Szene vom Pokalspiel in Magdeburg: Polizisten stellen sich vor dem Frankfurter Fanblock auf Foto: dpa-Zentralbild

Teile der Politik und Gesellschaft verbreiten den Eindruck, als reite der Fußball auf einer Welle der Gewalt. Doch stimmt das tatsächlich? Und wo liegen die Probleme?

Stuttgart - Die Polizei betreibt Saison für Saison einen enorm hohen Aufwand für die Sicherheit rund um Stadien von der Bundes- bis zur Oberliga. Das zeigen die Zahlen der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) in Duisburg, die seit der Spielzeit 1992/93 die Daten zur polizeilichen Arbeit beim Fußball erhebt. Derzeit wertet die ZIS die vergangene Spielzeit aus, die neuen Statistiken werden im Oktober erwartet. Für das Land gibt es bereits Zahlen. Nach Angaben des baden-württembergischen Innenministeriums gingen die Einsatzstunden in der vergangenen Saison erstmals seit Jahren zurück (von 193 196 auf 160 010). Bundesweit stagniere der polizeiliche Aufwand aber seit Jahren auf einem hohen Niveau, sagt der für die ZIS zuständige Sprecher Jan Schabacker. Nur: Warum ist das so? Sind Fußballspiele gefährlich?

Blickt man zurück auf den vergangenen Sonntag in Magdeburg, könnte man es meinen. Vermummte Chaoten im Block von Eintracht Frankfurt zündeten da Rauchbomben und schossen Leuchtraketen in die benachbarten Zuschauerränge, inmitten von Menschen. Die Magdeburger Anhänger fühlten sich ihrerseits provoziert und stürmten aufs Feld, eine Polizeikette verhinderte Schlimmeres. Hässliche Einzelfälle wie diese sind krass und unentschuldbar, verzerren allerdings das Gesamtbild – und bestimmen dadurch die Sicherheitsdebatten. Dabei verlaufen die meisten Spieltage friedlich.

Immer weiter steigende Belastung für die Polizei seit etwa zwölf Jahren

Und so reicht die Spurensuche nach den Gründen für die hohe polizeiliche Präsenz zurück bis in die Saison 2004/05. Damals stieg die durchschnittliche Zahl der Einsatzstunden pro Spiel plötzlich an – bei der Polizei der Länder im Laufe der Saison um ein Drittel, bei der Bundespolizei sogar um knapp die Hälfte. Was allerdings nicht an zunehmenden Krawallen vor und in den Arenen lag, sondern vielmehr an der nahenden Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland. Man habe damals bundesweit bei mehreren Spielen, insbesondere beim Confed-Cup, neue Einsatzkonzeptionen mit einem hohen Kräfteansatz getestet, sagt Schabacker.

An sich war es eine vernünftige Idee, die Beamten Erfahrung rund um Fußballspiele sammeln zu lassen, um auf die WM vorbereitet zu sein. Die Entscheidung setzte gleichzeitig aber eine folgenschwere Spirale in Gang. Mehr Polizisten registrierten rund um die Stadien mehr Straftaten. Und wie steuerte man dem entgegen? Oft durch noch mehr Beamte. In der Kriminologie wird dieses Phänomen als „Lüchow-Dannenberg-Syndrom“ bezeichnet: Je mehr Personal die Polizei einsetzt, desto mehr Strafverfahren werden eingeleitet. Aus den gestiegenen Zahlen der ZIS lässt sich für den Bochumer Kriminologen Thomas Feltes deshalb nicht zwingend eine Zunahme der Gewalt ableiten. Die Statistik sei im Wesentlichen als ein Arbeitsnachweis der Polizei zu sehen, sagt er.

Grafik - Polizeieinsatzstunden von Bundes- und Oberliga im Land:

Doch wie lässt sich die Spirale zurückdrehen? Sollten die Einsatzleiter einfach weniger Beamte einsetzen? Ganz so einfach ist das nicht. Die Ultras, die seit Mitte der 90er Jahre die Fankurven dominieren, sind keine homogene Masse. Zwar steht für die deutliche Mehrzahl der Ultras nicht die Gewalt im Mittelpunkt, sondern die Liebe zu ihrem Verein, zu ihrer Stadt, zu ihrer Gruppe. Aber die verteidigen sie bedingungslos, notfalls auch mit Fäusten. „Es gibt kaum eine Ultragruppierung, die Gewalt komplett ablehnt“, sagt Michael Gabriel, der Leiter der Koordinationsstelle (KOS) Fanprojekte in Frankfurt.

Dass die Polizei für die Ultras traditionell ein Feindbild ist, spitzt die Situation für alle Beteiligten zu. Denn die Subkultur fühlt sich von deren hoher Präsenz – vielerorts in martialischer Montur – provoziert, manchmal auch gegängelt oder unterdrückt. Ein Effekt dieses Gefühls ist, dass sich selbst besonnene Zeitgenossen mit Randalierern solidarisieren. Das Verhältnis zwischen Polizei und Teilen der Fans ist – je nach Standort – entsprechend angespannt bis hin zu vergiftet. Das Verständnis füreinander und der Respekt voreinander seien zuletzt immer weiter gesunken, sagt Gabriel: „Das ist eine bedrohliche Entwicklung.“ Auslöser sei wohl das abrupte Ende der Debatte um die Pyrotechnik-Legalisierung 2011 gewesen. Aber gibt es einen Weg, die Spannungen zwischen Polizei und Ultras zumindest ein wenig zu lösen?

