Menschen, die alleine und dabei unglücklich sind, haben häufig auch körperliche Leiden. Foto: dpa

Immer mehr Menschen ziehen in Städte, die Zahl der Singlehaushalte nimmt zu. Die Folge: Viele fühlen sich einsam. Der Psychiater Manfred Spitzer erklärt, weshalb das gefährlich ist.

Stuttgart - Etwa vier sehr gute Freunde hat ein Mensch im Durchschnitt – solche, die man notfalls auch nachts um drei Uhr noch anrufen kann. Dazu kommen circa 15 gute Freunde und 150 Bekannte. Der Mensch ist ein Herdentier, könnte man also sagen. Er ist, im Idealfall, in ein soziales Gefüge eingebunden, das ihm Halt gibt und Orientierung. Doch die Gemeinschaft bröckelt.

Manfred Spitzer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Ulm, nennt dafür gleich mehrere Gründe. Seine Schlagwörter heißen Urbanisierung, Singularisierung und Medialisierung. „Schon heute leben ungefähr 50 Prozent der Menschen in Städten“, sagte Spitzer kürzlich bei seinem Vortrag im Rahmen der Stuttgarter Psychotherapietage 2017. „Demnächst soll ihre Zahl sogar auf 70 Prozent steigen.“ Parallel dazu nimmt die Zahl der Singlehaushalte in Deutschland zu: Mit knapp 17 Millionen ist die Zahl der Einpersonenhaushalte nach Angaben des Statistischen Bundesamtes weitaus größer als die der Familienhaushalte mit mindestens drei Personen. Von ihnen gibt es hierzulande weniger als elf Millionen.

Mit dem Phänomen der Medialisierung, der verstärkten Nutzung von Medien wie Laptop, Tablet oder Smartphone, dürfte mittlerweile eigentlich jeder vertraut sein. Nicht ohne Grund wurde das Kofferwort „Smombie“ – ein Zwitter aus den Begriffen Smartphone und Zombie – 2015 zum Jugendwort des Jahres gewählt. Was damit gemeint ist? Menschen, die wie gebannt auf ihr Handy starren und so ihre Umgebung kaum mehr wahrnehmen. Studien belegen, dass heute schon acht- bis zwölfjährige Mädchen mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen als mit Gleichaltrigen.

„Einsamkeit ist der Killer Nummer eins“

Das ist auf Dauer nicht ungefährlich, meint Manfred Spitzer. Denn einsam kann man sich auch dann fühlen, wenn man nicht tatsächlich von anderen isoliert ist. Welche Folgen das haben kann, belegt eine Meta-Analyse von Forschern um die Psychologin Julianne Holt-Lunstad von der Brigham Young University im US-Bundesstaat Utah. Die Wissenschaftler verglichen 70 Studien, darunter die Daten von mehr als 3,4 Millionen Versuchspersonen. Sie fanden heraus: Einsamkeit ist tödlich. Fühlt sich jemand dauerhaft einsam, ist sein Sterberisiko um 26 Prozent erhöht. Ist man tatsächlich sozial isoliert, steigt das Risiko auf 29 Prozent. Bei Menschen, die alleine leben, sind es sogar 32 Prozent. „Einsamkeit ist der Killer Nummer eins“, betont Spitzer. „Noch vor den Risikofaktoren Übergewicht und Rauchen.“

Und sie ist genauso ansteckend wie eine Grippe. Fühlt sich jemand einsam, ist es gut möglich, dass es ihm nahestehenden Menschen – engen Freunden, Nachbarn oder dem Ehegatten – im darauffolgenden Jahr ebenso ergeht. Das ergab eine US-Studie unter der Leitung des Psychologen John T. Cacioppo von der University of Chicago. Demnach liegt die Wahrscheinlichkeit dafür sogar bei rund 50 Prozent. Die „Ansteckungsgefahr“, schreibt Cacioppo, gelte selbst noch für die Freunde des besten Freundes. Frauen seien dabei etwas eher geneigt als Männer, die Einsamkeit zu übernehmen.

