Weit nach Mitternacht verkünden EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel die Ergebnisse der zehnstündigen Gipfel-Beratungen. Foto: dpa/Geert Vanden Wijngaert

Europas Staats- und Regierungschefs suchen in Brüssel nach Wegen im Kampf gegen die Energiekrise. Der deutsche Kanzler muss sich bei dem Gipfel viel Kritik am deutschen Vorgehen gefallen lassen.

Ursula von der Leyen gibt sich alle Mühe, das Ergebnis als Erfolg zu verkaufen. Nachts um drei Uhr steht die deutsche EU-Kommissionschefin in Brüssel vor den wartenden Journalisten und erklärt: „Wir hatten in der Tat einen sehr guten Europäischen Rat. Wir haben jetzt einen sehr guten und soliden Fahrplan, um weiter am Thema Energiepreise zu arbeiten.“

Zehn Stunden haben die Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel hinter verschlossenen Türen nach einem Kompromiss im Streit um die richtigen Maßnahmen gegen die hohen Energiekosten gerungen. Weit nach Mitternacht heißt es schließlich, dass die EU-Staaten sich darauf geeinigt hätten, an einem Preisdeckel gegen extrem hohe Gaspreise zu arbeiten und andere Optionen weiter zu prüfen. Das ist nicht nichts, aber auch nicht der erhoffte entscheidende Schritt nach vorne. Nach Aussagen von Ursula von der Leyen werden sich nun die Energieminister am kommenden Dienstag weiter mit dem Thema beschäftigen und die Details ausarbeiten.

Bundeskanzler Scholz lobt die Erfolge

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) versuchte nach den Verhandlungen die Gemeinsamkeiten der 27 Staats- und Regierungschefs hervorzuheben. „Wir haben uns zusammengerauft“, sagte er, das sei ein gutes Zeichen der Solidarität. Auf die Frage, ob er sich in der Energiediskussion beim Gipfel isoliert geführt habe, sagte Scholz: „In keiner Weise.“ Dem deutschen Regierungschef war vor dem Gipfel Egoismus in der Energiekrise vorgeworfen worden. Selbst der französische Präsident Emmanuel Macron warnte ihn davor, Deutschland in Europa zu isolieren.

Am weitesten ist der Gipfel in der Frage des gemeinsamen Gaseinkaufen gekommen. Wie Ursula von der Leyen erklärte, unterstützen die Staaten „die Idee, Unternehmen zu erlauben, für den gemeinsamen Einkauf ihre Kräfte zu bündeln“. Es werde die rechtliche Möglichkeit geschaffen, zu diesem Zweck Konsortien zu bilden. Auf diese Weise will die EU ihre Marktmacht nutzen, um beim Einkauf bessere Preise zu erzielen.

Ein Gaspreisdeckel scheint vom Tisch

Weiter keine Einigung gibt es im zentralen Streitpunkt eines Gaspreisdeckels. Der wird von Staaten wie Frankreich und Italien vehement gefordert, von Deutschland allerdings ebenso zäh abgelehnt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte Freitagmorgen dazu: „Wir werden einen Marktkorrekturmechanismus einführen, um Episoden überhöhter Gaspreise zu begrenzen.“ Die Rede ist von einem „vorübergehenden dynamischen Preiskorridor“ für den Handel mit Gas, der jedoch nicht die Versorgungssicherheit gefährden dürfe. Hier scheint sich Deutschland durchgesetzt zu haben. Berlin verweist immer wieder auf mögliche Probleme bei der Versorgung mit Gas, weil Verkäufer den Rohstoff dann an andere Länder liefern könnten, die mehr zahlen.

Nach Aussagen der EU-Kommissionschefin sollen auch die Möglichkeiten erweitert werden, Unternehmen und privaten Haushalten staatliche Beihilfen zu gewähren, die durch die hohen Energiekosten in eine Schräglage geraten sind. Die EU selbst will dazu noch einmal 40 Milliarden Euro aus Fördertöpfen freimachen, die noch nicht abgerufen worden sind.

Noch mehr Milliardenhilfe von der EU

Diese Maßnahme soll wohl auch etwas den Unmut über Deutschland eindämmen. Die Bundesregierung will zum Ärger vieler Länder ein nationales Paket von bis zu 200 Milliarden Euro bis 2024 auflegen. Viele Staaten können sich eine solche Unterstützung für die heimische Wirtschaft und die eigenen Bürger jedoch nicht leisten. Sie dringen deshalb auf eine EU-Lösung - und werfen Deutschland vor, der eigenen Volkswirtschaft einen Wettbewerbsvorteil im gemeinsamen Binnenmarkt zu verschaffen.

Nach dem Ende der Verhandlungen griff auch Ratspräsident Charles Michel spät in der Nacht noch erleichtert zum Smartphone und twitterte über die erfolgreiche Einigung auf dem Brüsseler Gipfel. „Es herrschen Einheit und Solidarität“, schrieb der Belgier. Angesichts der vielen ungelösten Fragen klingt das aber eher wie eine Beschwörung, weniger wie eine Zustandsbeschreibung. ENDE-ENDE