Ehrenamtliche mit Leidenschaft: Uwe Rapp (links) und Harald Schön führen die GSV Hemmingen. Foto: factum/Simon Granville

Mehr als 1600 Mitglieder: Die Gesang- und Sportvereinigung Hemmingen ist riesig. Sie möchte gern weiter wachsen – doch das ist leichter gesagt als getan. Ein Gespräch mit den zwei Vorsitzenden.

Hemmingen - Fußball, Turnen, Tanz, Theater: Es gibt kaum eine Aktivität, die bei der Gesang- und Sportvereinigung keinen Platz findet. Im Interview sprechen die Vorsitzenden des riesigen Vereins, Uwe Rapp und Harald Schön, darüber, warum das Geld knapp ist, wie sie an mehr kommen möchten, welche Ansprüche die Mitglieder haben und warum sich eine wichtige Abteilung auflösen musste.

Herr Rapp, Herr Schön, der Vorstand der Gesang- und Sportvereinigung (GSV) hat turbulente Zeiten hinter sich.

Rapp Das können Sie laut sagen. Unser Erster Vorsitzender Gerhard Stahl hat sein Amt aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben, er wird bei der Generalversammlung am 12. Juli zurücktreten. Einen Nachfolger werden wir bis dahin wohl nicht finden. Voriges Jahr hat außerdem unser Finanzvorstand überraschend aufgehört. Beides brachte uns Anfang dieses Jahres in finanzielle Schwierigkeiten.

Inwiefern?

Schön Im vergangenen Jahr blieb sehr viel liegen, zum Beispiel wurden die Mitgliedsbeiträge nicht vollständig eingezogen. Deshalb sind die Gelder knapp geworden, und wir konnten nicht alle Rechnungen pünktlich bezahlen. So ein Verein ist ein kleiner Wirtschaftsbetrieb. Wie Unternehmen müssen auch wir Steuern und Versicherungen zahlen. Um die steuerrechtlichen Dinge kümmerte sich bislang Gerhard Stahl, denn dies kann nur einer vom Fach bewältigen. Schön und ich kennen uns zwar auch aus, sind aber eben keine Finanzexperten.

Gerhard Stahl ist nicht der Einzige, der sein Amt aufgeben wird.

Rapp Herr Schön und ich werden in eineinhalb Jahren nicht mehr als Vorstände antreten. Ich bin jetzt seit 50 Jahren in der GSV, seit 35 Jahren unentwegt im Ehrenamt, Vorstand seit 2011. Ich investiere sicher zehn Stunden pro Woche in die Tätigkeit beim GSV. Irgendwann ist es gut, da kommt die Zeit, in der man andere Prioritäten setzen möchte – zumal die Familie wegen des Ehrenamts häufig leidet.

Gleichwohl wissen Sie, wie schwer es ist, Freiwillige zu finden – obwohl die GSV mit mehr als 1600 Mitgliedern zu den größten Vereinen im Kreis Ludwigsburg gehört.

Rapp Das Ehrenamt ist in den nächsten Jahren so nicht mehr haltbar. Wir verlieren Freiwillige, dabei bräuchten wir mehr davon. Es sind immer dieselben, die bei Festen oder sonstigen Veranstaltungen helfen. Wir sind an unseren Grenzen angekommen. Hier müsste die Politik umdenken und dafür sorgen, dass das Ehrenamt ordentlich bezahlt werden kann, ohne dass man dadurch den Status der Gemeinnützigkeit verliert. Wir Ehrenamtliche erhalten eine Spendenbescheinigung in Höhe der steuerlichen Ehrenamtspauschale von 729 Euro je Jahr. Das war’s, Geld fließt keines. Zugleich wachsen unsere Aufgaben, und die Ausgaben steigen.

Warum reißt sich denn niemand mehr ums Ehrenamt?

Rapp Die Mitglieder sind weniger idealistisch als früher. Ich bin mit dem Verein hier aufgewachsen, habe mit ihm gelebt, auch mangels anderer Angebote. Heutzutage gibt es so viele Alternativen zu Vereinen, sodass diese einen geringeren Stellenwert haben. Die Mitglieder wollen ihren Beitrag zahlen und ihren sportlichen Aktivitäten nachgehen, anstatt sich groß einzubringen. Zwar schicken Eltern ihre Kinder gerne zu uns, sie selbst haben jedoch eher weniger Interesse am Verein. Oft übernehmen wir sogar ein Stück weit die Erziehung. Wir fragen uns schon, was kommt, wenn wir gehen. Natürlich suchen wir Nachfolger, denn es ist unser Ansinnen, dass die GSV weiter so gut funktioniert wie bislang.

