Innenminister Thomas Strobl (rechts), Ibolya Hock-Englender (ungarisch-deutsche Politikerin, links) und Bürgermeister Dirk Oestringer sind sich einig: Die Heimatvertriebenen haben Erhebliches für das Land geleistet. Foto: Simon Granville

75 Jahre Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn in Baden-Württemberg – das wird im Gerlinger Rathaus groß gefeiert. Mit dabei: Innenminister Thomas Strobl.

„Meine deutsch-ungarischen Freunde kann ich nicht sitzen lassen!“ Erkältungsanflug hin oder her, seine Festrede bei der 44. Kulturtagung der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn in Baden-Württemberg ließ sich Thomas Strobl, Innenminister sowie Landesbeauftragter für Vertriebene und Spätaussiedler, nicht nehmen. Feierte die LDU doch im Sitzungssaal des Gerlinger Rathauses ihr 75-jähriges Bestehen. Und das Motto „Vergangenheit hat Zukunft“ war Programm. Dazu berichtete etwa die Journalistin Krisztina Szeiberling-Pánovics über die – nun 16 – Ungarndeutschen Lehrpfade. In diesem Projekt der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen wird seit 2015 mittels Tafeln, interaktiven Installationen und Begleitheften in ungarndeutschen Ortschaften die Historie der Minderheit vermittelt.

 

Ein Blick in die Vergangenheit

Darin tauchte auch Strobl ein, seinen „Lieblingsphilosophen“ Odo Marquard zitierend: „Ein Blick in die Vergangenheit ist für die Zukunft entscheidend.“ Er betonte, dass die ungarndeutsche „einer der ersten landsmannschaftlichen Vereinigungen“ gewesen sei, „nachdem das Koalitionsverbot 1949 aufgehoben wurde.“ Letzteres hatten die Alliierten verhängt nach Kriegsende, um zu verhindern, dass sich Vertriebenenorganisationen oder -parteien bildeten. Am 19. November 1949 wurde die Ungarndeutschen Landsmannschaft (UDL) in Stuttgart gegründet. LDU heißt sie seit November 1980, als die bis dahin selbstständigen Landsmannschaften in Bayern und Baden-Württemberg fusionierten.

„Die Heimatvertriebenen haben für das Land Erhebliches geleistet“, honorierte Strobl wie zuvor Gerlingens Bürgermeister Dirk Oestringer. Sie hätten es kulturell kolossal bereichert mit Literatur, Bildender Kunst, Musik, Fachtagungen, auf vielen Ebenen als Brückenbauer fungiert, was das Innenministerium fördere. 125 Städtepartnerschaften gebe es mittlerweile zwischen Orten in Ungarn und Baden-Württemberg.

Auch ökonomisch hätten sie viel zum Wohlstand beigetragen, so der stellvertretende Ministerpräsident. Zudem politisch: Das Bundesland Baden-Württembergs – am 25. April 1952 aus Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern entstanden – würde es sonst nicht geben. „Die Stimmen der Heimatvertriebenen waren bei der Volksbefragung das Zünglein an der Waage. Es war die einzige geglückte Länderfusion der BRD, herzlichen Dank dafür.“

Diskriminierung und gesellschaftliche Ächtung

Daher feiere man nun nicht nur 75 Jahre Landsmannschaft, sondern auch ein Dreiviertel-Jahrhundert tolles Engagement. Aber er unterstrich auch das harte Schicksal der Vertriebenen, die alles verloren und neu anfangen mussten. Laut LDU lebten 1950 etwa 210 000 Ungarndeutsche außerhalb Ungarns, davon 175 000 in Westdeutschland – meistens in Baden, Württemberg und Bayern – 10 000 in der DDR, 20 000 in Österreich, 5000 in Übersee. „Sie waren hier alles andere als willkommen, erfuhren Diskriminierung und gesellschaftliche Ächtung“, so Strobl. In Ungarn wurden sie erst 1983 moralisch rehabilitiert, als die Magyar Szocialista Munkáspárt (Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei, MSZMP) eine kollektive Schuld der Deutschen an den nationalsozialistischen Verbrechen öffentlich revidierte und die Vertreibungen als kollektive Bestrafungsmaßnahme verurteilte. Das ungarische Parlament beschloss 2012 einen offiziellen Gedenktag für die vertriebenen Ungarndeutschen: den 19. Januar. Das Ungarische Generalkonsulat in Stuttgart lädt seit 2018 entsprechend ein.

Aus der Geschichte zu lernen, das heiße auch, konsequent gegen rassistische Wahnvorstellungen oder Fantasien von Remigration vorzugehen, betonte Strobl. Minderheiten dürften kein Spielball nationalistischer, imperialer Politik sein. „Völkische Konzepte von Staatszugehörigkeit sind unvereinbar mit einer freiheitlichen, demokratischen Grundordnung.“ Hier leisteten LDU und Landesselbstverwaltung wichtige Arbeit, genauso wie Gerlingen, dessen Stadtmuseum und das Donauschwäbische Zentralmuseum Ulm.