist der Verneinung und Verzweiflung. Die Welt ist für ihn ein „Jammertal“, voller Leiden und Glück nur Illusion. Unglück lässt sich nicht vermeiden, sondern nur auf ein Mindestmaß reduzieren.

„Um nicht sehr unglücklich zu werden, ist das sicherste Mittel, dass man nicht verlange sehr glücklich zu sein“, lautet sein Rezept. „Verneinung des Willens zum Leben allein kann uns erlösen, nicht der Selbstmord, der nur die individuelle Erscheinung des Allwillens vernichtet.“

Tipp: Wollen Sie glücklich sein, lesen Sie nicht zu viel von Schopenhauer. Sonst könnte dieser Oberpessimist Sie lehren, wie man in allem Lebensglück doch noch zu einem unglücklichen Menschen wird.

6. Vorbild Unglücksrabe

Kennen Sie die Bildergeschichte „Hans Huckebein der Unglücksrabe“ von Wilhelm Busch (1832-1908)? „Gar manches ist vorherbestimmt; Das Schicksal führt ihn in Bedrängnis; Doch wie er sich dabei benimmt, Ist seine Schuld und nicht Verhängnis.“

Der gewitzte Rabe macht anderen das Leben schwer, klaut dem Spitz den Schinkenknochen, verdreckt Tantchens saubere Wäsche mit Heidelbeerkompott und säuft jedes Glas leer. Am Ende „aber naht sich das Malör“ in Gestalt von Likör. Huckebein endet kläglich, indem er sich mit dem Garn selbst stranguliert.

Tipp: Verscherzen Sie es sich nicht mit allen. Gehen Sie Ihren Mitmenschen nicht zu sehr auf die Nerven, sonst wird niemand mehr Sie mögen. Nichts ist in einer Pechsträhne so wichtig, wie sich auf andere verlassen zu können.

7. Auf die Ewigkeit setzen

Friedrich Nietzsche (1844-1900) glaubte sich vom Unglück verfolgt. Niemand könne ihm entrinnen, weil es jeden mit eisernen Griff umklammert hält. In seinem Buch „Also sprach Zarathustra“ schreibt der Dichter und Philosoph: „Die Welt ist tief, Und tiefer als der Tag gedacht. Tief ist ihr Weh –, Lust – tiefer noch als Herzeleid: Weh spricht: Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit –, – will tiefe, tiefe Ewigkeit!“

Tipp: Lesen Sie nicht zu viel Nietzsche, sonst leidet Ihre Laune darunter. Auf die Ewigkeit zu setzen ist ein gewagtes, aber dennoch lohnendes Unterfangen. Sich nach Herzenslust auszutobern und seinen Trieben nachzugeben, wird irgendwann öde.

8. Früher war alles besser

Sind Sie ein Erinnerungsoptimist? Dann sind Sie sicher auch der Meinung, dass früher alles besser war. Generationen von Kindern mussten sich das Loblied der Erwachsenen auf die Vergangenheit anhören, wenn diese mal wieder ihr Unbehagen über die „Jugend von heute“ loswerden wollten.

Der Satz „Früher war alles besser“ wird dadurch nicht richtiger, dass er inflationär gebraucht wurde und wird. Er sollte besser lauten: „Früher war nichts besser, aber vieles anders.“

Tipp: Wollen Sie sich das Leben nicht vergällen, sehen Sie Früheres kritisch und freuen sich über Gegenwärtiges. Leben Sie im Hier und jetzt und das Schicksal wird es gut mit Ihnen meinen.

9. Den Humor verlieren

Die Welt verdankt dem großen bajuwarischen Humoristen Karl Valentin (1882-1948) einen dialektischen Humor sondergleichen. „Hoffentlich wird es nicht so schlimm wie es schon ist!“ – „Ich freue mich heute noch, dass es mir gelungen ist, den heutigen Tag noch zu erleben.“ – „Der Mensch is guad, de Leit’ san schlecht!“

Weisheiten wie wie diese vermögen das Leiden am Leben erträglicher zu machen. Unglücklich ist schließlich jeder. Es kommt immer darauf an, wie man damit umgeht.

Tipp: Lesen Sie ausgiebig Karl Valentins Werke, und Sie werden dem Unglück dieser Welt höhnisch ins Gesicht lachen.

10. Irrsinn des Lebens

Der amerikanische Theologe Harvey Cox (geboren 1927) ist vor allem bekannt geworden durch seinen Bestseller „Stadt ohne Gott?“ (1965). Darin formuliert er die bahnbrechende These, dass Gott in der säkularen Welt nicht weniger, sondern eher mehr gegenwärtig sei als in den Kirchen.

In seinem Buch „Das Fest der Narren – Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe“ (1969) beschreibt Cox, der an der Harvard Divinity University in Boston (Bundesstaat Massachusetts) lehrte, wie man den Wahnsinn des Alltags überstehen kann, ohne zum miesepetrigen Grantler zu chronifizieren.

Tipp: Wenn Sie sich trotz allem Glück oder Unglück Ihren Humor bewahrt haben und über sich selbst lachen können, wird Ihnen Ärger und Gram nichts anhaben können. Wie sagt Harvey Cox: „Wo Lachen und Hoffnung verschwunden sind, da hat der Mensch aufgehört, Mensch zu sein.“