Die ultrakonservative Duma-Abgeordnete Jelena Misulina ist der Meinung, dass Prügel in der Familie eigentlich gar keine Gewalt darstellen. Foto: dpa

Das russische Parlament stimmt für mildere Strafen bei häuslicher Gewalt. In Zukunft drohen milde Geldstrafen statt Gefängnis.

Moskau - Alte Traditionen haben in Russland Konjunktur. Hoch gehalten werden das Vaterland, der Glaube und natürlich die Familie. Alle drei Bereiche sind natürlich streng patriarchalisch organisiert. An der Spitze steht der wohlwollende Vater, der aber auch strafend eingreifen kann – wenn er muss.

In dieser Tradition steht ein Gesetz, das nun vom russischen Parlament verabschiedet worden ist. Es sieht deutlich mildere Strafen für häusliche Gewalt vor. Die Abgeordneten der Duma stimmten in zweiter Lesung für den Text, der jetzt nach einer dritten technischen Lesung noch dem Senat und dann Präsident Wladimir Putin vorgelegt werden muss. Das neue Gesetz reduziert die Strafen für Gewalt gegen Familienmitglieder bei Ersttätern, wenn sie nicht zu schweren Verletzungen führt. Bislang waren dafür Strafen von bis zu zwei Jahren Gefängnis vorgesehen, nun gelten Geldstrafen von umgerechnet bis zu 470 Euro. Das Parlament wies auch Vorschläge der Kommunistischen Partei zurück, Angriffe auf Kinder und Schwangere von den Abmilderungen der Strafe auszunehmen.

Kaum Proteste gegen das Gesetz

Proteste gegen das neue Gesetz gibt es kaum. Unverständnis erntete in Russland die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die erklärt, das Gesetz sei „ein widerlicher Versuch, häusliche Gewalt zu verharmlosen“. Auch Fakten halfen nicht, die Parlamentarier umzustimmen. Laut einer Statistik des Innenministeriums werden 40 Prozent aller Gewaltverbrechen in Russland im Umfeld der Familie begangen. 2013 kamen mehr als 9000 Frauen bei Vorfällen häuslicher Gewalt ums Leben. Nach UN-Angaben sterben jedes Jahr sogar rund 14 000 Frauen in Russland durch Gewalt ihrer Ehemänner oder anderer Verwandter.

Die Parlamentarier sehen das natürlich etwas anders. Duma-Sprecher Wjatscheslaw Wolodin erklärte etwa, mit dem neuen Gesetz „schafft der Staat die Voraussetzung für stabile Familien“, in deren Angelegenheiten man sich nicht einmischen wolle. Die ultrakonservative Abgeordnete Jelena Misulina, die auch das Verbot von „homosexueller Propaganda“ in Russland initiierte und den Entwurf zur Entkriminalisierung häuslicher Gewalt eingereicht hatte, ist der Auffassung: „So fürchterlich das Wort ‚Prügel‘ klingen mag, ist es in Wirklichkeit Gewalt ohne Schaden für die Gesundheit und sogar Gewalt ohne Gewalt.“

Die Polizei sieht weg

Eines der zentralen Probleme ist auch, dass Frauen kaum auf Hilfe hoffen können– auch wenn sie sich wehren. Russische Polizisten sind berüchtigt dafür, auf Notrufe wegen häuslicher Gewalt zögerlich zu reagieren. Viele betrachten solche Einsätze als Einmischung in innerfamiliäre Angelegenheiten. Die Staatsanwaltschaft nahm im November Ermittlungen gegen einen Polizisten auf, der einen Anruf einer Frau entgegennahm, die sich über aggressives Verhalten ihres Freundes beklagte. Anstatt Hilfe anzubieten, soll der Beamte der Frau gesagt haben, die Polizei komme nur, wenn die Anruferin getötet würde. Kurz danach prügelte der Mann die Frau laut Staatsanwaltschaft zu Tode.

Eine aggressive Politik des Kremls

Eine, die sich wehrt, ist Aljona Popowa. Sie hatte eine Online-Petition gegen die Vorlage des Gesetzes gestartet und mehr als 180 000 Unterschriften gesammelt. Die Aktivistin sieht die Bemühungen, häusliche Gewalt zu entkriminalisieren, als Fortsetzung der zunehmend aggressiven Politik des Kremls gegen verschiedene Gruppen wie aus dem Ausland finanzierte Nichtregierungsorganisationen oder Homosexuelle. „Ich glaube, es ist Teil einer übergreifenden Ideologie: Aggression und Gewalt sind in der Gesellschaft allgemein im Aufwind, da überall Krieg ist und wir von Feinden umzingelt sind“, sagt Popowa mit Blick auf die staatlichen Medien, die Russland als belagerte Festung darstellen.

Dass Aljona Popowa mit ihrer Petition eine breite Diskussion in der Gesellschaftanstößt ist allerdings mehr als unwahrscheinlich. Eine Umfrage vom Januar ergab, dass fast zwanzig Prozent der befragten Russen der Ansicht sind, dass Gewalt gegen Kinder oder Partner unter gewissen Umständen akzeptabel ist. Ein Sprichwort lautet sogar: „Wenn er dich schlägt, heißt das, er liebt dich.“