Rainer Dulger, Präsident von Gesamtmetall, setzt in der Rentenpolitik auf einen Mix aus gesetzlicher Rente, Betriebsrente und Privatvorsorge. Foto: dpa

Rainer Dulger, der Präsident von Gesamtmetall, warnt die Regierung in der Flüchtlingspolitik vor einem Schwarzen-Peter-Spiel. Beim Thema Altersvorsorge fordert er Nachbesserungen.

Herr Dulger, die Politik will die Rente zukunftssicher machen. Es muss doch auch im Interesse der Wirtschaft sein, dass Mitarbeiter im Alter ein auskömmliches Ruhestandsgehalt haben. Zeigt sich jetzt, dass die rot-grüne Rentenreform aus dem Jahr 2001 den Menschen zu hohe Einbußen zumutet?
Für mich klingt das schon sehr nach Wahlkampf. Ich kann vor einem Rentenwahlkampf im nächsten Jahr nur warnen. Die Forderungen nach einem höheren Rentenniveau, die aus Gewerkschaften und Politik kommen, sind schlichtweg unbezahlbar. Die Parteien überbieten sich mit unbezahlbaren Rentengeschenken vor der Bundestagswahl. Das tut den Staatsfinanzen und den Sozialkassen in keinster Weise gut. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass das letzte Rentenpaket mit der Einführung der höheren Mütterrente und der Rente mit 63 schon unverantwortlich teuer war. Allein diese Maßnahmen kosten schätzungs-weise 160 bis 230 Milliarden Euro bis 2030. Das hat die Finanzprobleme der Rentenversicherung massiv verschärft.
Akut ist das an den Rentenfinanzen aber nicht ablesbar. Die Rentenversicherung weist nach wie vor hohe Rücklagen aus.
Das Argument, dass die Kassen gegenwärtig voll sind, ist zu kurz gesprungen. Wir müssen bei der Rente in Jahrzehnten rechnen und dann ist klar: das Rentenpaket vom Beginn der Wahlperiode bezahlen die Beitragszahler von morgen. Deshalb wäre es falsch, dies an den jetzigen Einnahmen zu messen. Es ist eine solide Planung für die Zukunft nötig. Wir wissen alle, dass es immer weniger Beitragszahler und mehr Leistungsempfänger geben wird. Da muss man nicht lange studiert haben, um zu wissen, dass diese Rechnung nicht aufgehen kann, ohne dass es nicht zu einer massiven Beitragserhöhung kommt. Steigende Beiträge würden die Lohnnebenkosten in die Höhe schnellen lassen und damit Arbeitsplätze gefährden. Mit den bisherigen Reformen ist es gelungen, Beiträge und Leistungen in der Balance zu halten. Das muss so bleiben. Zurzeit liegt das Rentenniveau bei 47,5 Prozent. Wenn man dieses Niveau konstant halten wollte, würde das bis 2030 nochmals rund 30 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Das ist nicht zu bezahlen.
Wurde bei den bisherigen Rentendebatten übersehen, dass das Rentenniveau nach 2030 zu weit sinkt?
Es hat durchaus Entscheidungen gegeben, um dem entgegenzuwirken. In diesem Sinn wirkt die Einführung der Rente mit 67. Leider wurden diese Maßnahmen zur Abfederung des demografischen Wandels teilweise wieder zurückgedreht. Ich nenne nur die Rente mit 63. Das ist aus Sicht der Wirtschaft völlig unverständlich und genau der falsche Weg.
Für die Wirtschaft ist es bei der Rente bisher gut gelaufen: Die Rentenbeiträge sind gesunken. Das sinkende Niveau bei der gesetzlichen Rente sollen die Beschäftigten über private Vorsorge ausgleichen. Bislang sorgen die Beschäftigten aber zu wenig privat vor. Was soll die Politik tun?
Da besteht Handlungsbedarf. Es wäre gut, wenn wir einen besseren Mix aus gesetzlicher Rente, Betriebsrente und Privatvorsorge hinbekämen. Wir benötigen für die Verbesserung der betrieblichen Alters-vorsorge bessere gesetzliche Rahmenbedingungen. Hilfreich wäre es, wenn im Finanz- und im Arbeitsministerium dazu Bereitschaft bestehen würde. In der betrieblichen Altersvorsorge gibt es zwei große Hemmnisse, und zwar auf Seiten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. In der Metall- und Elektroindustrie beträgt das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Beschäftigten rund 54 000 Euro. Das sichert im Alter eine überdurchschnittliche Rente. Falls ein Arbeitnehmer jedoch später auf staatliche Grundsicherung angewiesen sein sollte, wird die Betriebsrente auf die Grundsicherung angerechnet. Deshalb verzichten manche Beschäftigte auf die Betriebsrente und geben das Geld lieber heute aus oder sparen es anderweitig an. Die Anrechnung auf die Grundsicherung sollte entfallen. Sonst ist die Betriebsrente nicht attraktiv. Außerdem gibt es die Erschwernis, dass nur maximal vier Prozent des Bruttolohns bis zur Beitragsbemessungsgrenze steuer- und abgabenfrei sind, wenn das Geld in die Altersvorsorge fließt. Diese Grenze sollte erhöht werden. Angehen sollte die Politik auch die Praxis, dass Betriebsrentner bei der Auszahlung den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil an der Krankenversicherung zahlen müssen.
