„Das ist wie ein Kult. Wenn man dazu gehören will, muss man grausam sein“, sagt Markus Gamache Foto: StN

Friedensarbeit ist extrem schwierig: Markus Garmache, Leiter eines protestantischen Friedensprojekts im Nordosten Nigerias, berichtet über die Gewalt der Boko Haram.

Stuttgart/Maiduguri - Die Sätze in der E-Mail sind kurz und abgehackt. Sie wirken gehetzt und voller Sorge: „Mein Herz rast wegen des Doppelanschlags in der Stadt Jos. Dort halten sich meine Frau und Kinder auf. Meine Familie rief mich an. Zum Glück ist ihnen nichts geschehen. Doch viele Seelen wurden verloren und verletzt.“ Diese Zeilen schrieb Markus Gamache spät in der Nacht zum Mittwoch.

Der Nigerianer und Protestant der Kirche der Geschwister aus dem Nordosten des afrikanischen Landes besucht gerade die Regionen Stuttgart und Basel, um über seine Arbeit als Friedensbeauftragter in seiner Heimat zu berichten und Unterstützung zu sammeln. Die Stuttgarter Evangelische Mission in Solidarität unterhält seit vielen Jahren schon über die Basler Mission Kontakte nach Nigeria.

Schlimm genug, dass seine Kirchengemeinde noch immer um die mehr als 200 Schülerinnen bangen muss, die islamistische Extremisten der Gruppe Boko Haram („Westliche Bildung ist Sünde“) Mitte April aus der Schule in dem entlegenen Chibok entführt hatten. Seine Kirche, erzählt der Vater von fünf Kindern, hatte die Schule dereinst gegründet. Die Mehrheit der entführten Schülerinnen in dem überwiegend muslimischen Landesteil gehörten zu seiner Kirche der Geschwister.

Doch der Terror scheint kein Halten mehr zu kennen: Zunächst wurden am Dienstag bei zwei Bombenattentaten in Jos mindestens 118 Besucher eines Marktes und eines Krankenhauses getötet. Dann kamen am Mittwoch in dem Dorf Alagarno, nicht weit von Chibok entfernt, bei einem neuen Terroranschlag mindestens 17 Menschen ums Leben. Mutmaßliche Mitglieder von Boko Haram hätten in dem Dorf stundenlang gewütet, ohne dass jemand eingegriffen habe, berichteten lokale Medien.

Nigerias Regierung kämpft seit Jahren schon mit der Islamistengruppe. Und obwohl sie einen umfassenden Feldzug führt und dabei oft auch unbeteiligte Zivilisten tötet, ist sie nicht in der Lage die Extremisten daran zu hindern, Schulen, ganze Städte und sogar die Hauptstadt anzugreifen.

Den 46-jährigen leise sprechenden Gamache überrascht die große Brutalität von Boko Haram nicht: „Das ist wie ein Kult. Wenn man dazugehören will, muss man grausam sein .“ Damit wende sich die Gruppe vor allem an die vielen jungen Männer ohne jede Perspektive. Doch Gamache warnt vor voreiligen Schlüssen. Der sich zuspitzende Konflikt sei nicht in erster Linie religiös motiviert. Viel wichtiger seien Armutsgefälle, ethnische Spannungen und auch die Korruption in Politik und Sicherheitsapparat. Und längst nicht alle Gewalttaten würden von den Boko-Haram-Leuten verübt.

„Die meisten Opfer sind auch Muslime“, betont Gamache, der Freunde und Familie unter Christen wie Muslimen hat, mit Nachdruck. Er selbst war in seiner Kindheit noch Muslim, bevor er mit 13 Jahren zum Christentum überwechselte. Heute erhebt er auch schwere Vorwürfe gegen die Behörden: „Die Regierung ist nicht hilflos.“ Doch Boko Haram fände Unterstützer bis in höchste Kreise, meint er.

Jede Friedensarbeit, wie Gamache sie versucht, ist da extrem schwierig. Sein Projekt gegen die Hoffnungslosigkeit: Er bietet jungen Muslimen und Christen ein Stipendium, damit sie sich zum Schneider, Automechaniker oder Computerfachmann ausbilden lassen können. Seine Bedingung: Sie müssten einen Freund in der jeweils anderen Religionsgruppe haben. „Wir versuchen, beiden Seiten die Hand zu reichen und die Gräben zu überwinden.“

Je mehr Gewalt verübt wird, desto mehr wächst das gegenseitige Misstrauen. Gamache bezieht seine Kraft aus dem Glauben. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft gibt er nicht auf. „Wir haben es selbst in der Hand, die Situation zu verändern. Die Demokratie in Nigeria wächst noch.“