Schön Selbst wenn wir aufhören, sind wir ja noch da. Wir führen bereits Gespräche und sind zuversichtlich. Trotz aller Schwierigkeiten findet sich immer jemand. Die GSV ist entsprechend aufgestellt, die einzelnen Abteilungen sind gut vernetzt.

Doch wenn Sie an das Finanzielle denken, wird Ihnen richtig mulmig zumute.

Rapp Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Über die Mitgliedsbeiträge, die wir dieses Jahr schon wieder erhöhen mussten, nehmen wir künftig rund 100.000 Euro im Jahr ein, doch das wird – plus der Vereinsförderung – nicht reichen. Trotzdem können wir nicht pausenlos die Beiträge erhöhen, um den Verein am Leben zu erhalten. Wir brauchen eine höhere Vereinsförderung, wollen wir ordentlich wirtschaften, ohne ein Minus zu machen, wie dies im vorigen Jahr der Fall war.

„Die GSV will den Sportbetrieb aufrechthalten und den Mitgliedern etwas bieten“

Wie wollen Sie die höhere Vereinsförderung bekommen?

Rapp Wir stellen bei der Gemeinde Hemmingen einen Antrag auf Erhöhung der Fördergelder von 2020 an. Derzeit bekommen wir etwas über 8000 Euro, dabei bräuchten wir im Jahr rund 30.000 Euro. Die Verwaltung verschlingt immense Kosten, vor drei Jahren haben wir für 200.000 Euro unser Klubhaus saniert, die Mitglieder fordern die neuesten Sportgeräte und eine gute Infrastruktur sowie geschulte Übungsleiter. Das alles kostet Geld. Die GSV will keine Reichtümer anhäufen, sondern den Sportbetrieb aufrechthalten und den Mitgliedern etwas bieten. Doch dafür müssen wir die finanziellen Mittel nach Bedarf in die Abteilungen einpreisen können. Schließlich wächst die Gemeinde weiter. Damit wächst der Bedarf der Bürger nach einem Verein – und somit wachsen wir.

Schön Wachsen können wir aber nur, wenn Leute und Geld da sind – und die nötigen Strukturen. Leider sind die zwei Sporthallen in Hemmingen heillos ausgelastet. Ähnlich sieht es bei den beiden Sportplätzen aus.

Not macht erfinderisch: Was hatte es mit der Aktion der Abteilung Fußball auf sich? Sie führte zu Beginn dieses Jahres zu Irritationen.

Rapp In dieser Aktion ging es lediglich um Aboverträge einer Zeitschrift. Bei Abschluss wurden der Fußballjugend Punkte gutgeschrieben, die am Ende einen Trikotsatz gesponsert bekam. Aber die Aktion verlief nicht so ganz glücklich, da die Leute oft bedrängt und belästigt wurden. Wir haben das Projekt dann abgebrochen.

Die Gemeinde will die Förderrichtlinien überarbeiten und den Jugendbereich der Vereine stärker unterstützen. Brächte das nicht Entlastung? Immerhin sind ein Drittel der GSV Jugendliche.

Schön Trotz unserer vielen ehrenamtlichen Jugendbetreuer haben wir im Jugendbereich viele Ausgaben – Jugendtrainer und ihre Schulungen kosten ebenso Geld wie die Jugendbetreuer auszubilden. Die jungen Mitglieder wollen unterhalten, bewegt, bespaßt werden. Auch haben wir seit wenigen Monaten einen Jugendschutzbeauftragten, für den wir gerade das Konzept ausarbeiten. Mehr finanzielle Förderung für Jugendliche ist ein guter Weg. Wir dürfen die Jugend nicht vergessen und müssen auf sie bauen. Ohne geht heute ja nichts.

Aber?

Rapp Wir müssen auch vermehrt Alterssport betreiben. Die Leute werden nun mal immer älter, und auch denen müssen wir etwas bieten. Wir würden zum Beispiel gerne eine Herzsportgruppe einrichten. Doch für die dafür nötigen professionellen Lehrer fehlen uns die finanziellen Mittel – aber eben auch der nötige Platz.

„Tennis ist einfach nicht mehr so angesagt“

Die GSV ist auch deshalb so gewachsen, weil sie sich immer darum bemüht hat, die Wünsche der Bürger – vor allem die der Neubürger – umzusetzen. 1975 wurde auf deren Wunsch zum Beispiel die Abteilung Tennis gegründet. Ist der Verein noch immer so offen für alle?

