Einschwörung: Luiz Gustavo (li.) und Julio Cesar Foto: Getty Images South America

Im StN-Interview - Ex-VfB-Stürmer Giovane Elber verfolgt die WM in seinem Heimatland aufmerksam – und hat dabei festgestellt, dass die Sehnsucht der Brasilianer nach dem schönen Spiel einem neuen Pragmatismus gewichen ist.

Ex-VfB-Stürmer Giovane Elber verfolgt die WM in seinem Heimatland aufmerksam – und hat dabei festgestellt, dass die Sehnsucht der Brasilianer nach dem schönen Spiel einem neuen Pragmatismus gewichen ist.
 
Herr Elber, an diesem Dienstag steigt das große Halbfinale – mit Ihnen im Stadion?
Klar, ich bin dabei, und mein Trikot habe ich mir schon zurechtgelegt.
Also das brasilianische.
Nein – mein Deutsch-brasilianisches. Eine Spezialanfertigung. Eine Hälfte deutsch, die andere brasilianisch. Ich bin auch ein Fan der deutschen Elf.
Und springen auf, wenn sie gegen Ihr Heimatland ein Tor schießt?
Ja. Ich freue mich über schönen Fußball und schöne Tore, vor allem, wenn das von den Deutschen kommt. Ich werde am Dienstag einfach bei jedem Tor jubeln (lacht).
Wie stehen die Chancen, dass das Team von Joachim Löw ins Finale einzieht?
Sehr gut. Deutschland kommt ins Finale und spielt dort gegen Argentinien. Das habe ich schon vor einigen Wochen gesagt, und jetzt bin ich davon noch überzeugter.
Weil Brasilien im Halbfinale auf Superstar Neymar verzichten muss?
Ja. Diesen Ausfall können die Jungs im Normalfall nicht kompensieren. Alles war auf Neymar zugeschnitten. es gibt keinen Plan B im brasilianischen Spiel, und deshalb fliegen sie gegen Deutschland wohl raus.
Einige Experten sagen, dass das Team jetzt enger zusammenrückt und sich einige Spieler aus Neymars Schatten spielen könnten.
Noch mehr als bisher ohnehin schon kann die Mannschaft nicht zusammenrücken, der Teamgeist ist beeindruckend und kann nicht mehr gesteigert werden – ebenso wie die Unterstützung der Fans. Und wer soll sich in den Vordergrund spielen?
Stürmer Fred, oder Oscar und Hulk.
Fred stand bisher nur am Sechzehner rum und hat auf Bälle von Neymar gewartet. Von ihm erwarte ich nach seinen schwachen Leistungen nicht viel. Oscar und Hulk könnten von Außen in die Mitte ziehen und dann für Torgefahr sorgen. Darauf wird die deutsche Mannschaft aber vorbereitet sein.
Prunkstück der Brasilianer war bisher die Defensive. Wie wichtig ist dabei die Rückkehr des zuletzt gesperrten Luiz Gustavo?
Er ist der Stabilisator. Durch seine Präsenz und seine Zweikampfstärke im defensiven Mittelfeld nimmt er der Abwehrreihe viel Arbeit ab. Er ist enorm wichtig für das Team.
Das galt bisher auch für Innenverteidiger Thiago Silva, der gelbgesperrt fehlt. Kann ihn Dante vom FC Bayern München adäquat ersetzen?
Ja, mit Sicherheit. Da sehe ich überhaupt kein Problem. Dante ist ein Top-Innenverteidiger, er hat mit dem FC Bayern die Champions League gewonnen, und beim Confed-Cup in Brasilien vor einem Jahr hat er überzeugt und sogar ein Tor geschossen.
Tore verhindern soll Keeper Julio Cesar, der bei der WM 2010 mit einem Fehler im Viertelfinale gegen die Niederlande das Aus der Brasilianer einleitete. Wie ist er drauf?
Sehr gut. Er hat die Sache von vor vier Jahren gut weggesteckt. Er ist ein emotionaler Typ und lenkt seine Gefühle mittlerweile in die richtigen Bahnen. Wie er das Achtelfinale gegen Chile mit zwei gehaltenen Elfmetern entschied, war beeindruckend. Er ist gerüstet fürs Halbfinale – kommt aber an die Qualität von Manuel Neuer nicht heran.
Bisher spielten die Brasilianer sehr hart und aggressiv – befürchten Sie, dass das Team diese Spielweise gegen Deutschland auf die Spitze treibt und so zum Erfolg kommen will?
Nein, das sind alles Profis, die wissen, wo die Grenzen liegen. Aber die Jungs müssen aufpassen, dass sie nicht mit zu viel Emotionen ins Spiel gehen, denn dann hat man keinen Kopf mehr für den taktischen Plan. Ich glaube, dass es den Brasilianern gelingen wird. Es wird kein Treterfestival geben.
Irgendwie scheint bei all der Aggressivität und Kompaktheit das jogo bonito, das schöne Spiel der Brasilianer, auf der Strecke zu bleiben. Wie sehr leiden die Fans darunter?
Spätestens nach dem Ausfall von Neymar sehen die Brasilianer die Sache pragmatisch: Gewinnen, egal wie, das ist das Motto. Die Mannschaft sieht das auch so – diese Haltung wird aber nicht reichen, weil das deutsche Team sehr gefestigt ist und über mehr Klasse verfügt.