Die Rückforderung von 62 Millionen Euro sorgt im Sindelfinger Rathaus für Kopfzerbrechen Foto: factum/Weise

Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssen etliche Städte und Gemeinden Gewerbesteuer zurückzahlen. Am härtesten trifft es Sindelfingen und Esslingen.

Stuttgart - Reinhold Sczuka beantwortet die Anfrage prompt und mit freundlichen Grüßen. Nein, teilt der Bürgermeister von Althütte (Rems-Murr-Kreis) mit, er rechne nicht damit, dass es der 4000 Einwohner zählenden Gemeinde ergehen könne wie Sindelfingen: „Die Gemeinde Althütte wäre froh, sie hätte solche Rückzahlungsprobleme“, schreibt Sczuka munter, „denn dann hätte sie in der Vergangenheit auch entsprechende Einnahmen gehabt.“

Im Jahr 2013 sind im Althütter Gewerbesteuertopf 565 230,53 Euro gelandet. Das langt nicht, um im Sindelfinger Topf auch nur den Boden zu bedecken: Damals kalkulierte man in der Großen Kreisstadt im Kreis Böblingen mit 80 Millionen Euro Gewerbesteuern. Doch nun muss der Daimler-Standort 38 Millionen Euro Gewerbesteuern plus 24 Millionen Euro Zinsen zurückzahlen. Der Grund: Daimler hatte Aktien-Wertverluste im Pensionsvermögen aus den Jahren 2002 und 2003 rückwirkend steuerlich geltend gemacht. Weil das nicht akzeptiert wurde, legte das Unternehmen Widerspruch gegen den Steuerbescheid ein, zog vor Gericht und bekam schließlich vom Bundesverfassungsgericht Recht.

Alleine sind die Sindelfinger damit nicht. Auch die anderen Daimler-Standorte bundes- und landesweit sind betroffen, allerdings, je nach Größe des Standortes, in unterschiedlichem Ausmaß. In der Region Stuttgart schlägt das Urteil in Esslingen mit 17,5 Millionen Euro ebenfalls deutlich zu Buche. Darüber hinaus müssen Fellbach (Rems-Murr-Kreis) 1,1 Millionen Euro, Affalterbach (Kreis Ludwigsburg) 700 000 Euro und Weil der Stadt (Kreis Böblingen) 9500 Euro aufgrund des Urteils zurückgeben. Ebenfalls betroffen sind eigenen Angaben zufolge Böblingen, Waiblingen und Weinstadt (Rems-Murr-Kreis); diese Städte machen aber wegen des Steuergeheimnisses keine Angaben über die Höhe der Rückerstattungen.

Weinstadt und Waiblingen betonen, die Rückzahlung sei gering. Der Böblinger Pressesprecher erklärt, es handle sich um „keine Größenordnung, die wir nicht schon bei verschiedenen Gewerbesteuerzahlern erlebt hätten“. Aus heutiger Sicht könne man die im Etat veranschlagten 52 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen trotz der Erstattung erreichen.

Die Stadt Stuttgart verrät nichts. Man habe das Urteil zur Kenntnis genommen, teilt der Pressesprecher mit. Ansonsten verweist er auf das Steuergeheimnis. „Fakt ist: wir planen mit 562 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen für das Jahr 2015. Wir gehen davon aus, dass wir den Ansatz auch erreichen werden“, so Sven Matis.

Regelrecht verwundert zeigt sich Ulrike Binninger, die Bürgermeisterin von Nufringen (Kreis Böblingen). Sie staunt, dass die betroffenen Städte so eindeutig kommunizierten, dass es sich im vorliegenden Fall um den Daimler-Konzern handle. Das einerseits. Andererseits seien die Gewerbesteuereinnahmen der betreffenden Städte seit Jahren „so volatil, dass sie mit schwankenden Einnahmen rechnen sollten“. Zumal Kommunen immer damit rechnen müssten, beispielsweise aufgrund von Betriebsprüfungen Steuern zurückerstatten zu müssen.

Davon kann Kornwestheim ein Lied singen: Die Stadt im Kreis Ludwigsburg hat in diesem Jahr einer EnBW-Tochter – wegen einer Betriebsprüfung – 15,7 Millionen Euro Steuern für 2007 zurückzahlen müssen. Die Zinsen, immerhin 5,4 Millionen Euro, hat das Unternehmen der Stadt bis zum Jahr 2017, wenn der Etat durch niedrigere Umlagenzahlen entlastet ist, gestundet. Die Rückzahlung hat den Finanzbürgermeister Dietmar Allgaier zwar nicht gefreut. Richtig weh getan haben ihn aber die satten Zinsen, die für solche Steuererstattungen fällig werden: Sechs Prozent pro Jahr sei angesichts der auf dem Markt geltenden Zinssätze nicht mehr zeitgemäß, kritisiert er.

Auch beim Gemeindetag Baden-Württemberg wirbt man sehr dafür, einmal durchzuschnaufen. „Mit solchen Wechselfällen muss man leben“, sagt Karl Reif, der für die Kommunalfinanzen zuständige Referent. Sindelfingen und Esslingen müssten zwar jetzt tief in die Tasche greifen. In zwei Jahren aber, wenn 2015 die Grundlage für die Berechnung der Umlagen ist, die von den Kommunen an den Kreis und für den kommunalen Finanzausgleich zu zahlen sind, werden deren Etats geschont.

Darüber macht man sich im Kreis Böblingen schon jetzt Gedanken. „Selbst, wenn wir nicht unmittelbar betroffen sind, trifft uns dieses Urteil mittelbar durch die Wirkungen des Finanzausgleiches und die Auswirkungen auf die Kreisumlage“, sagt etwa Ioannis Delakos, der Erste Beigeordnete von Holzgerlingen. „Insofern sind alle Gemeinden im Land, die des Landkreises Böblingen insbesondere, davon betroffen.“