Der Copilot des verunglückten Germanwings-Flugzeugs soll krank geschrieben gewesen sein. Foto: dpa

Er saß im Cockpit, obwohl er krankgeschrieben war. Der Copilot, der die Germanwings-Katastrophe verursacht hat, ließ seinen Arbeitgeber über seinen Zustand im Dunkeln.

Düsseldorf/Stuttgart - Diagnose verheimlicht und ins Cockpit gesetzt: Der Germanwings-Copilot war am Tag des Absturzes krankgeschrieben. Die Ermittler fanden bei der Durchsuchung seiner Wohnung in Düsseldorf gleich mehrere zerrissene Krankschreibungen. Für einen längeren Zeitraum und auch am Tag des Absturzes war der 27-Jährige arbeitsunfähig, also von mindestens einem Arzt mit dem bekannten „gelben Schein“ entsprechend eingestuft.

Doch Andreas L. hat diesen Umstand den Ermittlern zufolge seinem Arbeitgeber verheimlicht. Statt dessen setzte er sich an die Steuerknüppel des A320. Ob es sich um eine körperliche Erkrankung handelte oder ob er seelische Probleme verheimlichte, darüber schweigen die Staatsanwälte eisern.

Die Entdeckung der medizinischen Formulare in der Wohnung wirft dennoch Sicherheitsfragen für die Luftfahrtbranche auf. Reicht es, sich auf das Verantwortungsbewusstsein des Piloten zu verlassen, wenn bei bestimmten Krankheiten Lizenzentzug und der Verlust des gut dotierten Jobs droht? Arbeitspsychologen weisen darauf hin: Für viele Piloten steht mehr als ein Job auf dem Spiel, sondern ihre über alles geliebte Fliegerei – so wie beim Copiloten L.

Kann man sich bei einem erkrankten Piloten darauf verlassen, dass er rational reagiert und seinen Job quittiert? Weltweit gibt es mehrere Abstürze, bei denen der „erweiterte Suizid“ als Ursache vermutet wird. Ein vernachlässigbares Problem?

Ein Internist des Stuttgarter Karl-Olga-Krankenhauses kann sich keine rein körperliche Erkrankung vorstellen, mit der das Verhalten des Co-Piloten erklärbar wäre: Um einen Sinkflug einzuleiten, müsse man im vollen Besitz der kognitiven und feinmotorischen Fähigkeiten sein – eine Ohnmacht oder Bewusstlosigkeit sei daher ausgeschlossen.

Unmöglich, einen erweiterten Suizid vorherzusehen

Für den Fall, dass es sich bei der Tat des Piloten also tatsächlich um einen erweiterten Suizid handelt, könnte es dafür verschiedene psychische Ursachen geben: „Wenn jemand einen erweiterten Suizid begeht, kommt dafür neben einer schweren Persönlichkeitsstörung auch eine Psychose in Betracht“, erklärt Beate Franke, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uniklinik Ulm. „Oder aber eine Kombination aus verschiedenen Krankheiten. Eine reine Depression führt in der Regel nicht zu einem erweiterten Suizid, zumindest nicht in dieser Dimension“, sagt sie. „Leidet ein Mensch an einer psychiatrischen Erkrankung, merkt man das von außen oft nicht.“

So wüssten häufig nicht einmal Freunde oder Familienangehörige davon. Darum sei es auch praktisch unmöglich, einen erweiterten Suizid vorherzusehen, insbesondere, da die Betroffenen in den seltensten Fällen diese Taten ankündigen. „So etwas ist aber auch sehr selten“, betont die Ärztin. Und warnt in Bezug auf den Co-Piloten vor Spekulationen über das Motiv.

Die Pilotenvereinigung Cockpit hat sich bislang skeptisch gezeigt, was regelmäßige psychologische Tests angeht: „Es spricht natürlich einiges dafür, dass es hier um einen Menschen, der psychisch krank gewesen ist, gegangen sein könnte“, sagt der Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit, Jörg Handwerg. Aber: „Man kann ja nicht jeden Piloten vor jedem Umlauf zu einem psychologischen Gespräch oder Test schicken.“ Die Pilotenvereinigung wird sich nun die Gegenfrage stellen lassen müssen: Reicht einmal im Arbeitsleben aus?

"Der Arbeitnehmer trägt die Verantwortung"

Ärzten und Krankenkassen sind jedenfalls die Hände gebunden. Sie dürfen den Arbeitgeber nicht auf eigene Faust informieren, auch wenn ihr Patient in einem Hochrisikoberuf arbeitet und die Diagnose noch so alarmierend ist. „Der Patient muss dem Arzt ja nicht einmal seinen Beruf nennen und auch der Kassenärztlichen Vereinigung werden nur anonymisierte Daten übermittelt“, sagt ein Sprecher der Ärztekammer Nordrhein. „Das würde vollkommen gegen den Datenschutz verstoßen“, bestätigt ein Sprecher der Krankenkasse Barmer GEK in Wuppertal. „Das ist der Kern des besonders geschützten Vertrauensverhältnisses von Arzt und Patient. Der Arbeitnehmer trägt die Verantwortung. Wenn er es nicht erzählt, erfährt es der Arbeitgeber nicht.“

Eine Ausnahme bildet die fliegerärztliche Untersuchung. Ihr müssen sich die Berufspiloten einmal im Jahr unterziehen und bei Nicht-Bestehen schützt dort keine ärztliche Schweigepflicht. Aber für psychologische Untersuchungen sind die Fliegerärzte nicht ausgebildet, sagt der Präsident des Fliegerarzt-Verbandes, Hans-Werner Teichmüller.

Der dabei obligatorische Urin- und Bluttest prüft auch nicht auf Antidepressiva oder Drogen. Erst wenn bereits ein Verdacht vorliegt, wird nach solchen Substanzen gesucht. Nicht nur Kriminalpsychologen wissen aber: Hochintelligente Menschen können ihr Umfeld täuschen und ihren wahren seelischen Zustand gut verbergen.

Studien zufolge kommen Millionen Arbeitnehmer in Deutschland hin und wieder krank zur Arbeit. Manche aus Angst vor ihrem Arbeitgeber, manche aus falsch verstandenem Arbeitsethos oder Karrierestreben. Ein ungesunder „Volkssport“, der normalerweise vor allem den Kranken selbst gefährdet. Fliegerarzt-Präsident Teichmüller warnt vor voreiligen Schlüssen: „Noch wissen wir nicht genau, welche Krankheit er hatte. Es kann ja auch etwas ganz anderes gewesen sein als das, was alle im Moment glauben.“