Eigentlich will die Bundesregierung den Öko-Anteil am Stromverbrauch massiv ausbauen. Tatsächlich erschwert sie jetzt Windkraft-Projekte an Land mit neuen Vorschriften zum Mindestabstand. Die Industrie ist entsetzt. Schon jetzt ist der Ausbau nahezu zum Erliegen gekommen, in der Branche fallen massenweise Jobs weg.
Berlin - Ungeachtet des massenhaften Jobabbaus in der deutschen Windkraftbranche plant die Bundesregierung, die Aufstellung neuer Windräder an Land deutlich zu erschweren. Bundesweit soll künftig in der Regel ein Mindestabstand von einem Kilometer zwischen Wohnsiedlungen und den Masten der Anlagen gelten – wobei als Siedlungen künftig auch schon Ortschaften gelten sollen, die nur aus fünf Häusern bestehen.
Die Häuser müssen dabei noch nicht einmal existieren. Es reicht, dass ihr Bau möglich wäre. All dies geht aus dem Entwurf für ein Kohleausstiegsgesetz hervor, der am Dienstag bekannt wurde und in der kommenden Woche im Bundeskabinett beraten werden soll. Geplant ist dabei auch eine Anpassung des Baugesetzbuchs im Hinblick auf die Windkraft. Das gesamte Paket befindet sich derzeit in der Ressortabstimmung. Das Umweltministerium meldete bereits erheblichen Gesprächsbedarf an. Ein Mindestabstand von einem Kilometer wird dazu führen, dass künftig deutlich weniger Flächen für die Windkraft zur Verfügung stehen. Schätzungen zufolge könnte der Rückgang 40 Prozent betragen, möglicherweise sogar mehr. Die neue Regel soll auch für das sogenannte Repowering gelten – also den Austausch alter Windräder durch moderne, leistungsfähigere Anlagen.
Genervte Anrainer
Der Präsident des Bundesverbands Windenergie, Hermann Albers, nannte die Regel am Dienstag einen „willkürlichen politischen Kompromiss“, der fatale Folgen für die Beschäftigten und die Wertschöpfung in der Branche haben werde. Er gefährde auch die Versorgung der übrigen Industrie mit grünem Strom. Bislang gelten in den Bundesländern unterschiedliche Abstandsregeln, die Bandbreite beträgt zwischen mehreren Hundert Metern und einem Kilometer. In Baden-Württemberg wird im Einzelfall entschieden. Auf die neue bundesweite Abstandsregel hatte sich die schwarz-rote Koalition im September im Rahmen ihres Klimapakets geeinigt. Jetzt soll sie gesetzlich verankert werden – wobei die Bundesländer das Recht erhalten, davon abzuweichen.
Die neue Regel soll sicherstellen, dass Windprojekte künftig auf weniger Widerstand in der unmittelbaren Nachbarschaft treffen. Die fehlende Akzeptanz unter den Betroffenen und eine Flut von Klagen sind wichtige Gründe dafür, dass der Ausbau der Windkraft an Land in Deutschland seit einiger Zeit faktisch zum Erliegen gekommen ist. Eigentlich will die Bundesregierung den Ökostromanteil in Deutschland aber bis 2030 auf 65 Prozent erhöhen und damit den Atom- und Kohleausstieg kompensieren.
Wegen der Krise der Windkraft fallen in Deutschland bereits Tausende Industriejobs weg, insbesondere in strukturschwachen Gegenden wie Ostfriesland oder ostdeutschen Ländern. Erst in der vergangenen Woche hatte der Windanlagenhersteller Enercon angekündigt, 3000 Stellen abzubauen. Im Frühjahr meldete Wettbewerber Senvion Insolvenz an. Laut einer Studie des Maschinenbauverbands VDMA könnten im kommenden Jahrzehnt bei unveränderter Marktlage mehr als ein Viertel der rund 64 000 Arbeitsplätze in der deutschen Onshore-Windindustrie wegfallen.
Zoff in der Koalition
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) macht Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) dafür verantwortlich, dass der Ausbau weiter stockt. „Wir brauchen vor allem mehr Klarheit beim Arten- und Naturschutzrecht bezüglich des hierfür federführenden Umweltministeriums“, sagte eine Sprecherin Altmaiers.
Schulze ließ die Vorwürfe zurückweisen. Mit dem Gesetz zum Kohleausstieg, das jetzt im Entwurf vorliegt, will die Regierung vor allem die Grundlagen schaffen für den schrittweisen Abschied von der klimaschädlichen Kohleverstromung. Ziel ist es, diese bis 2038 auslaufen zu lassen. Betreiber von Steinkohlekraftwerken sollen künftig Prämien erhalten, wenn sie ihre Anlagen abschalten.