Was erwarten die Betriebe?
Für den Mittelstand liegt das größte Hemmnis darin, dass die Unternehmen für die betriebliche Altersvorsorge haften. Das ist in der Niedrigzinsphase ein echtes Problem. Viele Unternehmen bieten betriebliche Altersvorsorge an und decken die Betriebsrente über ein Versicherungsprodukt ab. In einer extremen Niedrigzinsphase ist es nicht aus-geschlossen, dass eine Versicherung die Garantie nicht einlösen kann. Dann ist immer der Arbeitgeber in der Haftung. Das hält viele Arbeitgeber davon ab, in der jetzigen Lage Altersvorsorgepakete anzubieten. Der Gesetzgeber muss deshalb zwingend die Haftung abschaffen.
Verabschieden sich die Betriebe damit nicht aus der Verantwortung?
Es gibt in den Niederlanden Modelle ohne Garantien, die gut funktionieren. Dort orientiert sich die betriebliche Vorsorge an Zielrenten. In den Niederlanden hat kein Beschäftigter ein Problem damit, dass er mit einer Zielrente kalkuliert. Es wird eine Bandbreite genannt, in dem sich die Betriebsrente bewegen kann. Keiner kann schließlich vorhersehen, wie sich die Finanzmärkte entwickeln. Läuft es gut, gibt es höhere Renten und umgekehrt. Das kennt jeder von seinem Sparkonto auf der Bank mit seinen wechselnden Zinsen und alles andere ist übertriebenes Sicherheitsdenken.
Wegen der Niedrigzinsen können Versorgungswerke, Versicherer und Pensionskassen nur noch Magerrenditen erwirtschaften. Wie kommt man aus diesem Dilemma für die langfristige Altersvorsorge heraus?
Da sollten Sie Mario Draghi, den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), fragen, da sind wir die falschen Ansprechpartner. Es kann nicht sein, dass die Wirtschaft für die Niedrigzinspolitik der EZB zahlt. Herr Draghi hat für sein Handeln ja Gründe. Wir leben in einer Welt, die von den Finanzmärkten mitgeprägt wird. Da kann es nicht für alles Garantien geben.
Demnächst trifft sich die Kanzlerin mit Vorständen, um über die Beschäftigung von Flüchtlingen zu beraten. Die Dax-Konzerne haben erst 54 Flüchtlinge fest angestellt. Das ist reichlich wenig. . .
Solche Darstellungen in den Medien ärgern mich. Die Wirtschaft lässt sich nicht den schwarzen Peter für eine schlecht gemanagte Flüchtlingskrise zuschieben. Die Politik hat die Flüchtlinge ins Land gelassen und ist damit erkennbar überfordert. Deshalb müssen wir darüber reden, wie wir die Sache in den Griff bekommen. Die Lösung der Probleme, die die Industrie daran hindern, die Flüchtlinge in Brot und Arbeit zu bringen, ist auch Sache der Politik. Vor der Integration in den Arbeitsmarkt muss zunächst einmal der aufenthaltsrechtliche Status geklärt sein. Danach kommt es auf die sprachliche Qualifizierung an, beides hoheitliche Aufgabe. Da hakt es gewaltig. Die Unternehmen leisten viel. Wir bieten eine Berufsvorbereitung, Praktika, Lotsendienste und vieles mehr an. Insbesondere das Handwerk leistet Vorbildliches, um Flüchtlingen den Zugang zu Ausbildungsplätzen zu ermöglichen.
War es ein Fehler, dass die Arbeitgeber vor einem Jahr euphorisch auf den Flüchtlingszustrom reagiert und von der Beseitigung des Fachkräftemangels gesprochen haben?
Es gab nur vereinzelte Stimmen, die so reagierten, denn es war damals schon klar: Flüchtlinge, die aus humanitären Gründen befristetes Aufenthaltsrecht bekommen, sind keine Fachkräfte. Den Fachkräftemangel können wir nur durch qualifizierte Zuwanderung lösen. Die Industrie tut alles, was sie kann, um die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Beschäftigen Sie Flüchtlinge?
Wir haben hier in Heidelberg eine kleine, höchst spezialisierte Produktion. In unserer Fertigung sind kaum noch ungelernte Mitarbeiter tätig. Dieses Bild ist typisch für den deutschen Maschinenbau. Wer als Flüchtling bei uns in der Metall- und Elektro-Industrie qualifiziert arbeiten will, muss erst einmal drei bis vier Jahre Ausbildung absolvieren und die Sprache lernen. Das ist auch bei mir im Unternehmen so.