Fast 14 000 Mädchen in Baden-Württemberg können an diesem Donnerstag beim Girls’ Day technologisch experimentieren. Es gibt eine Vielzahl von Initiativen. Doch zahlt sich das Werben um weiblichen Nachwuchs aus?
Porsche ist dabei, ebenso Mahle, Züblin, Mercedes, Siemens, das Max-Planck-Institut für Festkörperforschung, das Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), die Uni Stuttgart und das Oberlandesgericht Stuttgart. Insgesamt 1270 Angebote haben sich Unternehmen und Institute für 13 800 Mädchen allein in Baden-Württemberg ausgedacht. Damit wollen sie die Heranwachsenden zum Girls’ Day, der 2022 an diesem Donnerstag stattfindet, locken. Die Justiz gewährt Einblicke in ihre Computer für die Verbrechensbekämpfung, bei Fraunhofer werden Drohnen aufsteigen, an der Uni Stuttgart kann man sich im Bau eines Flugzeugs üben. Am gleichen Tag findet auch der Boys’ Day statt – mit 513 Angeboten und Plätzen für 3991 Jungen. Wer Interesse hat: Zuletzt gab es noch freie Plätze.
Ziel des bundesweiten Aktionstags ist es, Mädchen und Jungen Einblick in Berufe frei von Geschlechterklischees zu gewähren, wie die Veranstalter werben. Soll heißen: In Berufe, die vom jeweiligen Geschlecht eher links liegen gelassen werden. Denn immer noch entscheidet sich mehr als die Hälfte der Mädchen für einen von zehn traditionell als weiblich geltenden Ausbildungsberufen, darunter Kauffrau oder medizinische Fachangestellte. Aus dem gewerblich-technischen Bereich zählt kein einziger zu den bevorzugten Berufsbildern.
Der Fokus liegt auf den Mint-Fächern
So liegt denn auch der Schwerpunkt für die Mädchen beim Girls’ Day auf den Mint-Fächern – also alles rund um Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Bei den Jungen sind es Berufe in Erziehung und Pflege. Es sind allesamt Berufe, die vom Fachkräftemangel betroffen sind. Seit dem Start des Girls’ Day im Jahr 2001 haben Unternehmen und Institutionen deutschlandweit insgesamt gut 150 000 Veranstaltungen mit Plätzen für zwei Millionen Mädchen angeboten. Wegen der Pandemie wurde der Tag 2020 abgesagt und 2021 meist ins Netz verlagert. 2022 ist Präsenz angesagt.
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Girls’ Day, der von Bundeskanzler Olaf Scholz eröffnet wird, und Boys’ Day sind dabei beileibe nicht die einzigen Initiativen. Hierzulande gibt es etwa noch die Wissensfabrik, die Initiative D21, die Kleinen Forscher oder die Initiative junge Forscherinnen und Forscher, die Kinder teilweise bereits in der Kita bezirzen. Der Girls’ Day ist für Mädchen ab der 5. Klasse konzipiert.
Kleine Kinder lassen sich begeistern
Axel Plünnecke hält die meisten Initiativen für „sehr sinnvoll“. „Naturwissenschaftliche Themen können bereits kleine Kinder begeistern und Interesse wecken“, sagt der Leiter des Kompetenzfelds Bildung, Zuwanderung und Innovation beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). „Gerade die jüngeren Mädchen sind noch sehr offen, sich Berufe oder Bereiche anzusehen“, bestätigt eine Sprecherin vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit. Mit zunehmendem Alter wachse der Einfluss des Umfelds – und damit sinke die Offenheit für neue berufliche Erfahrungen. Die Leidenschaft für Mint-Themen müsse vor der Pubertät entfacht werden, sagt auch eine Sprecherin der Wissensfabrik.
Die Schule muss mit ins Boot
Doch mit einem einzigen Girls’ Day lässt sich da nicht viel ändern. Allzu oft erreichten Einzelmaßnahmen nur jene Kinder und Jugendlichen, die sich bereits für Mint-Themen begeistern, räumt die Sprecherin der Wissensfabrik ein. Die Sprecherin des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit regt an, dass Mädchen ab der 5. Klasse jährlich teilnehmen – „um möglichst viele verschiedene Eindrücke zu gewinnen“. Auch Plünnecke rät dazu, dass die Initiativen „mit den Schulen gut abgestimmt werden, um so eine systematische klischeefreie Berufs- und Studienorientierung zu ermöglichen“. Doch daran scheint es zu hapern: Nur ein Viertel der Schulen bereite die Aktionstage frei von Geschlechterklischees intensiv vor, so die Sprecherin des Kompetenzzentrums. Nachbereitet würden die Aktionstage sogar noch seltener, sagt sie unter Berufung auf eine Befragung. Doch Feedback nicht zuletzt durch der Lehrkräfte sei wichtig, so Plünnecke: „Studien zeigen, dass vor allem Mädchen ihre Mint-Kompetenzen und Fähigkeiten unterschätzen und auch Eltern nicht immer die Kinder richtig einschätzen.“
Weniger Studienanfänger
Trotz aller Bemühungen war der Erfolg der Initiativen – gemessen etwa am Interesse der Ingenieurstudiengänge im Südwesten – zuletzt mäßig. Vor allem in den Fachbereichen Maschinenbau und Elektrotechnik ist die Zahl der Studienanfänger sogar gesunken. Wirtschaft und Wissenschaft haben sich vor Kurzem in einem gemeinsamen Papier besorgt über die Entwicklung geäußert.
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Plünnecke macht Corona für den Rückgang mitverantwortlich. In Coronazeiten sei die Berufs- und Studienorientierung häufig zu kurz gekommen. Allerdings sei nicht nur die Zahl der Studienanfänger in den Ingenieurwissenschaften gesunken, so die Sprecherin des Kompetenzzentrums, sondern auch in beliebteren Fächern wie Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.
Frauen interessieren sich für Umweltschutz
Frauen interessieren sich für die Inhalte der Ingenieurwissenschaften, so Plünnecke: Studien zeigten, dass „gerade junge Frauen sich besonders große Sorgen um das Klima machen“. Das Thema sollte stärker in den Schulen behandelt werden. Etwa mit dem Fokus, wie durch Technik ein Beitrag zu Wohlstand und Klimaschutz geleistet werden kann. „Mint-Berufe sind Klimaschutzberufe, und diese reichen vom Handwerk (Wärmepumpe, Wärmedämmung) bis zum KI-Experten oder der Elektroingenieurin, die gemeinsam Mobilität und Energieversorgung der Zukunft entwickeln“, so Plünnecke.