Ein Klassiker des Verschwörungsdenkens: Reste der Fassade des World Trade Centers in New York im November 2001. Foto: dpa

Verschwörungstheorien gibt es wie Sand am Meer – und eine ist kurioser als die andere. Wir zeigen, wie sie funktionieren und warum so viele Menschen für Gerüchte und Vorurteile anfällig sind.

Stuttgart - Der Aids-Virus soll von den USA entwickelt und ausgesetzt worden sein. Geheime, schwarz gekleidete US-Regierungsmitarbeiter sorgen wie im Hollywood-Film „Men in Black“ dafür, dass mysteriöse Ufo-Sichtungen keine Zeugenaussagen hervorbringen. Die Hintermänner und „wahren“ Schuldigen der Terroranschläge vom 9. September 2001 in New York und Washington seien nicht El Kaida, sondern die US-Regierung, die CIA und der damalige Präsident George W. Bush. Verschwörungstheorien wie diese gibt es wie Sand am Meer – und eine ist kurioser als die andere.

So funktionieren Verschwörungstheorien

Gerade in Krisenzeiten wuchern Gerüchte, Vorurteile und Verschwörungsdenken wie ein Krebsgeschwür. „Verschwörungstheorien gedeihen immer dann besonders gut, wenn es Krisen, Konflikte und undurchschaubare Entwicklungen gibt“, erklärt der Politologe und Publizist Tobias Jaecker. Hinter den diversen Krisen würden Konspirationsanhänger das geheime Wirken von Personen oder Institutionen vermuten, die ihre eigenen egoistischen Ziele auf Kosten der Allgemeinheit verfolgen.

Dass es Verschwörungen in der Menschheitsgeschichte immer schon gegeben hat, ist unbestritten. Doch die Anhänger von Verschwörungstheorien wittern hinter jedem komplizierten und für sie unerklärlichen Phänomen und Ereignis finstere Mächte, die im Geheimen die Fäden ziehen. „Grundlage einer Verschwörungstheorie ist ein Verdacht gegen eine als fremd und böse empfundene Gruppe“, erläutert der Wissenschaftsautor Thomas Grüter dieses Phänomen.

Einfache Erklärungen für komplexe Probleme

Ein weiteres kommt hinzu: Verschwörungstheorien haben den Vorteil, dass sie Dinge auf einfache und polarisierende Weise deuten. Erklärungen über komplexe Sachverhalte wie das globale Finanzwesen werden drastisch reduziert, so dass am Ende nur zwei Gruppen übrigbleiben: die eigene gute Fraktion und der böse, mächtige Gegner, auf den man sich fokussiert.

„Im Netz blühen Verschwörungen auf, weil man alles behaupten kann, ohne es zu beweisen“, erläutert der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann. Er sieht im Internet das ideale Medium zur Verbreitung von Absurditäten, da man sich dort mit ungesicherten Daten und abstrusen Behauptungen in unbegrenzter Zahl versorgen kann. „Die Gemeinde derer, die für Verschwörungsdenken empfänglich ist, war schon immer groß, und sie wird immer größer“, sagt Wippermann. „Grund ist die Suche nach einfachen Erklärungen in einer komplizierten Krise.“

Schlichtes Weltbild

Hinter jeder Verschwörungstheorie steckt ein schlichtes Weltbild. Wobei die Anhänger keineswegs intellektuell unterbelichtet sein müssen, wie Jaecker betont. „Die Menschen, die so etwas glauben, sind in allen Bevölkerungsschichten zu finden.“

Wippermann hält die Empfänglichkeit, eine immer komplizierter werdende Welt in Gut und Böse, Opfer und Täter einzuteilen, für eine „anthropologische Konstante“. Verschwörungstheorien gehören ihm zufolge zur Natur des Menschen. „Wenn Gutmenschen Böses geschieht, muss eine Verschwörung dahinterstecken. Das ist die Logik.“

Einfache Antworten auf schwierige Fragen

Verschwörungstheorien geben einfache Antworten auf schwierige Fragen. Im Weltbild von Verschwörungstheoretikern spielen Sündenböcke und dämonisierte Minderheiten eine zentrale Rolle. Die Gegner werden als machtvoll, unsichtbar, allgegenwärtig und böse empfunden. Dieses „Dämonen-Stereotyp“ findet sich nach Meinung Grüters bei Globalisierungsgegnern genauso wie bei evangelikalen Fundamentalisten oder islamistischen Fanatikern.

Das Rezept ist einfach: Es werden nur solche Fakten und Zahlen zugelassen, die das eigene Weltbild stützen. Alles andere wird ignoriert. Ereignisse werden so lange umgedeutet, bis sie ins Konzept passen. Mit der realen Welt hat dieses holzschnittartige Konstrukt nichts zu tun.

Frustration und fehlende politische Kontrolle

Für den Soziologen Hans Jürgen Krysmanski (1935-2016) steht fest: „Verschwörungstheorien sind im Grunde ein Ausdruck der Frustration über mangelnden Zugang in der Politik.“ Sie würden immer dann entstehen, wenn die Demokratie versagt. „Und leider Gottes versagt die Demokratie ja ständig oder immer öfter.“ Mehr denn je haben viele Menschen das Gefühl, dass die Politik über ihre Köpfe hinweg Entscheidungen trifft, die ihr Leben negativ beeinflussen.

Vom diffusen Unbehagen bis zur Verschwörungstheorie ist es dabei oft nur ein kleiner Schritt. Für Thomas Grüter steht jedenfalls fest: „Aufklärung und ständiger Dialog sind das Beste, was man gegen Verschwörungsdenken tun kann.“