Vor wenigen Jahren erregte die Deutsche Spätregen-Mission Aufsehen, weil sie Rentenbeiträge für Aussteiger nachzahlen musste. Nun steht die Glaubensgemeinschaft mit Deutschlandsitz in Beilstein offenbar vor dem finanziellen Ruin.
Beilstein - SieBeilstein - berichten von Drohungen, Mobbing und Zwang. Einer von ihnen bezeichnet sie als „schlimmste Psychosekte in Deutschland“: Das Bild, das Aussteiger von der Deutschen Spätregen-Mission (DSM) zeichnen, ist alles andere als schmeichelhaft, die evangelische Freikirche, die in Beilstein (Kreis Heilbronn) ihren Deutschland- und Europasitz hat, gilt als umstritten. Nun hat die Deutsche Spätregen-Mission Insolvenz wegen drohender Zahlungsunfähigkeit angemeldet.
Das geht aus den öffentlichen Insolvenzbekanntmachungen des Amtsgerichts Heilbronn hervor. Ausschlaggebend für den Antrag sind Forderungen von Rentenversicherungen. Diese belaufen sich auf zehn Millionen Euro, wie der vorläufige Insolvenzverwalter Renald Metoja mitteilt. Insidern zufolge hatte ein Gerichtsvollzieher jüngst einen fünfstelligen Euro-Betrag einfordern wollen, den die Mission aber nicht bezahlen konnte. Dieser Zeitung gegenüber wollte sich die Spätregen-Mission nicht zu dem Thema äußern.
Mitglieder sind weitgehend abgeschottet von der Außenwelt
Dass die als autoritär geltende Freikirche in finanziellen Schwierigkeiten ist, kommt nicht überraschend. Ehemalige Mitglieder fordern die Mission seit Jahren auf, Rentenbeiträge nachzuzahlen.
Die fundamentalistische Freikirche wurde 1927 in Südafrika gegründet, in Deutschland gibt es sie seit den 1950er Jahren. Die Mitglieder im sogenannten Haus Libanon in Beilstein leben – weitgehend abgeschirmt von der Außenwelt – in mehreren Häusern und gehen dort innerhalb der Gemeinschaft ihrer Arbeit nach: im Haushalt, der Küche, der Näherei oder missionseigenen Werkstätten auf dem Gelände. Lohn erhalten sie dafür nicht. Ein Mitglied sagte dazu einst, es gehe nicht darum „im irdischen Sinne reich zu werden.“ Dafür verpflichtet sich die DSM, ihre Mitglieder im Alter zu versorgen.
Gericht verpflichtete Mission zur Nachzahlung
So begründet die Glaubensgemeinschaft auch, warum sie jahrelang keine Beiträge in die Rentenkasse einzahlte, obwohl die Mitglieder arbeiteten. Die Freikirche vertritt die Auffassung, die Gläubigen schufteten freiwillig, zum Wohle der Allgemeinheit. Die Rentenversicherung teilt diese Auffassung jedoch nicht: Sie sieht die Spätregen-Mission in der Pflicht, Beiträge zu bezahlen; 2015 ging der Streit vor Gericht. Im selben Jahr noch verpflichtete das Sozialgericht Heilbronn die Mission zur Nachzahlung von Rentenbeiträgen für ein Ex-Mitglied, 2018 musste die Freikirche dann auch für ein Paar, das einst Teil der DSM gewesen war, 180 000 Euro Rentenbeiträge nachzahlen.
Bei den Prozessen ging es im Kern um die Frage, ob die Mitglieder in einem Beschäftigungsverhältnis standen und ihre Tätigkeiten somit versicherungspflichtig waren. Bei dem Prozess 2015 sah das Gericht dies als erwiesen an, nachdem eine Aussteigerin ausgesagt hatte, täglich mindestens acht Stunden gearbeitet und dabei Druck von oben bekommen zu haben, wenn ihre Leistung nicht stimmte. Dass die Spätregen-Mission keine Beiträge gezahlt hatte, war den Aussteigern erst aufgefallen, als sie ihre Konten bei der Rentenversicherung checken ließen.
Was geschieht im Ernstfall mit den Bewohnern?
Mit dem Insolvenzantrag verschlechtern sich die Chancen der Aussteiger, doch noch an ihre Renten zu kommen. Kann die Mission ihren Forderungen nicht nachkommen, sind sie auf die staatlich finanzierte Grundsicherung angewiesen. Offen ist auch, wie es für die etwa 100 Bewohner auf dem Gelände der Freikirche in Beilstein weitergeht.
Viele von ihnen sind alt und auf die Versorgung im Haus Libanon angewiesen. Dieser Umstand ist dem Bürgermeister Patrick Holl bewusst. Man werde abwarten, wie sich die Situation entwickle, sagt er. „Wir werden den Fokus auf die Bewohner und deren Wohnsituation richten.“
Vorstand hat immer noch Leitungsfunktion
Nachdem der Insolvenzantrag am Donnerstagmorgen öffentlich wurde, hat der vorläufige Insolvenzverwalter Renald Metoja die Insolvenzakte bereits abholen lassen und arbeitet sich nun durch 170 Seiten Papier. Ein Richter am Sozialgericht Heilbronn hat eine so genannte schwache vorläufige Insolvenzverwaltung verhängt. Das heißt, die Leitung der Mission obliegt nach wie vor dem Vorstand, während Metoja in finanziellen Angelegenheiten die Entscheidungshoheit hat.
Der Anwalt wird unter anderem prüfen, ob es sich tatsächlich um eine drohende Zahlungsunfähigkeit handelt – oder ob die Mission längst zahlungsunfähig ist, wie manche Aussteiger befürchten. In dem Fall hätte der Vorstand seine Aufsichtspflichten verletzt und könnte strafrechtlich belangt werden.