Günter Krauss in seinem Laden an der Kronprinzstraße Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Der Goldschmied und Schmuckdesigner Günter Krauss zieht sich aus dem Geschäft zurück. Die Negativentwicklung des Handels in der Kronprinzstraße hat zum Entschluss beigetragen.

In zehn Jahren, so hatte Günter Krauss einst laut über seine Zukunft nachgedacht, sei er vielleicht finanziell so unabhängig, dass er den Laden wieder aufgeben und nur noch das anfertigen könne, was ihm echt Spaß macht. Er meinte damit Schmuckstücke, ungewöhnlich in Material und Form, bei denen es nicht nur um Karat, Prestige und Protz gehe.

 

Das war 1979. Der Goldschmied und Schmuckdesigner aus Pforzheim, 36 Jahre alt, hatte gerade den Laden in der Stuttgarter Kronprinzstraße eröffnet. Wie eine Galerie, transparent wie ein Bergkristall und ausgestattet mit zartgrau geädertem Marmor in zeitlos gültiger Ästhetik bis heute. Hat Krauss in den 46 Jahren, die seither vergangen sind, jemals wieder erwogen, diese ihm so gemäße Wunderkammer aufzugeben? „Nein“, sagt er entschieden, „denn ich habe auch hier immer das machen und gestalten können, was mir wirklich Spaß macht. Für Menschen, die genau das lieben und zu schätzen wissen.“ Aber jetzt kündigt Krauss (82) seinen Rückzug aus dem aktiven Geschäft an.

Stuttgarter für ungewöhnliches Design empfänglich

Er hält Rückschau: „Ich habe hier eine tolle Zeit erlebt. Mit wunderbaren Menschen aus Stuttgart und aller Welt, für die ich kreativ sein durfte, weil sie ein Gespür für Schmuck haben, interessiert sind und offen für unkonventionelles Design.“ Die Gespräche und Begegnungen nennt er ein großes Geschenk. Da sei es nie nur um Wert oder Geldanlage gegangen. Der Reichtum von Erde und Natur, Getier und Pflanzen ist ihm ein unerschöpflicher Quell an Inspiration. Keiner kann leidenschaftlicher über die Magie der Steine wie Achat, Beryll, Aquamarin oder Jaspis sprechen wie Krauss, der sie selbst schleift, um Struktur und Schönheit des urzeitlichen Materials sichtbar zu machen.

Ein Korallenast der blutroten Moro-Koralle ist für ihn das pure Glück. Blätter, Blüten, Mohnkapseln, Muscheln und Schnecken sind ihm die Vorlage für Schmuckstücke. Auch mal das Grätengerüst eines Fisches. Oder ein Frosch, ein bisschen platt gewalzt, als Anhänger oder Ohrringe. In Gold und Platin, mit Brillanten und bunten Steinen. Denn Krauss liebt auch den originellen Witz. Und besitzt den Blick für die Schönheit scheinbar wertloser Dinge, wenn er einen alten Schiffsnagel aus dem Wattenmeer, einen Eisenzirkel, eine römische Pfeilspitze oder ein handgeschmiedetes Türschloss in Kostbarkeiten verwandelte. In Schmuck, der den Mut zum großen Format verlangt.

Stuttgarter Kulturszene versammelt sich

Tragbar? „Aber ja“, meint Krauss und zeigt auf ein großes Foto von seiner mittlerweile 99-jährigen Kundin Otti Götz. Angetan mit einem Halsschmuck und Ohrringen aus einem Stück Eisen, das irgendwo im Afrika den Reichtum seiner Besitzer ausstellt. Krauss, der jedes Stück von Hand bearbeitet und mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde, darunter drei Mal dem begehrten Diamonds International Award, hat es in die neue Form geschmiedet und mit Platin beschlagen.

Bei den Vernissagen von Krauss fand sich die gesamte Kulturszene ein, „alle gingen hier ein und aus“, nennt Krauss bekannte Namen wie den Musiker Wolfgang Dauner, den Kabarettisten Mathias Richling oder Reid Anderson vom Ballett, dessen Tänzerinnen und Tänzer oft als Schmuck-Models für die Fotografin Hella Krauss posierten, die das Oeuvre ihres Mannes mit Europas größter Polaroid-Kamera festhielt.

„Kein Anreiz mehr“, in der Kronprinzstraße noch zu flanieren

Doch nun, so Krauss, sei es Zeit für einen neuen Lebensabschnitt. Äußere Umstände haben zu diesem Entschluss beigetragen: Wie schon der Boutique-Besitzer Horst Wanschura gegenüber beklagt auch Krauss die negative Veränderung der Nachbarschaft in der Kronprinzstraße: „Sie hat sich nicht gut entwickelt, es gibt keinen Anreiz mehr, hier zu flanieren.“ Und die Stadt zeige kein Entgegenkommen: „Wir wollten vor dem Geschäft kleine Beete anlegen, die Umgebung hübscher machen, das wurde verboten.“ Nur eines von vielen Ärgernissen.

„Nach und nach“ ziehe er sich zurück, so Krauss, der seit dem Tod seiner Frau von seinem Sohn Stefan, ebenfalls Goldschmied, unterstützt wird. Ein abruptes Ende wäre zu schmerzhaft. Und die Wunderkammer birgt noch Schätze. Zum Beispiel das Collier aus 13 Aquamarinen mit 1347 Karat, „mein Lieblingsschmuck“, so Krauss. Oder die „Schaukelfrau“, eines der erotischen Objets d’Art, die aus der Freundschaft mit Tomi Ungerer enstanden sind. Gar nicht zu reden von dem Hort an Steinen und Juwelen im Tresor. Er spiele mit dem Gedanken, erzählt er, mit einigen Stücken die Kreativität junger Kollegen herauszufordern und damit den Nachwuchs zu fördern.

Viel Fertigware aus Hongkong auch in Stuttgart

 Denn der habe es schwer: „Wie soll ein junger Mensch ein Atelier eröffnen, wenn ein Gramm Gold im Einkauf 110 Euro kostet?“ Zwar könne sich heute fast jeder einen (synthetischen) Brillanten leisten, aber an der Herstellung von Gold scheitern die Alchimisten noch immer. Dazu gehe das Wissen um viele Techniken verloren, weil alles fertig aus Hongkong geliefert werde: „Die Schmuckbranche wird sich sehr verändern“, meint Krauss wehmütig. Doch noch bleiben die Initialen GK über der Galerie ein Garant für Beständigkeit.