Am Vormittag eines Wochentages durchstößt im Schnitt alle drei Minuten ein Autofahrer die Lücke und biegt ins Quartier ab. Foto: red

Anwohner sollen entscheiden, ob die schnelle Abkürzung vom Gerberviertel zur Bundesstraße wieder verboten wird. Sie zu erlauben, war die Idee eines Optikers.

S-Mitte - Aus der einen Richtung betrachtet, sieht die Lücke so aus: Ganze zwei Bewohner des Quartiers haben sich über sie beschwert. Aber aus der anderen Richtung betrachtet, „haben wir versprochen, die Lücke wieder zu schließen“, sagt Arne Seyboth. Schließen oder nicht schließen, Versprechen brechen oder halten? Das ist die Frage, die der städtische Verkehrsplaner sich vom Bezirksbeirat beantworten lassen will.

Schuld an der Lücke ist der Optiker Hans Schneider, dessen Laden an der Sophienstraße liegt. Während der scheinbar unendlichen Bauzeit, in der sich im Gerberviertel Baustelle an Baustelle reihte, müssten die Anwohner bei allem Lärm, Staub und Dreck nicht auch noch darunter leiden, dass die Baulaster im Viereck herumkurven, um ins Quartier hinein oder aus ihm hinaus zu kommen. Die Stadt möge einfach die paar Pfosten aus dem Asphalt ziehen, die nur wenige Schritte von seinem Laden entfernt die Durchfahrt zwischen der Sophienstraße und der Hauptstätter Straße versperren, auf dass der Schwerverkehr auf kurzem Weg über die Stadtautobahn abgewickelt werden kann. Das war Schneiders Idee. Und so geschah es, selbstredend mit der Zusage, die Lücke nach der Bauzeit wieder zu schließen, damit kein Schleichverkehr die Bewohner belastet.

Die Zusage wurde wohl wieder vergessen

Allerdings wurde diese Zusage wohl vergessen. Als am 23. September vergangenen Jahres die Ehrengäste zur Eröffnung des Einkaufszentrums Gerber das rote Band durchschnitten, war die jahrelange Zeit des quälenden Bauens vorbei. Monatelang beklagte sich niemand, dass eine nennenswerte Zahl von Autofahrer auf dem Weg zu gleich welchem Ziel von der Bundesstraße aus durchs Gerberviertel schleicht. Bis jene zwei Beschwerden das Rathaus erreichten, eine per Mail, eine per sogenannter Gelber Karte, dem Beschwerdeformular der Stadt für ihre Bürger.

Tatsächlich ergibt der Test vor Ort, dass am Vormittag eines Wochentags im Schnitt alle drei Minuten ein Auto die Lücke durchstößt und ins Quartier abbiegt. Würde sie geschlossen, „würden andere Straßen wieder mehr belastet“, sagt Seyboth. Dann müssten Autofahrer wieder im Viereck herum durch die Sträßchen gleitet werden, was insbesondere im Fall der seit 2012 verkehrsberuhigten Tübinger Straße mit ihrem sogenannten „Shared Space“ Seyboth wenig sinnvoll scheint. „Aber natürlich geht das so oder so“, sagt er.

Gewerbeverein und Anwohner sollen entscheiden

Vorerst erhob sich im Bezirksbeirat nur eine Stimme gegen den Mut zu Lücke, die der Grünen Renée-Maike Pfuderer, nicht unbedingt aus verkehrlichen Gründen, sondern des Grundsatzes wegen. „Die gelbe Karte ist berechtigt“, sagte sie, „unser Beschluss war: nur über die Bauzeit“. Ansonsten herrschte zu Seyboths Frage Schweigen. Weshalb die Lokalpolitiker nun andere die Antwort formulieren lassen wollen.

Die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle will den Gewerbeverein des Gerberviertels anschreiben, um dessen Meinung zu erfragen. Damit nicht allein die Geschäftsleute über Lücke oder nicht Lücke entscheiden dürfen, soll das Thema erneut beraten werden. Zu diesem Termin will Kienzle eigens die Bewohner der umliegenden Straßen einladen, um deren Meinung zu hören. So wurde es einstimmig beschlossen, womit der Lückenschluss mindestens für mindestens weitere sechs Monate vertagt ist. Als Beratungstermin ist eine Sitzung zum Beginn des nächsten Jahres angepeilt.