DIe Brüsseler Bürokratie hat Spätzle als regionale Spezialität unter Schutz gestellt: Umstritten bleibt, mit welchem Rezept die schwäbischen Teigwaren am besten gelingen. Foto: Gissermann/Fotolia

EU-Kommission hat Spätzle als regionale Spezialität geschützt. Streit über Art der perfekten Zubereitung.

Stuttgart - Jetzt ist es amtlich: Schwäbische Spätzle müssen aus Schwaben kommen. Woher auch sonst? Denn Spätzle zählen, wie die Autorin Elke Knittel in ihrem Buch „Spätzle, Maultaschen & Co.“ schreibt, zu den schwäbischen Heiligtümern. Als Kulturgut und Bastion der landestypischen Küche. Im Brüsseler Bürokraten-Deutsch liest sich das so: „Bei Schwäbischen Spätzle und Schwäbischen Knöpfle handelt es sich um eine Eierteigware mit Hausmachercharakter. Die Form variiert zwischen dünn und dick, länglich und kurz. Handgeschabte Spätzle gelten als besonderes Gütezeichen. Das geografische Gebiet Schwaben umfasst ganz Baden-Württemberg sowie den Regierungsbezirk Schwaben des Freistaates Bayern.“

360 Eier braucht Hendrik Schallmeir in der Woche für seine goldgelben Spätzle. Wie viele nimmt er auf 500 Gramm Mehl? Der Wirt vom Knausbirastüble in Hedelfingen, bekannt und gerühmt für seine schwäbische Küche, zuckt mit den Schultern: „Ha, des kann i so genau net sage.“ Er hat’s im Gefühl. Und das variiert offenbar. Drei Eier nimmt Oliver Bank, Küchenchef in der Weinstube Kachelofen, vier bis fünf Eier empfiehlt Josef Thaller in seinem Buch „Original Schwäbisch – Schwäbische Originale“, auf fünf Eier legt sich Elke Knittel fest, und in einer Münchner Zeitung war gar ein Rezept mit acht Eiern zu lesen.

Glatt und glänzend liegt der Teig in der Schüssel

Manche Schwaben mögen das in Erinnerung daran, dass Spätzle mal ein Arme-Leute-Essen waren, für eine übertriebene Verschwendung halten, wie eine von Elke Knittel verbürgte Anekdote nahelegt: Als sie sich in einem Haushaltsgeschäft für Spätzleschaber interessierte, erzählte ihr die Verkäuferin, dass sie nie mehr als ein oder zwei Eier auf ein Pfund Mehl nehme. „Ja, aber warum nicht?“, wollte die Kundin wissen. „Weil’s net nedig isch“, antwortete sie bestimmt. Da ist Stuttgarts prominentester Sternekoch, Vincent Klink, wahrlich ein Ur-Schwabe, ganz anderer Meinung: Er rät zu fünf bis sechs Eigelb auf 200 Gramm Mehl.

Gerade hat Hendrik Schallmeir den Teig, etwa fünf Kilo, schätzt er, für die nächsten zwei Tage zubereitet. Glatt und glänzend liegt er in der Schüssel. Auf was kommt’s an? Auf die Handarbeit: „Man muss den Teig so lange schlagen, bis er Blasen wirft und glatt und fest ist“, erklärt Schallmeir. Für die richtige Konsistenz braucht es Erfahrung. Und wieder das richtige Gefühl. Schallmeir (48), der sein Lokal zusammen mit Ehefrau Susanne seit 27 Jahren betreibt und in dieser Zeit sicher „einige Tonnen Spätzle“ zubereitet hat, verfügt über beides.

Handgeschabt heißt das zweite entscheidende Qualitätskriterium. Denn Spätzleschaben gilt hier zu Lande als hohe Kunst, die Töchter von den Müttern lernten, weil sie einst sogar die Heiratschancen eines Mädchens gesteigert haben soll. Schallmeir streicht kleine Portionen Teig auf das hölzerne Spätzlesbrett mit der abgeschrägten Kante, um dann flink und routiniert mit einem Messer dünne Spätzle ins sprudelnde Salzwasser zu schaben. Wann sind sie fertig? „Wenn sie oben schwimmen.“ Es braucht kaum mehr als eine Minute, bis er die Spätzle mit einer gelochten Kelle herausholen und sie sofort in einen bereitstehenden Topf mit kaltem Wasser legen kann. Von dort in ein Sieb gießen und abtropfen lassen: fertig. Und weil nichts verkommt in einer schwäbischen Küche, gibt der Wirt ein bisschen vom Spätzleswasser in den Kartoffelsalat: „Das macht ihn schön schlupfrig.“

„An der Qualität und auch an der Form ändert das nichts“

Hendrik Schallmeir bekennt, dass er, wenn’s schnell gehen muss, auch mal zur Spätzlespresse greift. „An der Qualität und auch an der Form ändert das nichts“, versichert er. Denn im Land der Tüftler wurden immer wieder Geräte zur Erleichterung dieser Arbeit erfunden. So verwundert es kaum, dass es 60 Patente für Spätzlesmaschinen gibt.

Über die kulturhistorische Herkunft der schwäbischen Teigwaren streiten sich die Gelehrten: Kommen die Spätzle von dem italienischen „spezzare“, streifig schneiden, und „spezzato“, dem Geschnetzelten? Wurden sie von den Staufern aus Italien mitgebracht? Als 1977 in Stuttgart die große Staufer-Ausstellung stattfand, wurde der Landeshistoriker Martin Decker-Hauff gefragt, ob die Staufer wie Friedrich Barbarossa oder Friedrich II. schon Spätzle gegessen haben. „Was denn sonst?!“, antwortete der Volkskunde-Experte. Oder ist Ulm die heimliche Hauptstadt der Spätzle? Von dort ist der Ausspruch „Machet mir Spatzen, oder esset mir den Toig so?“ überliefert, wie der Volkskundler Gustav Schöck weiß. Verbürgt ist der Ausspruch des evangelischen Pfarrers Flattich, der Herzog Carl Eugen (1737 bis 1793) auf die Frage, warum seine Perücke so schlecht gepudert sei, antwortete: „Herr Herzog, mir brauchet’s Mehl zum Spätzlemache!“

Teigwaren in Form von Spätzle und Knöpfle können dem Reisenden in halb Europa und sogar in China begegnen. Aber eines ist jetzt klar wie Spätzlewasser: Schwäbisch sind nur die hiesigen.