Der Historiker Michael Weber und die Museumschefin Illja Widmann stellen die Chronik des Stadtschreibers Wilhelm Löher vor. Foto: factum/Granville

Im Sindelfinger Stadtmuseum wird erstmals die vollständige Chronik von Wilhelm Löher präsentiert, die nähere Aufschlüsse über den 30-jährigen Krieg gibt.

Sindelfingen - Illja Widmann weiß gar nicht so recht, wo sie anfangen soll, wenn sie vom 30-jährigen Krieg erzählt. Die Kuratorin der Ausstellung „Tyrannisch und fürchterlich gehaußet“ hat die schrecklichen Vorkommnisse in Sindelfingen bereits im Titel zusammengefasst. Während der Kriegswirren fielen nicht nur kaiserliche Truppen in die Stadt ein, sondern auch französische und schwedische Soldaten. Sie drangsalierten die Bevölkerung, vergewaltigten Frauen, raubten die Menschen aus, plünderten und demolierten Häuser und schleppten Krankheiten ein.

Tyrannei fremder Truppen

Das kriegslüsterne Machtstreben in Europa bekam in den Jahren 1618 bis 1648 auch das kleine Sindelfingen zu spüren. Der damalige Stadtschreiber Wilhelm Löher (geboren um 1590, gestorben 1660) hat die schrecklichen Ereignisse in einer Chronik zusammengefasst, die erstmals im Sindelfinger Stadtmuseum der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Für Illja Widmann ist dafür nun der richtige Zeitpunkt gekommen: Der Beginn des 30-jährigen Kriegs jährt sich zum 400. Mal.

Es ging damals um die Hegemonie im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und in Europa. Gemeinsam mit ihren jeweiligen Verbündeten im Reich trugen die habsburgischen Mächte ihre Interessenkonflikte mit Frankreich, den Niederlanden, Dänemark und Schweden aus. Württemberg hatte damals schon lange kein eigenes Heer mehr. Die Menschen waren der Willkür fremder Truppen ausgesetzt. Viele wussten gar nicht, wie ihnen geschah und warum sie so tyrannisiert wurden – so beschrieb es Löher.

Einwohnerzahl sank drastisch

„Eigentlich ist nicht klar, wie es Menschen in Sindelfingen gelungen ist, diesen Krieg zu überleben“, stellt Widmann fest. Glücklicherweise sei die Stadt nicht beschossen worden, weil es gar keine Garnison mit heimischen Soldaten gegeben habe. Auch wurde Sindelfingen nicht in Brand gesetzt, wie etwa Herrenberg, wo im Jahr 1635 rund 80 Prozent der Stadt einem Feuer zum Opfer fiel. Jedoch sank die Einwohnerzahl drastisch, von 1400 im Jahr 1634 auf rund 350 vier Jahre später. Viele fanden durch die gewalttätigen Eindringlinge den Tod, viele starben an den Folgen der Pest.

Laut den Aufzeichnungen Löhers verteuerten sich die Lebensmittel von Jahr zu Jahr, die Inflation nahm horrende Ausmaße an. Handwerker wurden nur noch in Naturalien ausbezahlt. Auf den Wochenmärkten wurde nichts mehr verkauft, weil niemand mehr das wertlose Kupfergeld annehmen wollte. „Die Bewohner litten unter den Soldaten, die ihnen mit dem Leben drohten, wenn sie ihnen nicht ihr Geld und ihre Lebensmittel gaben“, sagt Widmann. Einige der damaligen Familien gebe es in Sindelfingen aber heute noch – das hätten Recherchen ergeben, berichtet die Leiterin der städtischen Museen. Auch wenn es im Jahr 1638 den Überlieferungen zufolge lediglich zwei Hochzeiten gegeben habe: „Witwen heirateten Witwer.“

Luntengewehr und Musketenkugeln

Überaus anschaulich wird der 30-jährige Krieg durch die Exponate, die in Vitrinen liegen. Illja Widmann zeigt ein Gewehr, das mit einer Lunte gezündet wurde, die glimmend über den Abzug in die gefüllte Pulverpfanne geführt wurde. Dazu sind Original-Musketenkugeln und eine Pulvertasche ausgestellt.

Das Kernstück der Ausstellung aber ist die überraschend gut erhaltene Chronik Löhers mit ihren 550 Seiten. Der freiberufliche Historiker Michael Weber hat sie in die heutige Sprache übertragen – damit der Alltag der Sindelfinger, die von „fürchterlich hausenden Soldaten“ tyrannisiert wurden, endlich ans Tageslicht kommt.

Großes Abendprogramm zur Eröffnung

Vernissage:
Die Ausstellung „Tyrannisch und fürchterlich gehaußet“wird an diesem Samstag um 18 Uhr im Stadtmuseum in der Lange Straße 13 eröffnet. Um 19 Uhr steht ein Rundgang durch die Schau mit dem Historiker Michael Weber auf dem Programm. Die Unterhaltungskünstlerin Ina Z will um 20 Uhr die Gäste zum Lachen bringen. Um 21 Uhr führt Valerie Broghammer vom Calwer Buchatelier in das „Buchhandwerk zwischen dem Krieg und dem Goldenen Zeitalter“ ein. Sprichwörtliches aus dem 30-jährigen Krieg („Die Botschaft hör’ ich wohl – allein mir fehlt der Glaube“) bieten Sabine Duffner und Dieter E. Hülle.

Öffnungszeiten
: Die Ausstellung ist bis zum 12. Mai zu sehen. Geöffnet ist Dienstags bis samstags von 15 Uhr bis 18 Uhr, an Sonn- und Feiertagen von 13 Uhr bis 18 Uhr. Geschlossen ist von 24. bis 26. sowie am 31. Dezember und am 1. Januar. Der Eintritt ist kostenlos. Das Stadtmuseum ist nicht barrierfrei.