Die neue Filstal-Eisenbahnbrücke: Die letzten Arbeiten laufen. Im Dezember 2022 sollen auf ihr die ersten Züge zwischen Wendlingen (Kreis Esslingen) und Ulm verkehren. Foto: Ines Rudel

Die Gleise auf der Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm liegen durchgehend. Die Bahn feiert einen „Meilenstein“ – und wird die Strecke künftig selbst bedienen.

Mühlhausen/Stuttgart - Sähe so die Zukunft des Bahnverkehrs in Deutschland aus, man wäre erschüttert. Im Schritttempo bewegt sich ein Schienengefährt über die Filstalbrücke bei Mühlhausen im Täle (Kreis Göppingen). Es ist eine Draisine, die hier die Zukunft einläuten soll. Platz genommen haben diverse Ehrengäste, darunter Olaf Drescher, der Chef der Bahnprojekte Stuttgart 21 und Neubaustrecke Wendlingen–Ulm.

In Zeitlupe geht es voran am Mittwochmorgen. Und doch spricht die Bahn bei der symbolischen ersten Fahrt von einem „weiteren Meilenstein“. Denn erstmals ist die 60 Kilometer lange Strecke durchgängig auf Schienen befahrbar. Der Lückenschluss bei den Gleisen ist erfolgt, und das an symbolträchtiger Stelle: Auf der 85 Meter hohen Filstalbrücke, die zwischendurch wegen Zeitverzugs als kritisch für das Gesamtprojekt eingestuft worden war.

Davon ist an diesem sonnigen Mittwochmorgen auf der Alb keine Rede mehr. Während sich unten im Tal langsam der Nebel auflöst, strahlen oben Bauleute und Bahnvertreter um die Wette. „Was für eine Symbolik“, freut sich Drescher. Noch im Juli habe man an dieser Stelle das Erreichen der anderen Talseite gefeiert und jetzt bereits „aus der Brücke eine Eisenbahnstrecke gemacht“. So richtig beeindruckend werde all dies auch für die Fahrgäste Ende nächsten Jahres, wenn sie komplett zwischen Wendlingen und Ulm in Betrieb gehe. „Wir sind gerade dabei, die Verkehrswende Gestalt annehmen zu lassen“, so Drescher. Und man werde das wie geplant bis Dezember 2022 hinbekommen.

In sieben Sekunden übers Tal

Dann werden sich Passagiere beeilen müssen, um von Deutschlands dritthöchster Bahnbrücke überhaupt etwas mitzubekommen. Sieben Sekunden werden die 250 Stundenkilometer schnellen Züge brauchen, um die 485 Meter übers Filstal zu überwinden. Es kommt denn auch nicht von ungefähr, dass ausgerechnet hier der Lückenschluss bei den Gleisen gefeiert wird: Die Brücke, die zwischen den Portalen des Boßlertunnels und des Steinbühltunnels das Tal überspannt, gilt als Höhepunkt der Ingenieurs- und Bauleistung zwischen Neckar- und Donautal.

Zur Feierstimmung an diesem Tag passt, dass es für die Bahn eine weitere frohe Botschaft gibt. Die DB Regio Baden-Württemberg hat die Ausschreibung für den Betrieb der neuen Strecke gewonnen. Fahrgäste werden hier künftig mit der neuen Interregio-Express-Linie der Deutschen Bahn unterwegs sein. Den Zuschlag gab’s vom Land Baden-Württemberg.

Anbindung der mittleren Alb

Dessen Vertreter klingt am Mittwoch in luftiger Höhe fast schon ein bisschen verliebt. Von der „unglaublich schönen Brücke“ schwärmt Berthold Frieß, Ministerialdirektor im Verkehrsministerium. Um dann wieder sachlicher zu werden: Die Neubaustrecke leiste einen Beitrag zum besseren Schienenverkehr im Land. Nicht nur solle sich die Fahrtzeit zwischen Stuttgart und Ulm in einem ersten Schritt um 15 Minuten, später dann um 30 Minuten verkürzen, damit der Deutschlandtakt möglich werde. Auch im Regionalverkehr verbessere sich die Situation für die Fahrgäste erheblich: Durch den nachträglich noch realisierten Bahnhof in Merklingen „wird der ganze Bereich der mittleren Alb angebunden“. Außerdem schaffe man Platz auf der alten Filstalstrecke für den Ausbau des Regionalverkehrs.

Von Ende 2022 an mit dem Zug schneller von Wendlingen nach Ulm

Bis tatsächlich fahrplanmäßig Züge rollen können, ist allerdings auch über neun Jahre nach dem Spatenstich auf der mit knapp vier Milliarden Euro Kosten veranschlagten Strecke noch einiges zu tun. Von Februar an sollen erste Testfahrten stattfinden. Bis dahin ist auch die Signaltechnik vollends installiert. Beim Gleisbau fehlen auch noch die zweite Seite der Doppelbrücke übers Filstal sowie die Anschlüsse in Wendlingen (Kreis Esslingen). Der Feinschliff auf der Strecke wird noch Zeit brauchen.

In Stuttgart beginnt der Gleisbau erst

Schöne neue Bahnwelt also? Dummerweise ist da auch noch das Schwesterprojekt Stuttgart 21 rund um den Tiefbahnhof. Und während auf der Alb am Mittwoch die letzten Gleise gelegt werden, sind in der Landeshauptstadt vor wenigen Tagen erst die ersten fünf Kilometer Schienen angeliefert worden. Kein „Meilenstein“, aber immerhin „ein ganz besonderer Moment“, wie Drescher zu diesem Anlass in Feuerbach sagte. Zur geplanten Inbetriebnahme Ende 2025 ist es noch ein weiter Weg. Und erst dann wird sich vollständig zeigen, wie die beiden Großprojekte im Zusammenwirken den Bahnverkehr im ganzen Land verändern. „Wir liegen auch bei Stuttgart 21 gut im Plan und hoffen, dass wir dort dann auch eitel Sonnenschein haben werden“, sagt Drescher.

Bis dahin ist es noch eine Weile hin, also feiert man zunächst einmal den Endspurt auf der Neubaustrecke. Im Zeitlupentempo. „Das wird nicht der Standard sein auf dieser Strecke“, versichert Drescher und steigt lachend aus der Draisine.

Die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm

Entlang der Autobahn
Die Neubaustrecke (NBS) zwischen Wendlingen und Ulm soll im Fernverkehr die alte Strecke durchs Filstal ersetzen. Die NBS folgt in Teilen der A 8. Am Albaufstieg löst sie sich und führt auf einer direkteren Trasse hinauf.

Tunnel und Brücken
Gut die Hälfte der 60 Kilometer langen Strecke verläuft durch insgesamt elf Tunnel. 37 Straßen- und Eisenbahnbrücken sind notwendig.

Gleisbau
Für die 60 Kilometer lange NBS sind 120 Kilometer Gleise und 240 Kilometer Schienen notwendig. Sie wiegen rund 15 000 Tonnen. Der Gleisbau hat im Januar 2019 begonnen, jetzt ist er weit gehend abgeschlossen. Es fehlen nur noch wenige Meter an einigen Anschlussstellen.