Für die Brüdergemeinde in Korntal waren die Hexen stets unwillkommene Gäste. Foto: /factum/Simon Granville

Ein Kindergarten in Münchingen will aus christlichen Gründen den Fasching ausfallen lassen – so lauteten am Freitag die Gerüchte und auch ein Zeitungsartikel. Nun stellt der Pfarrer klar: Das stimmt so nicht.

Korntal-Münchingen - Die Wellen der Entrüstung in einer Facebook-Gruppe für Bewohner von Korntal-Münchingen schlagen hoch. Zahlreiche Kommentare in dem sozialen Netzwerk drücken Verständnislosigkeit aus. „Mir fehlen die Worte“, schreibt ein Nutzer. „Was soll das????“, fragt ein anderer. Und ein dritter ist überzeugt: „Da wird es wohl etliche neue Kirchenaustritte geben. So schafft man sich keine Freunde.“

Was war geschehen?

Anlass der Aufregung waren Gerüchte, der Johannes-Völter-Kindergarten im Stadtteil Münchingen von Korntal-Münchingen wolle die Faschingsfeier abschaffen. Träger dieser Einrichtung ist die evangelische Kirchengemeinde. Kolportiert wurde überdies, die Entscheidung habe christliche Gründe – was auch flugs von einer überregionalen Boulevardzeitung weiterverbreitet wurde.

Ein entscheidender Satz blieb unerwähnt

In einem Elternbrief informierte der Kindergarten am Dienstag die Mütter und Väter darüber, dass die Feierlichkeiten an Rosenmontag und Faschingsdienstag in abgespeckter Version stattfinden werden. Wörtlich heißt es: „Wir sehen, dass es unterschiedliche Meinungen zu der Vereinbarkeit zwischen christlichen Werten und Fasching gibt. Deshalb verzichten wir auf das Feiern von Fasching. Es wird an diesen Tagen den gewohnten Tagesablauf geben. Ihr Kind darf aber gerne verkleidet kommen.“ In jenem Zeitungsartikel blieb der letzte Satz jedoch unerwähnt, ebenso das weitere Vorgehen des Kindergartens. Eine „empörte Mutter“ habe das Schreiben auf Facebook gepostet, steht in dem Bericht weiter.

Nun stellt der Pfarrer Martin Hirschmüller klar: „Wir feiern Fasching und schaffen ihn nicht ab.“ Man habe lediglich beschlossen, Prioritäten zu setzen und – da es auch unter den Erzieherinnen unterschiedliche Ansichten über die christlichen Wurzeln und Werte von Fasching gebe – entschieden, Fasching nicht so groß wie sonst zu feiern. Laut dem Pfarrer handle es sich um zwei Familien, denen das nicht passe.

Es herrscht Personalmangel in der Kita

Gleichwohl räumt der 59-Jährige ein, dass die Darstellung im Elternbrief „vielleicht zu kurz und nicht ganz verständlich“ gewesen sei. „Man hätte es anders schreiben müssen“, sagt er auf Anfrage unserer Zeitung. So habe man den Eltern tags darauf ausführlicher dargelegt, warum der Kindergarten dieses Jahr auf ein „besonderes Faschingsfest“ verzichte: Es steht ein arbeits- und ereignisreiches Jahr an, zudem herrscht Personalmangel.

„Wir feiern unser 50-Jahr-Jubiläum mit drei größeren Veranstaltungen“, sagt Martin Hirschmüller. Der Auftakt ist am 9. Februar mit einem großen Fest, zu dem rund 250 Gäste erwartet werden – zwei Wochen vor Rosenmontag und Faschingsdienstag. Darüber hinaus beteiligt sich der Kindergarten mit Beiträgen am Festumzug zum 100-Jahr-Jubiläum des Münchinger Musikvereins sowie am Gemeindefest. „Das ist so viel, dass wir nicht auch noch Fasching feiern können. Die Kinder wären überfordert, und die Erzieher haben nicht die nötigen Kapazitäten“, so Hirschmüller. Fasching sei nun mal „kein christliches Fest, das unverzichtbar zum Programm“ eines evangelischen Kindergartens gehöre. Gleichwohl habe er nichts dagegen, Fasching mit Blick auf die christlichen Wurzeln wie die Fastenzeit zu feiern – und ohne Heidnisches wie Hexen.

Fasnet hat einen schweren Stand in Korntal

Laut der stellvertretenden Leiterin Belinda Calandra bietet der Kindergarten an Fasching traditionell ein Alternativprogramm in Form eines Mottofestes mit Musik, Aufführungen der Kinder und Büffet. „Diesmal gibt es nur Musik und Tanzspiele“, sagt Calandra. Sie kann den Wirbel noch immer nicht fassen. „Damit haben wir nicht gerechnet.“ Calandras Meinung nach wurde „aus einer Mücke ein Elefant gemacht“.

Fasching, alemannische Fasnet oder rheinischer Karneval haben einen schweren Stand in Korntal-Münchingen. In der 16-jährigen Amtszeit des parteilosen Bürgermeisters Peter Stritzelberger hatte es beispielsweise keinen Rathaussturm gegeben – nicht nur, weil es ihm selbst nicht wichtig war, sondern auch aus Rücksicht auf die pietistische Brüdergemeinde.

Sein Amtsnachfolger, der heutige Bürgermeister Joachim Wolf (parteilos) hielt es damit anders. Er ging die Sache unverkrampfter an und lud zum Kinderfasching ein – aber auch dieser Zug musste auf dem Weg zum Rathaus über den zentralen Platz der Brüdergemeinde, dort also, wo die Gemeinde vor 200 Jahren gegründet worden war. Und deren Gläubige hatten ein großes Problem damit, dass nicht nur die örtliche Karnevalsgesellschaft, sondern auch die Strohgäuhexen die Grundschüler und Kindergartenkinder bei ihrem Sturm auf die kommunalpolitische Machtzentrale unterstützen wollten. Ausgerechnet Hexen, jene Gestalten, die sich bei ihrer Taufe an christliche Riten anlehnen, sie dadurch verunglimpften, wie die Gemeinde damals argumentierte. Am Ende stand ein Kompromiss: die Hexen zogen unmaskiert über den Saalplatz. Ihre Masken zogen sie erst im Rathaus auf.

Pfarrer der evangelischen Brüdergemeinde war zu dieser Zeit Michael Wanner. Auch an seiner späteren Wirkungsstätte in Hohenhaslach hatte die evangelische Kirchengemeinde auf Fasching im Kindergarten verzichtet. „Die alemannische Fasnacht hat einen heidnisch-okkulten Hintergrund“, erklärte Wanner vor einigen Jahren. Das habe bis heute Auswirkungen, die sich in „Pseudo-Taufen“, rituellen Begräbnissen von Strohpuppen sowie dem Verlangen nach dem „Geist der Fasnet“ äußerten. Zudem stünden bei den Bräuchen heidnische Figuren wie Hexen, Teufel und Dämonen im Vordergrund, kritisierte Wanner. Er verwies darauf, dass die evangelische Kirche schon seit jeher eine kritische Distanz zur Fasnet pflege.