Witze statt Druck: Mark Hempfing (vorne links), seine C-Jugend-Fußballer und die Klientinnen und Klienten der Lebenshilfe haben viel Spaß beim Sport. Foto: Roberto Bulgrin

Sport ist für Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen wichtig. Beim Training mit Handicap sollte der Spaß im Vordergrund stehen. Denn Überforderung führt zu Frust.

Kreis Esslingen - Es geht ausgelassen zu, vor der Sportstunde auf der Terrasse eines Wohnhauses in Wäldenbronn. Gesprächsthema ist das Fußballspiel am vergangenen Wochenende – und wie viele Würstchen der ein oder andere am Rande des Rasens verdrückt hat. Das bleibt der Running Gag in den folgenden 45 Minuten. Als auch die Raucher unter den Teilnehmern ihre Zigaretten im Aschenbecher ausdrücken, kann es endlich losgehen mit dem Aufwärmen. Erst ein bisschen auf der Stelle treten, dann dabei die Arme kreisen. Erst einen, dann zwei, in die gleiche oder die entgegen gesetzte Richtung. Das klappt nicht bei jedem der gut 15 Sportlerinnen und Sportler, ob mit oder ohne Behinderung. Geschenkt. Denn bei dem Kooperationsprojekt des TSV Wäldenbronn mit der Lebenshilfe Esslingen geht es vor allem um eines: „Es soll allen Spaß machen“, sagt Mark Hempfing, Trainer und Leiter der Fußballabteilung des TSV Wäldenbronn.

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Sport mit Kompromissen

Seit etwa zweieinhalb Jahren treiben C-Jugendspieler des Sportvereins und Bewohnerinnen und Bewohner des Lebenshilfe-Wohnheims immer montagabends gemeinsam Sport. Eine besondere dreiviertel Stunde, an der sowohl die Jugendlichen als auch die Menschen mit Handicap gerne teilnehmen, wie Trainer Hempfing erzählt. Dabei mussten sich beide Seiten aneinander anpassen: die einen sich an immer wieder neue Gesichter gewöhnen, was zu Beginn Verunsicherung auslöste. Die anderen mussten Berührungsängste abbauen und Möglichkeiten austesten. „Ich war am Anfang unsicher und habe mich gefragt, was ich überhaupt machen kann“, erinnert sich Mark Hempfing. Schnell haben er und seine Jungs festgestellt, dass ihre neuen Trainingspartner, genau wie sie, gerne Sport machen, Geselligkeit und Spaß haben wollen.

Bei den Übungen sind Routinen wichtig, damit sie gelingen werden Zweierpaare mit und ohne Behinderung gebildet. Wer die Lust verliert, kann sich zwischendurch ausklinken. „Es ist aber auch wichtig, dass sich die Leute etwas zutrauen und dass sie aufgemuntert werden“, erklärt Hempfing und verweist auf eine Übung, bei der die Teilnehmer in einem Kreis stehen und sich Bälle weiterreichen. Am Anfang seien sie bereits bei einem nervös geworden – an diesem Abend sind bis zu fünf Bälle in der Runde.

Die sozialen und emotionalen Aspekte des Sports seien sicherlich höher zu bewerten, als die Fitness, sagt Elisabeth Hoefer-Lücke. Sie leitet die Rollisportgruppe beim Behinderten- und Rehabilitationssportverein Ostfildern (BRSV). Das Angebot gibt es seit etwa 15 Jahren, es richtet sich im Gegensatz zum Training in Wäldenbronn nicht an Erwachsene sondern an Kinder und Jugendliche. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sitzen nicht alle im Rollstuhl, sie haben unterschiedliche körperliche oder geistige Behinderungen und sind vier bis 16 Jahre alt. „Die Kinder und Jugendlichen kommen vor allem, weil sie sich mögen und sich wohlfühlen“, sagt Hoefer-Lücke. Sie möchte ihren Schützlingen einen Ausgleich zum mit Terminen voll gepackten, anstrengenden Alltag geben. Ihr Konzept beschreibt die Sportlehrerin mit einer Zusatzausbildung im Rehabilitationssport als „Bewegungs-Sport-Spaß-Gruppe“. Leider mangele es an Nachwuchs: Der Alltag der Kinder mit zahlreichen Therapien sei so vollgepackt, dass viele Eltern es zeitlich nicht schafften, ihre Kinder auch noch zum Sport zu bringen.

Körperliche und emotionale Ausdauer

Manches erscheint den Kindern und Jugendlichen unmöglich, manches bleibt unmöglich. Zwar überwiege die Freude in den Sportstunden. Es gebe aber auch Momente der Trauer. „Es kommt vor, dass den Kindern bewusst wird, dass sie etwas nicht können und dass es ein Leben lang so bleibt. Dass sie nicht wie andere feiern gehen können und nicht die Freundin oder den Freund haben können, den sie sich wünschen.“

Die unterschiedlichen Handicaps der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gilt es bei den Übungen zu berücksichtigen. So sei ein Kind mit Glasknochenkrankheit sehr beweglich, habe zugleich aber weniger Kraft als andere. „Wir versuchen, alles auszuprobieren“, sagt Hoefer-Lücke. Sportarten werden abgewandelt, beispielsweise Basketball mit Körben auf dem Boden gespielt. In den Grenzen der Möglichkeiten jedes einzelnen werden Beweglichkeit, Kraft und Koordinationsfähigkeit trainiert – und körperliche, aber auch mentale Ausdauer.

Kreativität statt Überforderung

„Die Übungsleiter müssen kreativ sein und nach Lösungen suchen, damit Sport zu treiben Spaß macht und nicht frustriert“, sagt Erika Synovzik, die bei der Lebenshilfe Esslingen den Bereich „Offene Hilfen“ verantwortet und damit auch Sportangebote wie jenes in Kooperation mit dem TSV Wäldenbronn. So sei bei einigen Klientinnen und Klienten der Lebenshilfe die Feinmotorik beeinträchtigt, für viele sei es schwierig, das Gleichgewicht zu halten. Dieses Problem könne behoben werden, indem sich die Sportler, wenn sie beispielsweise auf einem Bein stehen, aneinander oder einem Gegenstand festhalten können. So hält es beispielsweise Rosemarie Plattenhardt, als sie es erst alleine versucht, ins Wanken kommt und dann lachend am Gartentisch auf der Terrasse des Wohnheims in Wäldenbronn festhält. Plattenhardt ist froh, dass man sich nach der Sommerpause und der Zeit des Corona-Lockdowns, als die Sportangebote sehr eingeschränkt waren, wieder persönlich sieht. Bei der Sportgruppe in Wäldenbronn beginnt nach etwa 20 Minuten eine Lieblingsdisziplin der Teilnehmer. Nacheinander passen sie sich Bälle zu. Die gehen zwar nicht immer in die richtige Richtung. Trotzdem wird viel gelacht.

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