Das Haus in der Hackstraße im Stuttgarter Osten ist von Nestwerk gebaut worden Foto: Kraufmann

Diskutieren Sie mit: Das Stuttgarter Landgericht hat bis heute den Prozess gegen den ehemaligen Vorstand der Stiftung Nestwerk nicht eröffnet. Das lange Warten könnte zu einer Strafminderung führen.

Stuttgart - Mit dem Namen der Stiftung Nestwerk fangen heute nur noch altgediente Stadträte und Bürgermeister was an. Allein das deutet darauf hin, wie lang einer der größte Fälle von Wirtschaftskriminalität in Stuttgart schon zurück liegt. Der damalige Geschäftsführer der Stiftung soll mutmaßlich tief in die eigenen Taschen gewirtschaftet, Unterschriften und Rechnungen gefälscht haben. Zuletzt musste er Insolvenz anmelden, was einen Gesamtschaden von rund 20 Millionen Euro verursacht hat.

Die Taten, begangen in den Jahren 2007 bis 2010, wurden von der Staatsanwaltschaft untersucht und für genügend befunden, 2012 die Anklage zu erheben. Ein Termin für die Verhandlung ist allerdings bis heute nicht festgesetzt.

Zuständig ist die 6. Große Wirtschaftsstrafkammer des Stuttgarter Landgerichts. Auf Anfrage teilt die Mediensprecherin für allgemeine Angelegenheiten und Strafsachen mit, dass der Nestwerk-Fall wegen anderer großer Fälle warten muss: „Die Kammer verhandelt derzeit ein Großverfahren gegen zwei Angeklagte. Hierbei geht es um den Vorwurf von 1231 Fällen des gemeinschaftlichen Betrugs, jeweils im besonders schweren Fall.“

Haftsachen sind vordringlich zu behandeln

Die Angeklagten hatten in Deutschland, der Schweiz und in anderen europäischen Ländern Aktien einer Schweizer Firma verkauft, die wertlos gewesen sein sollen. Es entstand ein Schaden in Höhe von rund 20 Millionen Euro, den nun unter anderem 568 Anleger zu tragen haben.

Im E-Zigaretten-Fall, denn um solche rankte sich das Geschäftsmodell der Aktienverkäufer – hat die Staatsanwaltschaft erst vier Monate später als im Fall Nestwerk Anklage erhoben, trotzdem hatte das Großverfahren Vorrang: „Beide Angeklagte befinden sich seit Juni 2012 ununterbrochen in Untersuchungshaft“, sagt die Sprecherin des Landgerichts, deshalb sei die Sache „vordringlich zu behandeln“.

Ähnliches gilt für den Prozess um einen krassen Fall von Kunstfälschung. Im Sommer wurde der letzte einer dreiköpfigen Bande vom Landgericht zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt; die Männer hatten hunderte von gefälschten Skulpturen als Originale des berühmten Bildhauers Giacometti verkauft. Einen enormen zeitlichen Aufwand verursacht zudem der Prozess um zwei ehemalige Porsche-Vorstände, denen Marktmanipulationen vorgeworfen werden.

Es droht Haft von sechs Monaten bis zu zehn Jahren

Der ehemalige Stiftungsvorstand hingegen lebt in Freiheit, da keine Flucht- oder Verdunklungsgefahr bestanden hatte. Wovon er seinen Lebensunterhalt bestreitet, kann Insolvenzverwalter Klaus Albert Maier nicht sagen; er vermutet, von Reserven, die mutmaßlich nicht in die Insolvenzmasse geflossen seien. „Sollte er vor Gericht eines Tages ein Geständnis ablegen und im Rahmen seiner Möglichkeiten eine Spende zur Schadenswiedergutmachung leisten, kann er mit einer Strafmilderung rechnen“, erläutert der Rechtsanwalt. Und habe sich der Angeklagte bis zur Eröffnung des Verfahrens gemäß der Auflagen verhalten, könnte die lange Wartezeit zudem zu einer Strafmilderung führen.

Dem ehemaligen Geschäftsführer droht eine Haftstrafe von mehreren Jahren. Für die Untreue in 140 besonders schweren Fällen kann das Gericht eine Strafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Haft verhängen, für die Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug gilt derselbe Strafrahmen.

Insolvenzverwalter Maier hat sich inzwischen weiter um die Mehrung der Insolvenzmasse bemüht. Aus der Verwertung der ehemaligen Nestwerk-Immobilien hat er 1,36 Millionen Euro erlöst, am 1. Juli 2014 habe er selbst das ehemalige Klosteranwesen Maria Tann im Schwarzwald an eine Wohnbaufirma verkauft. Von einem ehemaligen ehrenamtlichen Vorstand der Stiftung verlangte Maier ebenfalls Geld, „weil der seinen Kollegen nicht überwacht hat“. Die Versicherung des Mannes habe inzwischen bezahlt. Maier ist optimistisch: „Wir haben inzwischen eine Insolvenzquote von zehn Prozent.“

Für die Stadt Stuttgart würde das bedeuten, dass zehn Prozent des erlittenen Schadens wieder gut gemacht werden könnten. Finanzbürgermeister Michael Föll hatte den Schaden aus unbezahlten Darlehen, Forderungen und einer Bürgschaft an die L-Bank vor knapp vier Jahren mit 4,76 Millionen Euro beziffert. Damals hatte Föll damit gerechnet, dass allenfalls vier Prozent aus der Insolvenzmasse zu erlösen seien. Eine Auszahlung ist allerdings erst nach Abschluss des Verfahrens möglich.