Dem Diesel drohen jetzt Fahrverbote. Foto: dpa

Neue Diesel sind heute oft sauberer als Benziner. Das Fahrverbot kommt für die Umwelt zu spät. Leidtragende sind die Autobesitzer, meint unser Autor Klaus Köster.

Stuttgart - Jetzt ist es amtlich: In Stuttgart kann die Landesregierung bald Fahrverbote verhängen, um die EU-Grenzwerte für den Luftschadstoff Stickstoffdioxid einhalten zu können. Wirklich überraschend kommt dieser Urteilsspruch nicht. Bereits seit Jahren sind die Schadstoffwerte deutlich über den Werten, die Brüssel allen Mitgliedsstaaten vorgibt. Bei der Abwägung zwischen den – wissenschaftlich durchaus umstrittenen – Gesundheitsgefahren durch Luftschadstoffwerte oberhalb des von der EU Erlaubten und dem Recht auf die Nutzung des teuer erworbenen Dieselfahrzeugs konnte das Bundesverwaltungsgericht gar nicht anders, als der Gesundheit den Vorzug zu geben.

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Natürlich muss sich die Autobranche beim Thema Umweltschutz schwere Fehler ankreiden lassen, und das nicht erst, seit die Manipulation von Abgaswerten durch den Volkswagen-Konzern ans Tageslicht kam. Schon vor 20 Jahren versprachen die europäischen Hersteller, den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid deutlich zu senken – und verfehlten das Ziel bei weitem. Erst danach zog die EU die Daumenschrauben an und setzte der Branche strenge, strafbewehrte Klimaziele.

Die Straßen sind deutlich sauberer geworden

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Entwicklung inzwischen deutlich vorangeschritten ist. Die Industrie hat, wenn auch spät, neue Motoren entwickelt, die nicht nur im Labor, sondern auch auf der Straße die immer strenger gewordenen Grenzwerte einhalten. Der Tausch alter gegen schadstoffarme neue Fahrzeuge wird von der Industrie unterstützt, zudem läuft die Nachrüstung älterer Autos mit einer neuen Software. Ausgerechnet am Stuttgarter Neckartor, Deutschlands bisher höchstbelasteter Kreuzung, ist die Belastung deutlich gesunken. Das kommt nicht von ungefähr, sondern zeigt, dass die bisherigen Schritte wirken. Doch diejenigen, die ansonsten bei jeder Grenzwertüberschreitung irgendeines Modells Alarm schlagen, nahmen das kaum zur Kenntnis. Und auch vor dem Verwaltungsgericht spielte es kaum eine Rolle.

Diese Diesel-Modelle sollen vorerst verschont werden

Nun wird die Landesregierung sehr ernsthaft Fahrverbote in Stuttgart prüfen müssen – allerdings hat das Gericht dabei zur Bedingung gemacht, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Denn ein Fahrverbot träfe weniger die Hersteller als vielmehr diejenigen, die sich teilweise noch im Sommer 2015, also vor nicht einmal zweieinhalb Jahren, einen nagelneuen Diesel nach neuester Schadstoffnorm gekauft haben. Sie können nun darauf hoffen, bis auf weiteres von einem Verbot verschont zu bleiben. Und auch die Tatsache, dass die Stickoxid-Messwerte deutlich gesunken sind und vieles darauf hindeutet, dass sich diese Entwicklung fortsetzt, gehört zu einer Reaktion mit Augenmaß, die die Richter der Politik ins Stammbuch geschrieben haben. Es ist ein Unterschied, ob die Luftbelastung himmelweit über dem liegt, was die EU vorgibt – oder ob sie sich auch ganz ohne Fahrverbot immer mehr verbessert. Das Urteil ist kein Ja, sondern ein Ja, aber.

Der Landesregierung fehlt der Kompass

Gerade weil sich schon länger abgezeichnet hat, dass die Luftwerte besser werden, ist es völlig unverständlich, dass die Landesregierung für das Verfahren den Weg direkt vor das Bundesverwaltungsgericht gewählt hat. Durch diese Sprungrevision von der ersten in die dritte Instanz hat sich das Land selbst die Möglichkeit genommen, die deutliche Verbesserung bei der Entscheidung über Fahrverbote zu berücksichtigen – das wäre nur möglich gewesen, wenn es den eigentlich vorgesehen Weg einer Berufung in der zweiten Instanz, beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim, gewählt hätte. Dass das Land trotz der Verbesserung darauf verzichtet hat, ist eine politische Fehlleistung. Das Land argumentierte vor Gericht gegen Fahrverbote und wählte zugleich den Rechtsweg, der seine Erfolgschancen minimiert. Das ist kein politischer Kompromiss, sondern eine Strategie ohne Kompass.

So verständlich die Genugtuung über die Niederlage der zuweilen allzu selbstgewiss auftretenden Branche auch ist – letztlich treffen Fahrverbote vor allem die Menschen, die im guten Glauben einen umweltfreundlichen Diesel gekauft haben. Sie sind die Leidtragenden eines Rechtszustands, den die Autobranche erst durch Versäumnisse heraufbeschworen und die Landesregierung durch eine falsche Strategie befördert hat. Fahrverbote dürften auch die Nachfrage nach dem Diesel weiter einbrechen lassen, obwohl dieser inzwischen bei Feinstaub und dem Treibhausgas CO2 wesentlich sauberer ist als der Benziner – und überdies im Land für sehr viele Arbeitsplätze steht. Es gibt kein Land, das sich selbst so beschädigt wie Baden-Württemberg, und man kann nur hoffen, dass das Land sich eine solche Politik leisten kann.