Schreiner Martin Hiller mit seinem nun preisgekrönten Hocker. Foto: Simon Granville

Der Hocker „Low Oak“ des Besigheimer Schreiners Martin Hiller ist für seine „herausragende Designqualität“ prämiert worden. Das Möbelstück ist Teil einer Geschichte über den Wunsch seine eigenen Vorstellungen zu verwirklichen.

Schon mit acht Jahren hat Martin Hiller für ein kleines Taschengeld den Hof der Schreinerei seines Vaters gekehrt. Als Jugendlicher arbeitete er regelmäßig im Betrieb mit. „Ich habe früher viel Fußball gespielt, aber im Gegensatz zu den meisten Mitspielern war ich samstags vor dem Spiel im Geschäft und habe meinem Vater geholfen“, erzählt Hiller. Damals hätte er wohl noch nicht geahnt, dass seine Arbeit eines Tages mit dem German Design Award ausgezeichnet werden würde. Genau das ist aber geschehen: Ende Oktober erfuhr Hiller, dass sein selbst designter Hocker „Low Oak“ prämiert worden ist.

Geschäftsführer mit 23 Jahren

Doch zurück zum Anfang: Martin Hillers Großvater führte bereits eine Wagnerei in Besigheim, bevor dessen Kinder das Geschäft verkauften und sein Vater 1965 schließlich die Schreinerei gründete. Dass auch Martin Hiller irgendwann in den Familienbetrieb einsteigt, zeichnete sich früh ab. „Mein Vater hat sich schon gewünscht, dass ich und mein Bruder das zusammen übernehmen“, erzählt Hiller. Sein Bruder Manfred führt heute ein Küchenstudio, er selbst hat 2002 dann die Schreinerei übernommen. Seit 2019 sind die beiden Bereiche getrennt und er wurde somit zum alleinigen Geschäftsführer des Unternehmens Hiller GmbH und Co KG.

Ein Stück nutzbare Kunst entsteht

Sein bisheriger Aufgabenbereich: Sonderanfertigungen im Innenausbau. Was zählt, sind die Wünsche der Kunden. Schränke unter Schrägen, eine Verkleidung für den Fernseher . . . Hiller erfüllt diese Aufträge gerne. Was ihm aber dabei fehlte, war die Freiheit, über Material und Optik selbst zu entscheiden. Er beschließt also, neben den üblichen Aufträgen, ein eigenes Möbelstück zu entwerfen – ein Stück nutzbare Kunst, nach seinen eigenen Ideen. Am Ende entsteht ein Hocker, der ihn und sein Unternehmen über die Stadtgrenzen von Besigheim bekannt machen soll.

Die Grundidee war eine durchlaufende Musterung über die Kanten und Ecken eines Möbelstücks hinweg. Die lässt er sich auch schützen. Nach und nach ergibt sich daraus das Konzept für den „Low Oak“, übersetzt „Niedrige Eiche“. Ein Hocker, der mehr als praktikabel sein soll. Mit dem Entschluss, die Eiche aus dem Bestand seines Vaters, Holz aus dem Sachsenheimer Wald, zu nutzen, steht auch das Material fest. Auf der Suche nach der passenden Musterung lässt er sich von Naturbüchern inspirieren. Im Internet stoßen er und seine Partnerin Christiane Mayer auf mikroskopische Aufnahmen von Hölzern. „In hunderten Stunden habe ich immer wieder die einzelnen Zellen der Eiche nachgezeichnet und extrem vergrößert“, so Hiller. Die feine Struktur des Holzes wird zur Musterung seines Hockers. Und als der erste Prototyp steht, ergibt sich auch sofort die passende Beschreibung für das Möbelstück: Eine Reise durch den Baum.

„Das ist der außergewöhnliche Effekt, der soll begeistern“

Für eine Abgrenzung zwischen seinen Möbel und den Arbeiten der Hiller GmbH gründet er mit Christiane Mayer den Geschäftsbereich H! Inspire. „Wir wollten eine eigene Sparte für außergewöhnliche Möbel kreieren“, erzählt Hiller. Eine Vorhaben, das trotz der Erfüllung eines Traums auch an den Kräften zehrt: „Einfach ist selbstständig sein nicht, der Aufbau von H! Inspire neben dem Innenausbau ist auch stressig.“ Bei seiner Sechs-Tage-Woche bleibe wenig Freizeit.