Schön Natürlich. Wir werben nach wie vor dafür, dass wir auch alle Neubürger aufnehmen. Wir legen außerdem viel Wert auf die Integration von sozial Schwächeren und Flüchtlingen. Einige Flüchtlinge sind hier sehr engagiert, vor allem im Fußball. Die Beiträge für Familien und Kinder sind grundsätzlich auch günstiger. Wir sind schon immer ein Verein, der auf Breitensport ausgelegt ist, sodass jeder ein Angebot findet. Wir haben sogar eine so bekannte wie erfolgreiche Theatergruppe mit mehr als einem Dutzend Mitgliedern. Das ist eine Bereicherung für die GSV.

Rapp Auf höchste sportliche Erfolge legen wir unser Augenmerk weniger. Wobei unsere Tischtennisspieler und Handballer trotzdem sehr erfolgreich sind: Die Tischtennis-Jugend spielt in der Landesstaffel, das ist die höchste württembergische Staffel, die Handball-Frauen spielen in der Oberliga.

Dagegen hat das einst so beliebte Tennis an Attraktivität eingebüßt.

Schön Die Tennisabteilung verzeichnet den größten Mitgliederschwund, leider. Tennis ist einfach nicht mehr so angesagt wie in den 1980ern und 1990ern Jahren. Damals haben Größen wie Boris Becker und Steffi Graf gespielt. Frühere Mitglieder unserer Tennisabteilung haben sich längst Richtung Golf orientiert, andere gehen lieber ins Sportstudio.

Rapp Die Popularität einer Sportart hängt immer auch davon ab, welche Sportarten gerade in den Medien angesagt sind, oder wo Sportler international top sind. Erfolgreiche Spieler ziehen vor allem Jugendliche an. Man kann die Uhr danach stellen: Während einer WM wollen plötzlich alle Fußball, Handball oder Basketball spielen.

Was soll künftig mit den sechs Tennisplätzen passieren?

Rapp Die Abteilung denkt darüber nach, zwei Plätze zu einem Feld für Beachvolleyball umzufunktionieren. Allerdings stellt sich dann die Frage, was damit im Winter passiert. Alternativ können wir uns einen Freizeitplatz vorstellen. Jedoch: Alle Plätze gehören zuerst grundsaniert.

Schön Die künftige Nutzung hängt auch davon ab, welche Sportarten angesagt sind und deshalb neu hinzukommen, welche Trends es gibt.

Die Schwimmabteilung hat sich Ende 2017 gar aufgelöst. Jedoch nicht mangels Beliebtheit.

Rapp Die Auflösung ist bedauerlich und eine Folge von zu wenigen und maroden Schwimmbädern. Wir haben immer im Schwieberdinger Hallenbad trainiert, doch seit dessen Schließung 2011 hatte sich das dort erledigt. Die umliegenden Bäder sind leider heillos überlastet, weshalb sie keine Option mehr für uns sind. Dabei ist es so wichtig, dass Kinder schwimmen lernen. Und Bedarf ist da.

Wenn nicht mehr mit Schwimmkursen – wie gewinnt die GSV Jugendliche?

Rapp Indem wir ihnen vernünftige Übungsleiter bieten und Aktivitäten auch außerhalb des Sports wie Grillabende und Freizeiten in den Ferien. Die Fußballabteilung will künftig wieder mehr Ausflüge machen, die Abteilung Handball tut dies bereits. In der Regel müssen die Jugendleiter solche Aktivitäten anstoßen – und dann freiwillige Betreuer finden. Außersportliche Angebote sind wichtig: In Vereinen bilden sich Freundschaften, weshalb man eine Mitgliedschaft nicht rein sportlich sehen darf.

Aus der Zwangsheirat wurde eine erfolgreiche Ehe

Ursprung 111 Jahre ist die Gesang- und Sportvereinigung (GSV) alt. Alles begann 1908 damit, dass sich junge und turnbegeisterte Hemminger zusammentaten. Zunächst trieben sie im Freien Sport. Im Krieg löste sich der Verbund auf. Danach spielten einige Sportler Fußball. Mit den Turnern gründeten sie im Februar 1920 den Sportverein Hemmingen. 1933 fiel der Spielbetrieb den Nazis zum Opfer, doch 1945 begann eine neue Ära: So schloss man sich auf Befehl der Alliierten mit dem Gesangverein zusammen – zur GSV.

Tradition
In den Nachkriegsjahren war die GSV für die Bürger fast die einzige Möglichkeit, ihre Freizeit zu verbringen. Damit stieg die Nachfrage nach mehr Sportarten, zumal die Bevölkerung in den 1970er Jahren im Zuge der Gemeindereform (1973) sprunghaft anstieg. Heute hat die GSV elf Abteilungen, gut jeder fünfte Hemminger ist Mitglied.