Währt ehrlich am längsten? Und genügt ein Handschlag, um Ehrlichkeit unter Beweis zu stellen? Foto: Alexander Nemenov/AFP/AP

Ehrlicher als gedacht: Eine Studie aus der Schweiz und den USA zeigt Menschen in positivem Licht. Andererseits macht Gelegenheit Diebe, sagt das Sprichwort? Sind Menschen also ehrlich aus Angst vor Strafe oder aus Überzeugung? Wir fragten einen Ethik-Experten.

Jena/Stuttgart - Steuern hinterziehen, Schwarzfahren oder die Haushaltshilfe schwarz bezahlen: UmEhrlichkeit und Wahrhaftigkeit im Alltag ist es in der Gesellschaft nicht immer gut bestellt. Gelegenheit macht Diebe, sagt ein deutsche Sprichwort. Dabei steht die Anleitung zur Ehrlichkeit in der erzieherischen Praxis bei Eltern und Schulen doch ganz weit oben in der Werterangliste.

Wir fragten den Philosophen und Theologen Nikolaus Johannes Knoepffler, der Angewandte Ethik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena lehrt, ob Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit angeborene Tugenden sind oder ob die Menschen sie durch Erziehung und Vorbilder erst erlernen müssen?

„Ehrlichkeit ist eine Form der Kooperation“

Herr Knoepffler, Forscher haben untersucht, wie ehrlich Menschen sind. Dafür haben sie absichtlich in unterschiedlichen Ländern Geldbörsen abgelegt, die dann gefunden werden sollten. Das Resultat: Je mehr Geld in der Brieftasche war, desto ehrlicher waren die Menschen. Überrascht Sie das?

Diese und ähnliche Studien werden immer wieder durchgeführt. Bei Bagatellbeträgen ist das einfach: Die Leute haben es vermutlich im Hinterkopf, dass es sinnlos ist, dem Besitzer hinterherzulaufen. Da steht der Aufwand in keinem Verhältnis zu dem kleinen Betrag. Bei großen Beträgen weiß jeder sehr genau, dass das Diebstahl ist.

Die Frage ist doch: Sind Menschen ehrlich, weil sie von sich aus ehrlich sind? Oder sind sie sich dessen bewusst, dass sie für Unehrlichkeit bestraft werden könnten?

Also mehr Pragmatismus als Tugendhaftigkeit?

Genau. Das Experiment gibt eine eindeutige Antwort auf diese Frage nicht wirklich her. Man kann diese Frage auch sehr gut am Beispiel der Steuern beantworten. Bis vor einigen Jahren konnten Unternehmen Bestechungsgelder noch von der Steuer absetzen. Mittlerweile sind die Regeln strenger. Ich glaube, dass das Bewusstsein, dass eine Handlung strafbar ist, bei vielen die Einstellung verändert.

Dann stellt sich die Frage: Sind Tugenden angeboren oder gesellschaftliche Übereinkünfte?

Ehrlichkeit ist eine Tugend – genauso wie Wahrhaftigkeit. Man kann sie erlernen. Gleichzeitig hängt sie aber auch mit dem individuellen Charakter zusammen. Es hat sich für uns Menschen bewährt, dass wir kooperieren. Das ist in unserer Evolution angelegt. Und Ehrlichkeit ist eine Form der Kooperation.

Sehr stark spielt dabei eine Rolle, ob sich Ehrlichkeit in irgendeiner Weise auszahlt und lohnt. Ein tugendhaftes Verhalten hängt auch davon ab, wie eine Gesellschaft auf bestimmtes Verhalten reagiert.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Gerade in Schulen im englischsprachigen Raum, ist es verpönt abzuschreiben. Diese Ehrlichkeit genießt viel höhere Wertschätzung als bei uns, wo es Abschreiben nicht selten als Cleverness durchgeht.

Macht Gelegenheit also doch Diebe, wie das Sprichwort sagt?

Ich will es mal so sagen: Vielleicht hatten die Teilnehmer bei dem Experiment das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Es ist zu billig, dass man an viel kommen kann. Die meisten haben da einen Schutzmechanismus, der nicht mit echter Ehrlichkeit verwechselt werden sollte. Deshalb könnte das Sprichwort Recht behalten.