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Kopfstand: Israelische Ärzte haben eine neue Therapieform für das Männerleiden entwickelt.

Tel Aviv - Weltweit lassen vergrößerte Prostatae Millionen Männer keine Nacht durch- schlafen. Israelische Forscher wollen die sogenannte benigne Prostatahyperplasie (BPH) mit einer neuen Therapie heilen. Die Idee brachte ihnen ihr Studium der Strömungsmechanik.

Die Mehrheit der Männer im reifen Alter kennt das Problem: Wenn die Prostata wächst, wird der Alltag zur Hölle. Je umfangreicher die etwa kastaniengroße Drüse im Becken wird, desto mehr schnürt sie den Harnleiter ab. Der Urinstrahl wird schwächer, der Gang zur Toilette verwandelt sich in eine häufiger werdende, schmerzvolle Qual. Und das ist nur die erste Phase. Im fortgeschrittenen Stadium drückt die gutartige Prostata-Vergrößerung, die Ärzte benigne Prostatahyperplasie (BPH) nennen, den Harnleiter fast vollends zu. Die Blase kann sich nicht mehr entleeren. Nierenschäden und häufige Infektionen folgen. Rund die Hälfte der Männer über 50 Jahren leiden unter der sogenannten BPH. Sind sie älter als 80 Jahre, sind drei Viertel davon betroffen.

Doch das heute so weit verbreitete Krankheitsbild von BPH könnte schon bald der Vergangenheit angehören. Das behaupten zumindest die israelischen Ärzte Yigal Gat und Menahem Goren, die einen völlig neuen Therapieansatz für BPH gefunden haben wollen.

Probleme beim Wasserlassen und Impotenz

Bisherige Therapien setzen auf zwei Ebenen an. Bei der einen wird die Prostata mit einem chirurgischen Eingriff entfernt. Doch egal ob man schneidet, schabt, die Prostata einfriert, bestrahlt oder mit Mikrowellen verdampft: Das Risiko für ungewollte Schäden bleibt groß. Statt nicht mehr Wasser lassen zu können, läuft bei so manchem Patienten nun die Blase einfach über. Auch Impotenz und sogar der Tod können mögliche Folgen des beschwerdereichen Eingriffs sein.

Der andere Therapieansatz beruht auf der Vermutung, dass die BPH von einer altersbedingten Störung des Hormonstoffwechsels herrührt: Die Zellen der Prostata wachsen, weil sie großen Mengen des männlichen Hormons Testosteron ausgesetzt sind. Folglich verschreibt man Medikamente, die die Verwandlung von Testosteron in den noch viel potenteren Wirkstoff Dihydrotestosteron verhindern.

Doch was sich so einfach anhört, ist eins der großen Rätsel der modernen Medizin: Die Prostata wächst wegen zu viel Testosteron, bei Studien wurde im Blut von BPH-Patienten aber eine viel niedrigere Konzentration des Botenstoffes als bei jungen Männern gefunden. Erhielten sie nun auch noch Medikamente, war es bei vielen mit der von Testosteron angefeuerten Liebeslust vorbei. Zwar konnten sie sich dank des verbesserten Urinstrahls nun endlich wieder ganz entleeren, doch die sexuelle Lust blieb aus.

Blutstau im Hoden

Alles überholt, sagt der israelische Androloge und Prostataforscher Yigal Gat zu beiden Therapie-Ansätzen. Dank seiner Ausbildung leuchtete er das Problem auf neue Weise aus: Bevor er Arzt wurde, studierte Gat an der technischen Hochschule in Haifa Physik, mit dem Schwerpunkt Strömungsmechanik: „Das ganze Problem ist Physik.“ So sei das Leiden BPH eine Folge des aufrechten Ganges des Homo sapiens. Da der Mensch auf zwei Beinen gehe, müsse das Blut vom Hoden auf einzigartige Weise abgeführt werden: „Bei Tieren fließt das Blut in den Venen horizontal. Aber bei Menschen muss es nach oben, zurück zum Herzen, ohne dass es dafür eine Pumpe gibt.“

Deswegen entwickelten sich in der Vena spermatica Klappen, die das Blut nur in eine Richtung durchlassen: Gen Herzen. „Mit zunehmendem Alter funktionieren diese Klappen aber nicht mehr, ein Rückstau ist die Folge.“ Der Stau erzeuge im Hoden einen bis zu achtfach höheren Druck als normal. Statt an der Niere vorbei fließt das Blut nun durch Kollateralgefäße, also natürliche Umleitungen, auf anderen Wegen zurück zum Herzen. Dieser Umweg führt über die Prostata: „Das ist das Problem“, sagt Gat. Der Blutstau lasse nicht nur die Prostata anschwellen, sondern überschwemme sie auch mit Testosteron direkt aus dem Hoden nebenan: „Statt wie der gesamte Körper stark verdünnte Portionen zu erhalten, bekommen die Zellen der Prostata eine geballte Ladung Hormon ab“, sagt Gat. So entstehe BPH. „Es ist also keine hormonelle Störung.“

"Das Blut drängt nicht mehr in die Prostata"

Folglich behandeln Gat und Goren BPH, indem sie die problematischen Blutgefäße mit Kathetern schließen: „Wenn die Vena spermatica zu ist, gibt es keinen Druck mehr im Hoden. Das Blut drängt jetzt nicht mehr in die Prostata, sondern fließt normal ab. Problem gelöst“, sagt Gat. In einer ersten Studie, die 2009 im „European Urological Review“ erschien, behandelten die israelischen Ärzte erfolgreich 28 Männer: Nach sechs Monaten waren die Prostatae um rund 55 Prozent geschrumpft. Die Männer standen jetzt höchsten zweimal in der Nacht auf, um Wasser zu lassen. Inzwischen hat Gat nach eigenen Angaben mehr als 120 Patienten mit seiner neuen Methode behandelt: „Die Therapie war bei mehr als 85 Prozent erfolgreich.“

Insgesamt dauert die Behandlung rund zwei Stunden. Währenddessen werden die Patienten lediglich lokal betäubt und können anschließend nach Hause gehen. Die Symptome selbst verschwinden innerhalb weniger Wochen. Auch gewinnen die Patienten an Lebensqualität: Der Testosteronspiegel steigt wieder, die Männer berichten, dass sie mehr Kraft, Lebens- und Liebeslust hätten. Noch dazu ist die Methode risikoarm. Kein Patient habe beim Eingriff Schaden erlitten.

Deutsche Experten wie der Direktor der Urologischen Klinik im Klinikum Rechts der Isar in München, Jürgen Gschwend, bestätigen, dass der Ansatz „sehr originell ist. Niemand kam bisher auf die Idee, BPH von dieser Seite anzugehen.“ Bevor nicht große Studien dasselbe Ergebnis in mehreren Zentren erzielen, warnt Gschwend dennoch vor zu großer Euphorie. „Revolutionäre Entdeckungen verlieren bei intensiver Untersuchung oft viel von ihrem Glanz.“

Wer diese Studien nicht abwarten will, dem gibt Gschwend eine billigere Alternative auf den Weg: Yoga. Denn falls BPH tatsächlich von einem Blutstau im Hoden rührt, müssten auch regelmäßige Kopfstände Abhilfe schaffen, so der Experte.