Ist noch bekannter als der Ludwigsburger Oberbürgermeister: Cicero. Und eventuell war der große Römer auch der bessere Redner als Werner Spec. Foto: dpa

Sitzungen des Ludwigsburger Gemeinderats können lang sein, zäh, deprimierend. Aber man lernt viel: über rhetorische Urgewalten und notfalls auch über Rindenmulch. Und die schlechte Laune im Anschluss hält nie lange an – aus einem ganz bestimmten Grund.

Ludwigsburg - Haben Sie mal einer Haushaltsdebatte des Ludwigsburger Gemeinderats beigewohnt? Nicht? Machen Sie mal. An einem Tag, an dem es Ihnen so richtig gut geht, das Wetter ist schön oder Sie sind frisch verliebt, und Sie haben das Gefühl: es reicht, ich brauche einfach mal wieder schlechte Laune. Dann, genau dann, ist der richtige Zeitpunkt für den Besuch einer Etatberatung. Nebenbei lernen Sie auch was über Menschen und Rhetorik.

Die größte rhetorische Kraft ist der Oberbürgermeister. Wie kein anderer schafft es Werner Spec, Kontrahenten mit wenigen Sätzen festzunageln. Getrübt wird die Freude als Zuhörer nur dadurch, dass ein Satz bei Spec durchschnittlich 23 Kommata umfasst und der OB munter Deklarativsätze, Fragesätze, Imperative, Exklamativsätze und Optativsätze mischt, dass es nur so scheppert. Ein Spec-Satz, so die Statistik, dauert sechs Minuten 37 Sekunden.

Nicht alle lassen sich davon einschüchtern. Der hartnäckigste Gegenspieler von Spec ist seit geraumer Zeit Michael Vierling von den Grünen. Ein Mann, der die Gabe besitzt, zu allem ad hoc eine Grundsatzrede halten zu können, notfalls auch über die Schönheit von Rindenmulch. Vergangene Woche nutzte er die Haushaltsberatung zu einem Frontalangriff auf die Verwaltung, weil diese im Kampf gegen Feinstaub untätig bleibe. Spec, das muss er beim römischen Redner Cicero gelernt haben, quittierte das mit müder Herablassung. Vierling sei wohl „nicht ganz auf der Höhe“ und überhaupt: „Ihre aktionistischen Vorschläge helfen da gar nicht.“ Er, Spec, habe schließlich unlängst mit der Kanzlerin über das Thema gesprochen, also alles in Butter.

Und dann kommt Klaus Herrmann...

Vierling reagierte mit der Gelassenheit eines Androiden: „Meine Kritik halte ich trotzdem vollumfänglich aufrecht.“ Und dann geht es von vorne los. Immerhin: Solche Verbalduelle sind unterhaltsam.

Andere rhetorische Kniffe hingegen treiben jeden Zuhörer zuverlässig in eine mittelschwere Depression. Sehr wirksam ist, am Anfang zu betonen, dass man sich kurzhalten werde, und dann: Reden ohne Punkt und Komma. Ein Meister darin ist der Personalchef des Rathauses, Robert Nitzsche, der in der jüngsten Sitzung ganz kurz anfing und dann ganz lang weiter machte. Überhaupt: Wiederholungen, Wiederholungen, Wiederholungen sind wichtig. Könner schaffen es, den Inhalt eines Vortrags innerhalb dieses Vortrags fünf- bis sechsmal zu wiederholen.

Was auch gut funktioniert: Wenn die Freien Wähler gerade erklären, dass Ludwigsburg einen Finanz-Controller braucht, muss die FDP unbedingt noch mal betonen, dass Ludwigsburg einen Controller braucht. Zuverlässig meldet sich dann ein SPD-Stadtrat, der auch – ganz kurz – etwas zum Thema beisteuern will. Und dann: Reden ohne Punkt und Komma. Bis der OB reingrätscht, der gar nicht über Controller reden will. Michael Vierling allerdings schon, und zwar ganz grundsätzlich. Dann kommt Klaus Herrmann.

Ludwigsburg ist schön: vielleicht, manchmal – oder doch immer?

Über 37 einzelne Haushaltsanträge hatte der Gemeinderat zuletzt zu beraten, zu gefühlt 43 davon hatte der CDU-Fraktionschef etwas beizusteuern. Vermutlich hätte er noch beantragt, das Residenzschloss abzureißen, um eine Autobahn durchs Blüba pflügen zu können, wäre es da nicht schon 22 Uhr gewesen – was andere Stadträte zu der Bemerkung veranlasste, dass fünf Stunden Debatte nun doch genug seien.

Wenn Sie, als Besucher, aber bis zum Ende durchgehalten haben, werden Sie sehr schlecht gelaunt nach Hause laufen, und das war ja das Ziel. Das Gute: Das wird nicht lange anhalten. Am nächsten Morgen wachen Sie auf und leben immer noch in Ludwigsburg. Einer schönen Stadt, die auch darum lebenswert ist, weil die Verwaltung viel mehr richtig macht als falsch. Weil sich die Stadträte viel Mühe geben und in den Gremien um jedes Detail feilschen. Weil alle Beteiligten jeden Cent zwei Mal umdrehen, und überhaupt: Außerhalb der Etatberatungen sind die Gemeinderatssitzungen oft sogar interessant.

Sind wir also froh, dass wir sie haben, die Stadträte, den Personalchef, den OB. Oder, wie es Werner Spec vielleicht ausdrücken würde. „Ich finde, dass wir, und das will ich in aller Deutlichkeit sagen, hier, natürlich auch anderswo, aber hier auch und vor allem auch hier, hören Sie mir gut zu, schon, wenn wir die richtigen Maßnahmen ergreifen, und das müssen wir, dann ist es hier, ich möchte fast sagen: schön.“