Vom Wandel des Klimas zum Wandel einer Brauerei: Das Böblinger Stadtforum beleuchtet die historische Dimension des Bieres in der Stadt. Dabei spielt eines eine überraschende Hauptrolle: Eiseskälte.
Was hat der Klimawandel mit Bier zu tun? Nach Antworten auf diese Frage suchte am Donnerstag das Böblinger Stadtforum in der Zehntscheuer, das sich die Erderwärmung und ihre Spuren in Böblingen zum Thema gemacht hat. Kulturamtsleiter und Moderator Sven Reisch stieg denn auch mit dieser Frage an Brauerei-Geschäftsführer Werner Dinkelaker ein. „Wir spüren das durchaus“, sagte der. Denn der Anbau von Hopfen müsse sich den wärmeren Temperaturen anpassen, neue Sorten seien gefragt. „Vor allem bei kleineren Brauereien schmeckt man mittlerweile schon Unterschiede zwischen den Jahrgängen.“
Ihren Hopfen bezieht die Schönbuch Braumanufaktur zwar nicht aus dem Kreis Böblingen, wohl aber ihre Braugerste, wie Dinkelaker erzählt. „Wenn sie mal zwischen Hildrizhausen und Weil im Schönbuch unterwegs sind: Dort wächst die Gerste, die später mal im Bierglas landet.“ Diese regionale Nähe zu den Erzeugern sei für ihn nicht nur ein Beitrag zur Erhaltung der örtlichen Landwirtschaft, sondern auch zum Klimaschutz. So müssten die Rohstoffe nicht hunderte Kilometer weit gefahren werden, bis sie verarbeitet werden.
Kurze Wege seien Dinkelaker nicht nur bei der Beschaffung ein Anliegen, sondern auch im Vertrieb: „Mein Vater hat immer zu mir gesagt: Verkauf das Bier nur so weit, wie Du von der Spitze des Brauerei-Schornsteins aus schauen kannst.“ Ein Credo, das sich in der 201-jährigen Unternehmensgeschichte gehalten hat, auch weil es in den Anfangsjahren gar nicht anders ging. Dinkelaker: „Früher wurde das Bier mit Pferdekutschen ausgeliefert, weiter als 30 Kilometer kam so ein Fuhrwerk nicht an einem Tag.“ Dieser Radius habe sich erhalten – die Landeshauptstadt inbegriffen.
Brauer waren abhängig vom Eis der Seen
Regionale Erzeugnisse spielen im Stadtforum eine vergleichsweise starke Rolle, auch wenn der Konnex zum Klimawandel nicht immer eindeutig ist. Besucher können sich auf den dicht beschriebenen Schautafeln vertiefen – in die Geschichte der Kaufläden ebenso wie in die Gastronomie oder Landwirtschaft. „Am Bier führt da natürlich kein Weg vorbei“, sagt Moderator Reisch. In der Tat war das Mikroklima in Böblingen im 19. Jahrhundert für die Brauereien sogar lebenswichtig.
Denn als es noch keine Kühlgeräte gab, brauchten sie natürliches Eis, um das Bier im Sommer kühl zu halten. Mit auf dem Podium saß der Heimatforscher Dietmar Pfeffer, der sich seit Jahren mit großer Akribie der Stadtgeschichte widmet. „Schönbuch Bräu und deren Gründer Karl Gottfried Dinkelaker hatten sich das Recht gesichert, das Eis aus dem Oberen See sägen zu dürfen.“ Seinerzeit ein wichtiger Wettbewerbsvorteil, den die Brauerei zu nutzen wusste.
„So wurden jeden Winter rund 3500 Tonnen Eis aus dem See geholt und auf 600 Pferdefuhrwerken in die Brauereikeller geschafft“, sagt Dinkelaker, der Ur-Ur-Urenkel des Gründers. Diese Keller seien mit Vorliebe vor den Stadttoren angelegt worden – und auffällig oft an Hangrücken. Warum? Pfeffer: „Dort fand man die geeignete Topografie vor, denn man konnte ebenerdig in den Hang graben, was weniger aufwendig war.“ In diese Lagerkeller schichtete man die Eisblöcke aus den Seen – und die Fässer waren tatsächlich den ganzen Sommer über kühl. „Da lag es natürlich nahe, das Bier gleich an Ort und Stelle auszuschenken. Deshalb entwickelten sich die einstigen Lagerkeller zu Gaststätten“, sagte Pfeffer. Rund um Böblingen ging daraus die spätere Pfefferburg hervor, die übrigens Vorfahren von Dietmar Pfeffer bewirtschafteten und ihr den Namen gaben. Außerdem das heutige Hotel Rieth und das spätere Kurhaus Waldburg der Dinkelakers, das der Straße den Namen gab.
Im 19. Jahrhundert gab es eine ganze Reihe von Hausbrauereien
Da Kühlung und Lagerung problematisch waren, muss man sich das Brauereiwesen der Stadt im 19. Jahrhundert als eine Ansammlung von Mikrobrauereien vorstellen: Rund ein halbes Dutzend existierte, das dort gebraute Bier wurde im Gastraum ausgeschenkt. Darunter finden sich alte Böblinger Namen wie Kopp, Bögl, Eipper und Burkhardt. Dinkelaker war nur einer davon. Und stand um die Jahrhundertwende sogar im Schatten einer weitaus größeren: Der Böblinger Aktienbrauerei Zahn.
„Zahn war zeitweise eine der größten Brauereien Süddeutschlands“, sagte Pfeffer. Doch als Zahn in der Wirtschaftskrise der 1920er-Jahre nur Dünnbier produzieren konnte, das keinem schmeckte, rutschte Philipp Zahn in die Krise. „Überbleibsel davon sicherte sich unter anderem der Stuttgarter Familienzweig der Dinkelakers, der sich damals schon mit „ck“ schrieb und aus dem die heutige Großbrauerei Dinkelacker hervorging“, wusste Pfeffer. Schönbuch Bräu feierte damals schon 100-jähriges Bestehen und entwickelte sich nach und nach zur größten Brauerei in Böblingen. Grundlage für das Wachstum war abermals – die Kühlung.
Denn der Sohn des Gründers, Wilhelm Dinkelaker, machte seinerzeit ein Praktikum bei Spaten-Bräu in München. „Dort lernte er die erste industrielle Kältemaschine von Linde kennen, die er Anfang der 1880er-Jahre als Zweiter in Württemberg anschaffte“, sagt Dinkelaker. So konnte er das ganze Jahr über Bier brauen, es einfacher lagern – und die Konkurrenz nach und nach ausstechen.
Berner Seen in Böblingen
Eisherstellung
Vor der Erfindung der Kältemaschine war Natureis ein gefragtes Gut, das die „Eiswerke Berner“ in Böblingen und Stuttgart bis in die 1930er-Jahre im großen Stil verkauften.
Seen in Böblingen
Berners legten 1877 neben dem heutigen Baumoval künstliche Seen an, die sogenannten Berner Seen. Gespeist aus dem Murkenbach froren sie im Winter zu und lieferten Eis. Im Sommer wurde darin geschwommen, wie Dietmar Pfeffer in Überlieferungen fand.