Ortsvorsteher Heiko Gieser versucht in Bittelbronn, mit seinem Handy Daten zu empfangen. Auch das Kabelnetz ist schlecht in dem Ortsteil von Möckmühl nördlich von Heilbronn. Foto: Ralf Schäfer

Funklöcher, unterbrochene Telefonate und quälende Wartezeiten: Weil Baden-Württemberg beim Breitbandausbau hinterherhinkt, musste auch schon mancher Manager aufs Fahrrad steigen.

Stuttgart - Berthold Barth hat eine klare Vorstellung davon, wie die Datenwelt aussehen müsste: „Jedes kleine Nest ist an eine öffentliche Straße angebunden, in jedem Haushalt kann man einen Wasserhahn öffnen, und es kommt frisches Wasser“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter der Burladinger Spedition Barth, die 650 Mitarbeiter und 77 Millionen Euro Umsatz zählt. „So müsste es auch in der digitalen Welt sein“, betont Barth. Doch „zwischen Münsingen und Merklingen bleibt die Infrastruktur unserer Lastwagen hängen“, berichtet der Spediteur. Der Grund: Es hapert beim Mobilfunk, die blau-gelben Transporter fahren ins Funkloch. Nicht nur auf der Alb – auch auf der B 27 zwischen Hechingen und Stuttgart könne dies passieren.

Dorfidylle im Datenschatten

Doch solche Probleme gibt es nicht nur auf der Alb. „Willkommen im Notstandsgebiet“, sagt Peter Vogel. Vogel wohnt in Bittelbronn, einem Ortsteil von Möckmühl, 25 Kilometer nördlich von Heilbronn. An der Längstalstraße gibt es Bauernhöfe, einen Biomarkt und etliche Wohnhäuser. Der Geschäftsführer von Fischer Gebäudetechnik in Neuenstadt/Kocher nimmt abends auch Arbeit mit nach Hause. Immerhin hat er seit Ende Juni endlich Hybridempfang, ist also über das Kupferkabel ebenso wie über Funk mit der weiten Welt verbunden. Die Antenne hat er auf dem Dach seines Hauses installiert – und hat mit seinem Anschluss Glück. Über Bittelbronn ist der Himmel geteilt: Auf der anderen Seite der Straße ist kein Mobilfunkempfang möglich. „Heimarbeit geht bei uns nur mit dem Kugelschreiber“, kritisiert Ortsvorsteher Heiko Gieser.

Das mag zwar etwas übertrieben sein, doch eine Mitarbeiterin eines großen Unternehmens will genau aus diesem Grund wegziehen. Seit einigen Wochen breche sogar die Telefonverbindung zusammen, „weil die Telekom ein Problem mit der Versorgung per Kupferkabel nicht in den Griff bekommt“. In den vergangenen Jahren hat die Telekom auf Internettelefonie umgestellt, „aber wenn vier bis fünf Einwohner telefonieren, kommt es vor, dass das Gespräch zusammenbricht“, sagt Gieser. Und Vogel befürchtet: „Bis wir Breitband bekommen, wird es noch mindestens fünf bis sechs Jahre dauern.“

Flaute im Gewerbegebiet

Eine geradezu abenteuerliche Geschichte kann Christian Gmehling erzählen: „Noch im vergangenen Jahr bin ich mit dem Fahrrad nach Hause gefahren, wenn ich größere Datenmengen herunterladen musste.“ Gmehling ist Marketingchef beim IT-Dienstleister L-Mobile Solutions in Sulzbach/Murr, sein Wohnort ist das einige Kilometer entfernte Murrhardt. Bis vor einigen Monaten behalf sich der Entwickler von Software für firmeninterne Logistik mit seinen 175 Mitarbeitern noch mit einem Richtfunkanschluss zu einem Hotel im Ort, das eine gute Kabelanbindung hat. Seit Kurzem aber ist die Lage besser in dem noch relativ neuen Gewerbegebiet: Jetzt wird das Unternehmen mit bis zu 1000 Mbit in der Sekunde versorgt. Und in einem Besprechungsraum ist zu sehen, was noch vor ein paar Monaten undenkbar gewesen wäre – eine Videokonferenz mit Beschäftigten in der tunesischen Niederlassung. „Breitband ist wichtiger als die Straße“, sagt Gmehling.

