Seife ist nur eines von vielen Pflegeprodukten, in denen Aktivkohle zum Einsatz kommt. Foto: Adobe Stock

In immer mehr Kosmetik- und Wellnessprodukten ist Aktivkohle enthalten – Das kann sogar schaden, warnen Experten.

Bremen - Rot, Gelb, Blau, Grün – Shampoos, Hautcreme, Fitnessdrinks oder Zahnpasta kommen häufig in bunten Farben daher. Doch die Wellness- und Kosmetikbranche hat eine neue Trendfarbe: Schwarz. In Drogerien findet man immer mehr Produkte mit Aktivkohle, die auch noch deutlich teurer sind als ihre konventionelle Konkurrenz. Sie sollen die Zähne bleichen, Haut und Haare entgiften und als „Blitz-Detox“ eine gründliche Reinigung des Körpers bieten. Doch Experten warnen: Aktivkohle wirkt – und das muss nicht immer ein Vorteil sein.

Bis zu 2000 Quadratmeter groß ist die innere Oberfläche eines Gramms Aktivkohle. Vier Gramm beherbergen in ihrem Inneren also die Fläche eines kompletten Fußballfelds. Die so kompakt wirkende Kohlenstoffmasse aus verkokelten Pflanzen weist extrem viele winzige Hohlräume auf – ähnlich wie ein Schwamm, nur viel feiner. Dadurch vergrößert sich die innere Oberfläche drastisch. Das macht Aktivkohle zu einem idealen Fänger für missliebige Substanzen, die gut an ihr haften bleiben. Das erklärt, warum man Holzkohle schon in vorchristlicher Zeit verwendete, um Wasser und Wunden zu reinigen oder Tote einzubalsamieren.

Zur Entgiftung wird Aktivkohle auch heute noch in der Medizin eingesetzt. Beispielsweise bei Arzneimittelüberdosierungen oder auch Durchfall, weil sie neben Bakterien und deren Stoffwechselprodukten auch überschüssiges Wasser aus dem Darm zieht. Doch in jüngerer Zeit findet man sie auch zunehmend in Getränken und Seifen sowie Haar-, Haut- und Zahnpflegeprodukten. Ein echter Renner sind derzeit Zahnbürsten mit tiefschwarzen Kohle-Borsten, die selbst hartnäckige Beläge entfernen und so ein strahlendes Lächeln bringen sollen.

Experten sind skeptisch – und verwundert

Experten sehen diesen Trend mit Skepsis – und Verwunderung. „Es ist schon erstaunlich, dass etwas, das sonst überwiegend in der Technik zum Einsatz kommt, plötzlich als Wellnessmittel gepriesen wird“, sagt Bernhard Uehleke vom Naturheilkunde-Lehrstuhl der Berliner Charité. Wobei der promovierte Mediziner und Physiker der Aktivkohle nicht ihre Wirkung absprechen will: „An ihrem Adsorptionspotenzial gibt es keine Zweifel.“ Doch das sei gerade auch ihr Problem.

Denn die Aktivkohle „weiß“ nicht, welche Stoffe sie adsorbiert, sie geht dabei ziemlich unspezifisch vor. So zieht sie nicht nur Pilzgifte, Strychnin und DDT aus dem Verkehr, sondern auch viele Schmerz- und Schlafmittel sowie Antidepressiva, Blutdrucksenker und andere Medikamente, die dadurch an Wirkung verlieren. Außerdem wird die Eisenaufnahme blockiert, Patienten mit Blutarmut sollten also besser keine Aktivkohle einnehmen. Auch Gerbstoffe oder Polyphenole versinken in den unendlichen Poren der Kohle, was ebenfalls schade ist, denn diese vor allem in Gemüse, Tee, Rotwein und Kakao vorkommenden Substanzen gelten mittlerweile als Antioxidanzien, die den Körper vor Krebs und Arteriosklerose schützen. Wer also täglich Grüntee und Aktivkohle zu sich nimmt, erzielt keineswegs einen doppelten Wellnesseffekt.

Möglicherweise erzielt er sogar eine negativ Wirkung, wenn er Aktivkohle zum Zweck der Entgiftung einnimmt. Denn aus ihrem Einsatz als Wasserfilter ist bekannt, dass sie zwar diverse Problemstoffe an sich zieht, doch diese unter bestimmten Bedingungen auch wieder abgibt. „Und dies geschieht dann unkontrolliert“, warnt Uehleke. Ganz zu schweigen davon, dass Aktivkohle ein Katalysator für bestimmte chemische Umsetzungen sein kann. Es könnte also durchaus sein, dass sie Problemstoffe zur Bildung neuer Verbindungen mit unerwarteten Wirkungen animiert. „Das würde dann ganz und gar nicht zum ursprünglichen Entgiftungsgedanken passen“, warnt Uehleke. Gerade im Hinblick auf den langfristigen Konsum von Aktivkohle sei „noch sehr viel Forschungsarbeit zu leisten“, meint der Naturheilkunde-Experte. Angesichts dieser Unsicherheit hält er Heilerde für ein besseres Entgiftungsmittel, denn zu ihr existiere bereits ein großes Erfahrungswissen – beispielsweise auch, was ihren Einsatz beim Heilfasten angeht.

Statt Aktivkohle enthalten manche Produkte Industrieruß

Bleibt die Frage, ob man Aktivkohle wenigstens äußerlich ohne Bedenken einsetzen kann, also in Reinigungs- und Pflegeprodukten für Haut, Haare und Zähne. Schaut man auf die Inhaltsangaben dieser Produkte, so findet man dort nicht nur Namen wie „Activated Charcoal“ oder „Charcoal Powder“, hinter denen sich tatsächlich Aktivkohle verbirgt, sondern auch Begriffe wie „Carbon Black“ und „CI 77266“, die für sogenannten Industrieruß stehen, der auch schon mal in Mascara oder Lidschatten als Farbstoff eingesetzt wird. Er kann polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) enthalten, von denen einige als krebserregend gelten. Zudem ist offen, ob der Ruß ähnlich adsorbierende Eigenschaften wie echte Aktivkohle hat.

Wobei selbst diese in einem Duschgel oder einer Zahnpasta mit ihren vielen anderen Bestandteilen nicht unbedingt so wirken kann, wie in reiner Form. Denn gerade weil Aktivkohle so reaktiv ist, hält es Uehleke für wahrscheinlich, „dass sie mit den vielen Inhaltsstoffen einer Zahncreme reagiert“. Was bedeuten würde, dass der schwarze Adsorber schon gesättigt ist, wenn er in Kontakt mit den Zähnen kommt.

Skeptische Tester

Wirkung Die Zeitschrift „Ökotest“ beschäftigte sich im vergangenen Jahr in einer Kosmetik-Sonderausgabe ausführlich mit Aktivkohleprodukten für Haut, Haare und Zähne. Die Redaktion schrieb auch die Hersteller an, ob sie irgendwelche Studien zu den angeblichen Wirkungen ihrer Produkte hätten. Es kam: nichts.

Qualität Die Tester bewerteten die Qualität von 15 „schwarzen“ Kosmetika, die hierzulande verkauft werden. Fünf erreichten gerade mal die Note „befriedigend“ – und sechs bekamen ein krachendes „Ungenügend“.

https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.kosmetik-zarte-lippen-sind-kein-eitler-luxus-page1.8e983e0c-2d75-4f53-8fd8-bbaa795e59d0.html