Clowns im Friedrichsbau-Varieté in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die 70-Jährigen sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Die Gesellschaft altert zwar, fühlt sich aber immer jünger. Unser Autor Uwe Bogen über eine Rollator-Artistin im Friedrichsbau, Sex im angeblichen besten Alter und Mutterwerden mit 65.

Stuttgart - Hilft Kopf einziehen und abtauchen? Die Zeit schreitet voran, ohne unser Einverständnis dafür einzuholen. Früher oder später trifft es jeden von uns. Dann tut’s einen Schnackler.

Und wir haben die Hürde eines runden Geburtstags genommen, obwohl wir glauben, da noch gar nicht hinzugehören. Wir fühlen uns jünger, als wir sind. Das Alter allerdings ignoriert unsere Wünsche. Als wär’ das nicht schon unfreundlich genug: Mit dem Alter wächst auch noch die Geschwindigkeit der Jahre – alles vergeht immer schneller.

Eine Galeristin, die wie Anfang 60 aussieht, ist zu ihrem Siebzigsten abgetaucht. An ihrem Geburtstag war es keinem möglich, sie anzurufen und zu gratulieren. Sie ging nicht ran und hatte obendrein den Anrufbeantworter abgeschaltet.

70? Na und!

„Ich bin 70!“, sagte sie erschüttert, als ich sie einige Tage danach endlich erreichte – es klang, als habe sie sich mit einer schlimmen Krankheit angesteckt.

70? Na und! „Mick Jagger ist 71“, entgegnete ich. Und Hillary Clinton, sollte sie 2016 zur Präsidentin der Vereinigen Staaten gewählt werden, würde im ersten Jahr als Chefin des Weißen Hauses ihren 70. Geburtstag feiern. Oma Hillary for president! Eine zweite Amtszeit würde sie mit gerade mal 77 abschließen – reif für gut bezahlte Vortragsreisen rund um die Welt.

Die 70 von heute sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Alles scheint sich zu verschieben. In Berlin erwartet eine 65-jährige Grundschullehrerin Vierlinge. Und die 55-jährige Nena hüpft bei ihrer Tour rum, als wär’ sie noch keine 30. „Man wird nicht alt, weil man eine gewisse Anzahl Jahre gelebt hat“, sagt Nena, „man wird alt, wenn man seine Ideale aufgibt.“

Alter schützt vor Jugendwahn nicht!

Manchmal ist es aber auch besser, älter zu werden. Denn wer immerzu dem Ideal der ewigen Schönheit folgt und nichts außer Facelifting und Botox in der Birne hat, könnte zum traurigen Beweis einer weit verbreiteten Gefahr werden: Alter schützt vor Jugendwahn nicht!

Der SWR-Talk „Nachtcafé“ will am 17. April „Sex im Alter enttabuisieren“.

Die 1950 geborene Stuttgarterin Inge Rinkhoff, die in Marbella Häuser verkauft, wurde eingeladen, obwohl sie sich „null dem Alter zugehörig“ fühlt. In der längst aufgezeichneten und nach dem Germanwings-Absturz verschobenen Sendung spricht die Single-Frau über junge Lover, die sie sich gönnt, solange sie den „eleganten, verspielten Schöngeist“ in Männergestalt, von dem sie träumt, nicht gefunden hat. Ihr Ziel ist es, mit 70 verheiratet zu sein – es wäre ihre erste Ehe.

Träume sind kein Privileg der Jugend

Träumen sollte man auch im Alter noch. Träume sind kein Privileg der Jugend. In der neuen Show „Clowns“ im Friedrichsbau Varieté führt Grandma Lara dies am Rollator vor – voller Poesie, von der Liebe und Dankbarkeit eines langen Lebens mit neuer Energie versehen.

Magische Momente ihrer Vergangenheit werden lebendig, ihre alte Liebe ist wieder da. Und am Ende schwebt die Grandma, gespielt von Lara Paxton, mit ihrer Gehhilfe am Trapez hoch hinauf – ins Glück zurück.

In dieser wunderschönen Varieté-Show sehen wir: Wer beim Älterwerden noch etwas Blödsinn im Kopf hat, wer träumt, das Schöne nicht übersieht, wer dankbar ist und neugierig auf all das, was noch kommt, kann rasch auftauchen, wenn er an seinem 70. Geburtstag abgetaucht ist.

Die Älteren haben Respekt verdient. Wir können von ihnen lernen. Sie haben vor den Jungen die traurige Wahrheit des Lebens verstanden: Es bleibt immer viel zu wenig Zeit. Die geschenkte Zeit müssen wir deshalb nutzen. Gleich jetzt.