Eine Videokonferenz ist auch beim Softwarehaus Compdata in Albstadt möglich. „Allerdings geht dann bei uns im Haus bei Internetzugriffen nicht mehr viel“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Reiner Veit. „Durch die langsamen Leitungen verlieren wir jede Menge Zeit, es ist wie im Stau.“ In Albstadt hat nach seiner Beobachtung so mancher private Haushalt einen besseren Anschluss als so manches Unternehmen. Compdata selbst hat zwei Leitungen: eine mit 50 Mbit/s und eine mit 45 Mbit/s. Möglich wären sogar 250 Mbit – das hat das Unternehmen aber noch nicht beantragt. Veit: „Was wir bräuchten, wäre ein Gigabit.“

Sorgen der Maschinenbauer

Beutter in Rosenfeld bei Balingen stellt Präzisionskomponenten für den Maschinenbau, aber auch für die Medizintechnik und die Luft- und Raumfahrt her. „Die Verbindung ist sehr schlecht. Die jetzige Leitung mit theoretisch 50 Mbit/s, die aber nie erreicht werden, bringt unserem Außendienst zu wenig“, sagt der geschäftsführende Gesellschafter Wolf-Dieter Kiessling. „In der Praxis haben wir 20 bis 40 Mbit/s im Download und unter 20 Mbit/s im Upload.“ Kurzfristig bräuchte das Unternehmen 100 bis 200Mbit/s. Einen Antrag auf ein schnelleres Netz hat Kiessling beim privaten Kabelanbieter Pyur gestellt – nun wartet er schon seit Wochen auf Antwort.

Dass die Verbindungen auf dem flachen Land besser werden, ist nicht nur für die Unternehmen dort wichtig. „Rund 80 Prozent unserer Kunden sind kleine Unternehmen mit etwa 25 Beschäftigten und fünf Maschinen, viele dieser Firmen sitzen auf dem Land“, sagt Thomas Schneider, Geschäftsführer für Forschung und Entwicklung bei Trumpf. Der Ditzinger Werkzeugmaschinenbauer rüstet Maschinen mit Künstlicher Intelligenz aus – doch gerade diese braucht ganz enorme Datenmengen. Werden die Netze nicht besser, nützen auch die modernsten Maschinen nichts.

Warten auf Glasfaser

Die Telekom hat bisher in Baden-Württemberg 85 000 Kilometer Glasfaser verlegt, Tendenz steigend: 2016 kamen 3600 Kilometer dazu, dieses Jahr werden es 5500 Kilometer zusätzlich sein. „Angebote von 250 Mbit/s reißt man uns nicht gerade aus den Händen“, sagt ein Sprecher. Am ehesten würden 50 Mbit/s nachgefragt, zunehmend auch 100 Mbit/s. Insgesamt seien im Südwesten 3,3 Millionen Haushalte an das Breitbandnetz angeschlossen.

Bei der Breitbandversorgung mit mehr als 50 Mbit/s ist Baden-Württemberg indes keineswegs ein Musterländle. Dies jedenfalls zeigt ein Blick in den Breitbandatlas des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Bei der Breitbandversorgung der Haushalte liegt der Südwesten unter den Flächenstaaten bei der Versorgung mit mehr als 50 Mbit/s lediglich auf Platz fünf. 83,5 Prozent der Haushalte zwischen Main und Bodensee haben einen solchen Anschluss. An der Spitze rangiert Nordrhein-Westfalen mit 88,3 Prozent, gefolgt von Schleswig-Holstein (86 Prozent), Hessen (85,5 Prozent) und Bayern (84,4 Prozent). Natürlich wird ob der vielfach beklagten Mängel oft über die Telekom geschimpft, Veit aber hat noch eine ganz andere Stoßrichtung, ähnlich wie Barth: „Der Staat muss die Infrastruktur zur Verfügung stellen“, fordert der geschäftsführende Gesellschafter von Compdata – „bei Glasfaser ebenso wie bei Straßen. Das darf man nicht einem privaten Unternehmen überlassen.“

In der Region Stuttgart sollen bis 2022 nach den Angaben von Marjoke Breuning, der Präsidentin der IHK Region Stuttgart, 90 Prozent aller Standorte von Unternehmen in Gewerbegebieten an das Glasfasernetz angeschlossen sein. Eine Komplettversorgung soll bis 2025 erreicht werden. So manchem Unternehmen steht also noch eine sieben Jahre währende Durststrecke bevor.