Die fünf Einzelteile seines Hockers sind aus Eichenfurnier und geräucherter Eiche gefertigt, die zwei Hölzer sind ohne sichtbare Verklebung zusammengefügt. „Im Hocker gibt es 200 Ausschnitte, die ringsherum unterschiedlich sind“, erklärt Hiller. Durch Aussparungen, die über die Kanten hinweg verlaufen, verschwindet die Geometrie, wenn man den Hocker aus der Entfernung oder in einem anderen Licht betrachtet. „Das ist der außergewöhnliche Effekt und der soll begeistern“, so Hiller. Begeisterung, die man ihm anmerkt. Die Käufer sollen sich darauf freuen, nach Hause zu kommen.

Entwicklung und Produktion – alles aus einer Hand

Ende Juli 2022 stellt Hiller seinen Hocker auf einer Messe aus, ohne ihn zum Verkauf anzubieten: „Ich wollte nur sehen, wie die Leute darauf reagieren und das war sehr positiv.“ Die Rückmeldungen motivierten ihn und seine Partnerin, den Hocker und den Webauftritt weiterzuentwickeln – und dazu das Produkt beim German Design Award einzureichen. Ein Premiumpreis des Rats für Formgebung, der innerhalb der Designbranche hoch anerkannt ist. 2022 werden 4200 Objekte aus 57 Ländern eingereicht.

Ende Oktober erreicht Martin Hiller dann die E-Mail, dass er zu den Preisträgern des German Design Award 2023 gehört. Die unzähligen Stunden Arbeit haben sich ausgezahlt. Ausgezeichnet für „herausragende Designqualität“ würdigt die Jury dabei die nahtlosen Übergänge, die von der Natur inspirierte Struktur und die präzise Herstellung. Der Hocker entfalte seine Faszination in unterschiedlichsten Umgebungen, so die Begründung der 36 Jury-Mitglieder. „Für unsere kleine Firma ist der German Design Award phänomenal“, so Hiller voller Freude. Stolz sei er auch, dass das Gewinnerstück im Gegensatz zu anderen Preisträgern von nur einer Person – ihm selbst – stammt.

Ohne die Familie geht nichts

Am 3. Februar fahren Martin Hiller und Christiane Mayer mit ihrem fünfjährigen Sohn nach Frankfurt zur Preisverleihung. „Wir haben immer gesagt, wenn wir je etwas gewinnen sollten, fahren wir zu dritt und machen die offiziellen Fotos zusammen“, sagt Hiller und macht damit klar, dass seine Familie maßgeblich an dem Erfolg beteiligt ist. Christiane Mayer kümmert sich um das Verfassen der Texte und organisatorische Abläufe, seine 81-jährige Mutter unterstützt sie im Büro und sein Sohn übernimmt das Freizeitprogramm: „Für mich ist mein Kleiner ein Ruhepol.“ Der kommt wohl ganz nach dem Papa und halt selbst eine über Eck ausgeschnittene Milchtüte gebastelt.

Fünf Hocker hat Hiller bisher verkauft, der Kaufpreis pro Stück liegt momentan bei 1869 Euro. Für die Produktion eines „Low Oak“ braucht Martin Hiller circa eineinhalb Wochen. Momentan plant er, seinen Hocker auch verschiedenen Hotels anzubieten. Doch es soll nicht bei einem Möbelstück bleiben. Die Ideen in Martin Hillers Kopf warten nur darauf, konkretisiert zu werden.

Klimaschutz fördern

Verpackung
Martin Hiller hat für den Versand seines Hockers „Low Oak“ in Zusammenarbeit mit einer Pleidelsheimer Verpackungsfirma einen wiederverwendbaren, faltbaren Karton aus 82 Prozent recyceltem Material entwickelt, der ohne Plastikband und Folie auskommt.

Spende
Nach Angaben des Bundesforschungszentrums für Wald ist die Eiche besonders widerstandsfähig und kann sich nach regenarmen Perioden schnell wieder erholen, da die Bäume bei Trockenheit mehr Energie in das Wurzelwachstum investieren. H! Inspire spendet daher für die Aufforstung des Sachsenheimer Waldes. „Wenn wir Holz verbrauchen, wollen wir auch unseren Teil dazu beitragen, dass wieder etwas hinterher kommt“, sagt Hiller. Mit der Spende werden pro Jahr und Hektar circa 100 000 Stieleichen gepflegt.