Unter den aktuellen Voraussetzungen sei das schwierig, sagt ein Experte aufseiten der Polizei: „Man bräuchte mehr Differenzierung und Verständnis auf beiden Seiten und einen ernsthaften Dialog. Das geht aber nicht von heute auf morgen.“

Hannoveraner Modell setzt sich nicht durch

Dass es nicht utopisch ist, hat die Polizei in Hannover bereits gezeigt. Von 2008 an wählte sie über mehrere Jahre hinweg einen kommunikativ-deeskalierenden Ansatz. Selbst bei Hochrisikospielen kesselte sie die Gästefans nach der Ankunft am Bahnhof nicht direkt ein, sondern setzte auf Freiräume und mehrere Konfliktmanager, die sie zum Stadion begleiten sollten. Für den Fall, dass sich die Anhänger nicht an die vorgegebene Fantrennung halten wollten oder randalierten, hielten sich außer Sichtweite Beweis- und Festnahmeeinheiten (BFE) bereit. Das Konzept funktionierte, es blieb ruhig. Die Polizei konnte Kräfte einsparen. Trotzdem setzte sich das Hannoveraner Modell in Deutschland nie flächendeckend durch. Die aktuellen Einsatzkonzepte sind restriktiv angelegt.

In Baden-Württemberg gibt es im Bundesvergleich eher selten Probleme. Gemessen am Zuschaueraufkommen liegen die Zahlen der eingeleiteten Strafverfahren und Körperverletzungen rund um Fußballspiele aber auch bundesweit im Promillebereich. Doch das wird gerne weggewischt. Besonders von Innenpolitikern.

Politische Dimension der Debatte führt nicht gerade zu einer Besserung der Situation

Für sie ist der Fußball ob seiner Popularität zu einer Spielwiese geworden, auf der sie sich mit Forderungen nach maximaler Sicherheit im Stadion, noch mehr Härte gegen Störer oder einer Reduzierung von Gästekartenkontingenten, um Polizeikräfte einsparen zu können, zu profilieren versuchen. Die Polizei gerät dadurch unter Druck und fürchtet um ihren Ruf, die Fans um ihre Rechte. Die Konfliktspirale dreht sich weiter, die Vereine sitzen ohnmächtig mittendrin. Viele von ihnen gehen nur zaghaft gegen Chaoten vor – teils, weil sie nicht identifiziert werden können. Teils aber auch aus Angst, die Fans könnten sich gegen den Verein wenden, wenn dieser Sanktionen erlässt. So bleibt am Ende der Eindruck, als führe das politische Aufladen der Sicherheitsdebatte eher zu einer weiteren Stufe der Konfrontation als zu einer Besserung der Situation.

Nicht zu vergessen ist die Frage, warum sich die Vereine oder deren Dachorganisationen nicht an den Kosten für Polizeieinsätze beim Fußball beteiligen. Das klamme Bremen hat als bisher einziges Bundesland ein Gesetz erlassen, wonach die Kosten bei Hochrisikospielen vom Veranstalter eingefordert werden können. Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) schickte bereits zwei Rechnungen an die DFL in Höhe von insgesamt rund 650 000 Euro. Doch die DFL blockte ab und legte Ende Juli Klage beim Verwaltungsgericht Bremen ein. Beide Parteien wollen nun alle juristischen Schritte ausschöpfen. Eine Verhandlung wird nicht vor Ende des Jahres erwartet.

Grafik - Die Zahl von bundesweiten Strafverfahren im Umfeld von Profi-Fußballspielen:

Hooligans und Ultras

Die Begriffe Hooligans und Ultras werden gerne vermischt. Den Hooliganismus, wie es ihn in den 80er und 90er Jahre gab, als sich zwei Lager zu Schlägereien an Drittorten verabredeten und dies meist ohne Kenntnis der Öffentlichkeit blieb, gibt es heute jedoch kaum noch. Allenfalls Duelle großer Rivalen oder Großereignisse wie zuletzt die EM in Frankreich ziehen noch Alt-Hools, aber auch Personen aus der Türsteher- und Kickboxszene an. An Spielen sind diese Gruppen nur am Rande interessiert. Sie nutzen die Plattform Fußball primär, um sich zu prügeln und Aufmerksamkeit zu erhaschen.

In den Kurven und bei der Polizei rückten seit Mitte der 90er Jahre die Ultras in den Fokus. Sie sind der mächtigste und größte Teil einer Fanszene. Ihr Fokus liegt auf dem Fußball, sie beeindrucken durch imposante Choreografien und stimmgewaltige Gesänge, vertreten subkulturell geprägte Werte und entwickeln hieraus manchmal eine Nähe zur Gewalt.

Die Polizei unterscheidet nicht zwischen Hools und Ultras. Sie ordnet die Problemfans in die Kategorien B (gewaltbereit) und C (gewaltsuchend) ein. Bundesweit schätzt die Polizei ihre Zahl auf mehr als 20.000. Nach Angaben des baden-württembergischen Innenministeriums gibt es im Land derzeit etwa 1900 Problemfans.