„Einsamkeit tut weh“

Die Betroffenen leiden nicht selten sogar unter körperlichen Schmerzen. Bei ihnen ist der anteriore Gyrus cinguli aktiv – die Hirnregion, die auch für das Schmerzempfinden zuständig ist. „Einsamkeit tut weh“, sagt Spitzer. „Das ist mittlerweile wirklich gut untersucht.“ Aus diesem Grund kenne jeder Kliniker einsame Personen, die täglich Schmerzmittel zu sich nehmen – obwohl sie gar keine körperlichen Beschwerden haben.

Der Wirkstoff Acetaminophen, der etwa in Paracetamol enthalten ist, reduziert zwar nachweislich das Gefühl der Einsamkeit, da er auf das Schmerzzentrum wirkt. Eine dauerhafte Lösung ist er indes nicht: Schmerztabletten können schnell süchtig machen. Zudem schadet die langfristige Einnahme dem Körper. Sie kann unter anderem zu Magenbeschwerden und Herz-Kreislauf-Problemen führen. Gegen die Schmerzen müsse man deshalb anders vorgehen, sagt Spitzer. „Sie signalisieren uns letztlich: Deine körperliche Integrität ist in Gefahr. Du solltest etwas an deinem Verhalten ändern.“ Bei einem Beinbruch, führt der Psychiater und Psychologe aus, würde man das verletzte Bein ja auch nicht mehr belasten. „Das begreifen wir ganz spontan.“

Aktiv werden und die Nähe anderer suchen

Was jedoch hilft gegen das schmerzhafte Gefühl der Einsamkeit und seine Folgen? Die Antwort mag wenig überraschen. Sie lautet: aktiv werden und die Nähe anderer suchen. Ob man Sport im Verein treibt, in der Volkshochschule einen Sprachkurs besucht oder mit anderen Theater spielt, ist dabei erst einmal zweitrangig. „Wer sich in einem sozialen Netzwerk eingebettet fühlt, leidet weniger unter Stress“, sagt Spitzer. „Und fasst es als weniger schlimm auf, wenn er tatsächlich einmal in eine schwierige Situation gerät.“

Einen besonders positiven Effekt haben ihm zufolge gemeinschaftliche Aktivitäten wie etwa das Singen im Chor. Aktivitäten, bei denen die Teilnehmenden ihr Verhalten koordinieren und sich dabei aufeinander einstimmen müssen. Weitere Befunde legen nahe, dass Menschen, die ehrenamtlich aktiv sind und dabei anderen helfen, sich nicht nur weniger einsam fühlen, sondern auch länger leben. Daneben könne man die Einsamkeit sogar aktiv aufsuchen, um sie zu bekämpfen, fügt Spitzer hinzu: „Wer hinaus in die Natur geht, der grübelt nachweislich weniger, ist kreativer und prosozialer.“ Der Grund dafür? In der Natur erlebt sich der Mensch als kleinen, aber zugleich festen Bestandteil der Welt, des großen Ganzen. Eine beruhigende und zugleich sehr schöne Vorstellung.

Körperliche Folgen

Stress: Dauerhafte Einsamkeit kann sich auf den Körper auswirken wie Stress. „Akuter Stress ist ein lebensrettender Vorgang“, betont der Psychiater Manfred Spitzer. „Er sorgt dafür, dass wir blitzschnell reagieren können.“ Bricht zum Beispiel jemand im Winter auf einem zugefrorenen See ein, stellt sein Körper sofort Energie bereit, die es ihm ermöglichen soll, sich aus eigener Kraft zu retten.

Konsequenzen: Steht ein Mensch unter Dauerstress, kann das jedoch negative Folgen haben. Bei akutem Stress wird der ganze Körper in Alarmbereitschaft gesetzt: So gehen beispielsweise die Blutzuckerwerte nach oben, die Blutwerte sind erhöht und die Verdauung gehemmt. „Das ist sehr anstrengend für den Körper“, erklärt Fred Christmann, psychologischer Psychotherapeut von der Stiftung Psyche in Stuttgart. Kommen solche Bedrohungswerte häufig vor, kann dies unter anderem zu Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Entzündungen führen.