Die Kameras sollen nicht nur fotografieren, sondern auch einen Datenabgleich machen. Foto: dpa-Zentralbild

Ministerpräsident Winfried Kretschmann fürchtet schon endlose Staus in der Stuttgarter Innenstadt. Der Grund sind die Dieselfahrverbote und die Art der Weise, wie der Bund sie überwachen will

Berlin - Mancher Stadtkämmerer in der wachsenden Zahl der von Dieselfahrverboten betroffenen Kommunen mag angesichts des neuesten Gesetzentwurfs aus dem Haus von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vielleicht schon Euro-Zeichen vor Augen haben. Denn so lästig die Fahrverbote für die Autofahrer, so schwierig sie in der Umsetzung für die zuständigen Verwaltungen sind: Die Stadt, die digitale Kamerasysteme strategisch geschickt an den Einfallstraßen in ihre Verbotszone platziert, kann sich über eine neue Einnahmequelle freuen. Möglich wird das durch die Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, die Bundestag und Bundesrat gerade zugeleitet wurde.

Die Sanierung von Stadtkassen ist natürlich nicht das Ziel, das Scheuer mit seinen Plänen verfolgt. Scheuer ist nur klar, dass Fahrverbote, die nicht überwacht werden, zur Übertretung einladen. Außerdem haben die Kommunen und die Befürworter der blauen Plakette zur Kennzeichnung von Dieselfahrzeugen mit hohem Stickoxidausstoß, den Bund stets aufgefordert, sie mit der Diesel-Malaise nicht allein zu lassen. Deshalb setzt die Bundesregierung, die Scheuers Gesetzesnovelle bereits beschlossen hat, jetzt auf die automatische Überwachung der Autofahrer durch digitale Kamerasysteme. Sie lichten nicht nur Kennzeichen und Fahrer ab, sondern können in Echtzeit über das Nummernschild einen Datenabgleich mit dem Zentralregister beim Kraftfahrtbundesamt machen und feststellen, ob das betroffene Auto in die Dieselverbotszone einfahren darf oder nicht. Handelt es sich um einen sauberen Diesel oder um einen Benziner sollen die Fotos gar nicht erst gespeichert werden. „Man muss sicherstellen, dass nur Aufnahmen von Fahrzeugen gespeichert werden, mit denen ein Regelverstoß begangen wurde“, fordert Arnold Plickert, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Auch bei CDU-Verkehrsexperten läuft Scheuer nicht nur offene Türen ein

Nicht nur Datenschützer und die Opposition sehen das nicht so entspannt. „Es ist schon richtig, dass Minister Scheuer die Kommunen mit den Fahrverboten nicht allein lässt. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass es nicht zu einer anlasslosen Dauerüberwachung der Autofahrer kommt“, sagt Michael Donth, CDU-Verkehrspolitiker aus Reutlingen. Donth macht einen Unterschied zum Geblitztwerden, denn dort tritt die Kamera erst in Aktion, wenn der Fahrer die Geschwindigkeitsbegrenzung überschritten hat. Beim Dieselfahrverbot soll dagegen erst fotografiert und dann geprüft werden. Konstantin von Notz (Grüne) hält die Idee für „unverhältnismäßig und verfassungsrechtlich äußerst bedenklich“. Sogar das bayerische Innenministerium hat „datenschutzrechtliche Bedenken.

Schwarz-Grün sieht Scheuer auf dem Weg in den Überwachungsstaat

In der baden-württembergischen Landesregierung stößt der Gesetzentwurf auf wenig Gegenliebe. „Sehr skeptisch“ steht Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dem Vorschlag gegenüber. Er fürchtet, dass es ohne blaue Plakette – die das Land stets wollte und die Scheuer stets ablehnte – „keine Möglichkeit“ gibt, „in der Innenstadt von Stuttgart den fließenden Verkehr zu kontrollieren, ohne endlose Staus zu produzieren.“ Innenminister Strobl (CDU) sagt: Für mich passt gerade vieles nicht zusammen: Einerseits darf wegen des Datenschutzes die Polizei noch nicht einmal in Fällen schwerster Kriminalität die Mautdaten heranziehen – andererseits wird darüber gesprochen, via automatischer Kennzeichenüberwachung jetzt bereits Verstöße gegen ein Einfahrtsverbot zu ahnden. Darüber wird noch intensiv zu reden sein. Insgesamt ist der Bund gefordert, ein nachvollziehbares, umsetzbares und angemessenes System der Kontrolle vorzuschlagen.“ Auch die Koalitionsfraktionen sind verärgert. „Andreas Scheuer ebnet mit seinen Plänen den Weg in den Überwachungsstaat“, klagt Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz. „Wir sind gegen die Überwachung aller Dieselfahrer im Land“, ergänzt sein CDU-Kollege Wolfgang Reinhardt. „Das wäre aus datenschutzrechtlicher Sicht völlig unverhältnismäßig. Bei allen Fragen der Luftreinhaltung gilt es, Vernunft und Maß zu halten.“

„Die Bundesregierung hat geglaubt, die Luftbelastung durch Stickstoffdioxide in den Städten aussitzen zu können“, sagt Stuttgarts OB Fritz Kuhn. Angesichts immer neuer Urteile zu Fahrverboten gerät sie nun unter Zugzwang. Die nun vorgestellten Pläne „halte ich unter Datenschutzgesichtspunkten für sehr bedenklich.“ Aus dem Rathaus heißt es, die Stadt warte zunächst das Gesetzgebungsverfahren ab. „Insofern lasse sich heute nicht beantworten, was eine solche automatische Kennzeichenerfassung für verkehrliche, personelle und finanzielle Auswirkungen haben würde“, so eine Sprechern. Falls zum 1. Januar 2019 das Fahrverbot für Dieselautos bis einschließlich Euro-Norm 4 in Kraft treten sollte, dann wird es in Stuttgart keine spezielle Kontrollen geben.