Gespräch mit Ex-Innenminister Gerhart Baum - Heftige Kritik an FDP-Chef Westerwelle.

Stuttgart - Jetzt auch noch Ex-Innenminister Gerhart Baum: Wieder hagelt heftige Kritik auf den FDP-Chef Guido Westerwelle. Beim Dreikönigstreffen in Stuttgart müsse eine Kurskorrektur geschehen. 

Herr Baum, welche Rede sollte Herr Westerwelle am Dreikönigstag in Stuttgart halten?

Er muss die FDP für die Zukunft profilieren. Und zwar nicht nur mit dem Thema "Mehr netto vom Brutto" - was, nebenbei bemerkt, zurzeit sowieso nicht funktioniert. Es genügt auch nicht, die sogenannte Mittelschicht anzusprechen. Westerwelle muss vielmehr deutlich machen, was Liberalität heute bedeutet. Da hat Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vollkommen recht, die eine inhaltliche Auffrischung der FDP fordert. Ich nenne dafür beispielhaft zwei Themen: Frau Leutheusser kämpft gegen konservative Kräfte in der Union. Sie braucht dabei Unterstützung. Ich erwarte von Westerwelle in Stuttgart ein sehr klares Wort zur Rechtsstaatsorientierung der FDP. Er könnte etwa sagen: Eine anlasslose Speicherung von Millionen Kommunikationsdaten durch die Vorratsdatenspeicherung beschädigt die verfassungsrechtliche Identität unseres Landes. Sie kommt für die FDP nicht infrage.

Und das zweite Thema ist...?

Europa. Europa ist unsere Schicksalsgemeinschaft. Europa ist unsere Zukunft, wir haben keine andere. Mich ärgert das Gerede über das Potenzial einer Anti-Europa-Partei. Die FDP muss die Partei sein, die die europäische Einigung vorantreibt. Wer wäre dazu geeigneter als der Außenminister?

Welche Köpfe sehen Sie, die die thematische Neuausrichtung personifizieren?

Auf Dauer braucht die FDP eine deutliche Verjüngung. Das personelle Potenzial dafür hat sie, im Bund und in den Ländern. Nicht erst auf dem Parteitag im Mai müssen die geeigneten Personen aus der Anonymität heraustreten und sich auf der politischen Bühne auch mit liberalen Themen zeigen. Im Übrigen braucht die FDP mehr parteiinterne Diskussion. Es führt kein Weg an einer handfesten Kontroverse über Europa vorbei. Es gibt in der FDP Europa-Gegner und -Befürworter. Sie müssen unter sich den Kurs auskämpfen. Auch einer Leitkulturdebatte, die Antiislamismus schürt, muss die FDP entgegentreten.

In der jungen liberalen Garde - Lindner, Bahr, Rösler - ist aber kein Rechtsstaatsliberaler, macht Ihnen das Sorge?

Es macht mir so lange keine Sorge, wie Frau Leutheusser da ist. Sie hat auch Unterstützung bei Jüngeren in der Fraktion. Die Gefahr ist, dass Leutheussers Engagement nicht der FDP insgesamt zugeschrieben wird. Die gesamte FDP-Führung muss sich ihre Themen zu eigen machen.

Die FDP steht vor sehr schwierigen Wahlkämpfen. Müsste die FDP nicht stärker die Union angreifen?

Das auch. Die FDP ist zuletzt oft untergebuttert worden von der Union. Die Union versucht, aus der Schwäche der FDP Kapital zu schlagen. Das muss ein Ende haben.

Fraktionschefin Birgit Homburger gibt aber die Losung aus, Konflikte mit der Union zu meiden...

Konflikte in der Sache lassen sich in einer Koalition nicht vermeiden. In einer Koalition gibt es keine Kirchhofsruhe. Was stört sind zerstörerische Konflikte wie sie zeitweise Herr Seehofer gefahren hat.

Dirk Niebel hat gesagt, Westerwelle sei der beste FDP-Vorsitzende aller Zeiten, stimmen Sie zu?

Ich weiß nicht, ab wann Herr Niebel die Nachkriegsgeschichte bewusst wahrnimmt.

Kann es nicht sein, dass die Menschen Westerwelle einfach nicht mehr sehen können?

Die FDP hat ein Problem mit der mangelnden öffentlichen Akzeptanz von Westerwelle. Es ist aber nicht ihr einziges Problem. Wie Herr Westerwelle mit seiner Zukunft umgeht, das muss er im Lichte der Verhältnisse selbst entscheiden. Ich bin dagegen, alles an der Person Westerwelle festzumachen. Die jüngeren Leute in der FDP müssen zum Beispiel mutiger werden. Christian Lindner ist ein Hoffnungsträger. Er betreibt jene Substanzauffrischung des Liberalismus, die die Partei dringend braucht.

Welchen Fehler hat die FDP unter Westerwelles Führung - unabhängig von den Pannen im politischen Alltagsgeschäft - gemacht?

Mir fehlt Selbstkritik. Nur zu sagen, wir haben wegen der NRW-Wahl die Reformen zu spät begonnen, das reicht mir nicht. Lindner hat einmal gesagt: Es fehlte nach dem Wahlsieg ein Quantum Demut. Da steckt alles drin.

Es heißt gelegentlich, die FDP habe den Fehler gemacht, nicht das Finanzministerium zu besetzen. Teilen Sie die Analyse?

Nein. Der größere Koalitionspartner ist immer für das Finanzressort prädestiniert. Ich frage mich auch, was die FDP mit einem eigenen Finanzminister hätte durchsetzen können. Angesichts der Finanzlage gibt es momentan keinen Spielraum etwa für Steuersenkungen.