Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist repräsentativen Studien zufolge in Deutschland noch nicht erreicht. Foto: Gina Sanders/Fotolia

Die Stuttgarter Nachrichten hatten in ihrer Berichterstattung die Meinung vertreten, dass Frauen bei Löhnen nicht diskriminiert werden. Die Verdi-Chefin ist anderer Meinung. Wir luden zum Streitgespräch.

Berlin - Frau Breymaier, Sie sind mit unserer Berichterstattung zur Lohnlücke nicht einverstanden. Wir sind der Meinung, dass es keine Lohndiskriminierung in Deutschland gibt. Was stört Sie an der Feststellung?
Es gibt eine historisch gewachsene Diskriminierung bei der Bezahlung berufstätiger Frauen. Bis zum Jahre 1977 hieß es noch im BGB: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“ Frauen sollten eigentlich gar nicht arbeiten, und wenn, dann verdienten sie eben ein bisschen dazu. Diese Struktur wirkt bis heute nach.
Das ist Schnee von gestern. Die heutigen Frauen entscheiden selbstbewusst und souverän über ihre Berufswahl.
Ja, aber die Rahmenbedingungen sind noch die gleichen. Wir haben immer noch das Ehegattensplitting, das auf dem klassisch-patriarchalischen Rollenbild basiert. In Baden-Württemberg kann auch gar nicht die Rede von einer flächendeckenden Kleinkindbetreuung die Rede sein, die Frauen den Wiedereinstieg ins Berufsleben erheblich erleichtern würde.
Nichts von dem hat mit dem Thema Lohndiskriminierung irgendetwas zu tun.
Doch, natürlich. Es sind alles Beispiele dafür, dass alte Stereotype heute noch fortwirken. Typische Frauenberufe werden schlechter bezahlt als typische Männerberufe. Und in typischen Frauenbranchen wird weniger verdient als in typischen Männerbranchen.
Das stimmt. Genau das steht auch in unserem Artikel. Über diese Sachverhalte muss man dringend eine gesellschaftliche Debatte organisieren.
Na also.
Wenn in Sozialberufen anders gezahlt wird als in Ingenieurberufen, ist das eine gesellschaftliche Wertung, aber keine Geschlechtsdiskriminierung. Auch ein männlicher Erzieher verdient weniger als ein männlicher CNC-Dreher.
Das eine stimmt: Männer in typischen Frauenbranchen verdienen auch weniger, Frauen in typischen Männerbranchen verdienen auch mehr. Da sind wir uns einig. Trotzdem bleibt die Tatsache, dass bei typischen Frauenberufen wesentliche Anforderungen erheblich unterbewertet werden: etwa die gesamte psychosoziale Kompetenz, die in Berufen notwendig ist, in denen mit Menschen umgegangen wird. Ganz zu schweigen von den psychischen Belastungen für die betreffenden Mitarbeiter. Das betrifft aber den gesamten Dienstleistungsbereich: Einfühlungs- und Kommunikationsfähigkeit, Belastungen durch die öffentliche Ausübung des Berufes – etwa als Kassiererin. All diese Faktoren finden bei der Bezahlung durchweg keine angemessene Berücksichtigung. Der Versuch, das zu verändern, macht einen wichtigen Teil unserer gewerkschaftlichen Arbeit aus. Wir werden dieser Tage die Öffentlichkeit wieder strapazieren müssen, wenn wir in den Kindertagesstätten streiken werden. Es geht um die Aufwertung des typischen Frauenberufs der Erzieherin.
Wir gestehen zu: Sie beschreiben ein objektives Problem. Gestehen Sie auch zu: Das hat mit Geschlechterdiskriminierung nichts zu tun?
Doch, das hat es. Wie soll man es denn anders nennen, wenn typische Frauenberufe schlechter bezahlt werden?
Dann sollen junge Frauen eben verstärkt typische Männerberufe wählen. Das würde viele mittelständische Unternehmen freuen.
Das hat mich an Ihrem Artikel auch maßlos geärgert: Sie stellen eine Selbst-Schuld-Theorie auf. So einfach ist es nicht. Irgendjemand muss sich um die Alten in unserer Gesellschaft kümmern, irgendjemand muss sich um die Betreuung der Kinder kümmern. Es kann doch nicht sein, dass es eine ganze Gesellschaft hinnimmt, dass diese Tätigkeiten als minderwertig angesehen werden. Offenbar gibt es gesellschaftliche Strukturen, die dazu führen, dass von Frauen geleistete Arbeit weniger anerkannt wird. Ganz zu schweigen davon, dass Frauen zwei Drittel der unbezahlten Arbeit leisten.
Sie gehen selbst alten Rollenklischees auf dem Leim, wenn Sie sagen, dass Frauenarbeit unterbewertet ist. Das ist eben nicht Frauenarbeit, sondern einfach eine bestimmte Art von Arbeit, die derzeit mehrheitlich von Frauen geleistet wird. Das ist doch ein großer Unterschied.
Da sind Sie aber mental der gesellschaftlichen Entwicklung weit voraus. Die Gesellschaft ist längst noch nicht so weit. Es ist ein Hundert-Teile-Puzzle. Die Gesellschaft muss klären, was ihr diese Arbeit wert sein muss. Die Tarifpartner müssen die Bewertungen unter die Lupe nehmen. Wir brauchen gesetzliche Veränderungen: beim Steuerrecht. Aber auch die Minijobs müssten vom ersten Euro an sozialversichert, sie dürfen für Arbeitgeber nicht so attraktiv sein. Wir brauchen eine verlässliche Kinderbetreuung und gute Rahmenbedingungen zur Betreuung älterer Menschen. An diesen Anstrengungen müssen sich beide Geschlechter beteiligen.
Noch ein Versuch: Das Reden von Lohnlücke und Diskriminierung suggeriert doch vor allem eines – einen fiesen Arbeitgeber, der mutwillig Frauen schlechter behandelt als Männer. Unsere These: Den gibt es nicht.
Den Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit haben wir von den gesetzlichen Rahmenbedingungen her umgesetzt. Wenn im Einzelfall unterschiedliche Löhne bezahlt werden, kann man dagegen klagen.
Mehr wollten wir gar nicht sagen.
Wir unterscheiden uns in einem Punkt: Frauen müssen leider erkennen, dass Diskriminierung nicht allein im konkreten tariflichen Vertragsverhältnis geschehen kann. Auch gesellschaftlich tief eingeprägte Strukturen können diskriminieren. Das wirkt ganz tiefgehend – bis hin zur Teilhabe von Frauen an Führungspositionen und ihrer Bezahlung.
Zugegeben. An der Spitze der Einkommensskala schneiden Frauen im Vergleich besonders schlecht ab. Aber gerade dort werden die Einkommen frei ausgehandelt. Sie müssen besser verhandeln.
Auch die Männer müssen umdenken. Sie müssen lernen, sich an der Familienarbeit zu beteiligen. Dann verteilt sich auch der negative Einkommenseffekt der Babypause.
Und hier endet das Gespräch in vollkommener Übereinstimmung.