Der Demonstrationszug auf dem Weg in Richtung Marktplatz Foto: Gottfried Stoppel

Rund 150 Gewerkschafter fordern während eines Demonstrationszugs durch die Stadt Waiblingen und bei ihrer Kundgebung auf dem Marktplatz mehr Gerechtigkeit und ein soziales Europa. Die meisten Teilnehmer der Demo sind altgediente Gewerkschafter, aber auch ein paar junge Leute der Antifa zeigen Flagge.

Waiblingen - Vier einsame Gestalten marschieren am Tag der Arbeit durch das verregnete Waiblingen. Sie werden sich gegen 10.30 Uhr mit anderen Gewerkschaftern beim Start des Demonstrationszugs in der Stuttgarter Straße treffen. Einer dieser Männer ist Joachim Bohn aus Murrhardt, 60 Jahre alt, seit seiner Zeit als Lehrling Mitglied bei der IG Metall. Das miese Wetter, sagt er, könne ihn nicht abhalten. Er befürchtet indes, dass sich nur ein kleines Grüppchen treffen wird zur Demo und zur anschließenden Kundgebung auf dem Marktplatz. Und er wird Recht behalten.

Geschätzt 150 Teilnehmer marschieren los. Es sind vornehmlich ältere Gewerkschafter, wenige junge Leute sind dabei. Bernd Hecktor, ein pensionierter Lehrer aus Weissach im Tal, wird später selbstironisch von einem Veteranentreffen sprechen, weil so viele grauhaarige Männer und Frauen da sind. Joachim Bohn schwelgt in Erinnerungen: In den 80er-Jahren habe er viele Wochen lang gestreikt, beim Kampf für die 35-Stunden-Woche.

„Früher waren immer ein paar hundert Menschen da.“

Hinter einem Polizeiauto mit blinkendem Blaulicht und hinter einem Lastwagen, von dem ohrenbetäubend laute Musik dröhnt, marschieren die Menschen auf der Bahnhofstraße in die Innenstadt. Der gelernte Werkzeugmacher Joachim Bohn erzählt, dass er selbst ganz zufrieden sei mit seinem Arbeitsplatz bei Bosch in Murrhardt. Er werde Anfang nächsten Jahres in den Vorruhestand gehen, nach 45 Jahren im Job. Er demonstriere an diesem 1. Mai in erster Linie für die nachfolgende Generation. Die Tochter sei Lehrerin, bekomme aber immer nur befristete Verträge. Bohn schaut ein bisschen traurig in die Runde und sagt dann: „Früher waren immer ein paar hundert Menschen bei der Demo.“

Ankunft auf dem Marktplatz. In der Luft liegt der Duft von Bratwürstchen. Im Wind flattern Fahnen, unter anderem von den Gewerkschaften, von der DKP und von den Jungsozialisten. Bernd Hecktor, der Pädagoge aus Weissach, erzählt strahlend, dass er „seit mindestens 50 Jahren“ zur Kundgebung am Tag der Arbeit komme. Auch während des Studiensemesters in den USA habe er am 1. Mai demonstriert. Er begrüßt ein paar Männer, ehemalige Schüler, längst selbst ergraute Betriebsräte und Mitarbeiter von Firmen aus dem Landkreis.

Kritik auch an der IG Metall

Hauptredner der Kundgebung ist Thomas Händel von den Linken, Mitglied des Europäischen Parlaments. Er fordert mehr Gerechtigkeit und ein sozialeres Europa. Händel prangert die vielen befristeten Arbeitsverträge an – und Joachim Bohn applaudiert. Händel spart auch nicht mit Kritik an der IG Metall, die jetzt den Weg frei gemacht habe für mehr Leiharbeit. Die Reallöhne, sagt er, seien heute niedriger als vor 20 Jahren. Dass im reichen Deutschland rund 1,5 Millionen Menschen nur mit Hilfe von Lebensmittelspenden über die Runden kämen, das sei ein Skandal. Händel ruft auf zum Widerstand, wenn die Rechte der Arbeiter eingeschränkt würden. Er fordert „so viel Europa wie nötig“, eine sozialere und demokratischere EU. Applaus, Applaus. Bernd Hecktor und viele andere Veteranen sind begeistert von den Thesen des Redners, und sie werden im nächsten Jahr ganz bestimmt wieder da sein, wenn der DGB zur Maidemo ruft.