Der Reutlinger Landrat Thomas Reumann vermittelt zwischen den gegnerischen Lagern in der Genkinger Sporthalle. Foto: factum/Granville

Fünf Windräder könnten die Panoramaoptik vor dem Schloss Lichtenstein verstellen. In einem Erörterungstermin des Landratsamtes in Genkingen finden die Projektgegner Gehör.

Genkingen - Die meisten Stühle sind leer in der Sporthalle von Genkingen, als Thomas Reumann zum Mikrofon greift. „Sie sollen sich ein besseres rechtliches Gehör verschaffen können“, verspricht der Reutlinger Landrat den gut 100 Zuhörern in den ersten Reihen. Bestuhlt worden ist vorsorglicherweise für 1300 Menschen, schließlich geht es an diesem Dienstagvormittag um den möglichen „Verlust der Identität des Schlosses Lichtenstein“, wie der Hausherr Wilhelm Herzog von Urach seit Monaten anmahnt.

Fünf Windräder sollen nur knapp drei Kilometer von dem Märchenschloss entfernt gebaut werden, das majestätisch auf einer Albkante thront. Der Aufruhr ist groß, die Sorge, dass Rotorenblätter das Postkartenidyll stören könnten, durchaus berechtigt. Deshalb hat das Reutlinger Landratsamt, das über den Bauantrag der Firma Sowitec entscheidet, zu einem Erörterungstermin eingeladen und dafür gleich drei Tage angesetzt. Ein Showdown mit Brezeln und Kaffee in Pappbechern, eine Aussprachemöglichkeit für die besorgten Bürger und Nachbarn, die stattliche 18 500 Einwendungen gegen das Windkraftprojekt eingereicht haben.

Den Angriff auf das romantische Panorama will Sabine Wälder nicht hinnehmen. Die Leiterin der Engstinger Volkshochschule ist eine Mitbegründerin der Interessengemeinschaft „Rettet den Lichtenstein“ und tritt beherzt ans Mikrofon: „Wir haben nur das eine Schlössle auf der Alb, das lassen wir uns nicht verschandeln.“ An den vergangenen Wochenenden hat die 57-Jährige an einem Infostand beim Schloss Formulare an Touristen verteilt, um möglichst viele Einwendungen zu sammeln. „Fast alle waren entsetzt über die Pläne“, sagt Wälder, die einen Besucherrückgang befürchtet. Im vergangenen Jahr seien es 110 000 gewesen, die sich die Burganlage über dem Echaztal bei Honau ansehen wollten.

Fast so hoch wie der Stuttgarter Fernsehturm

Mit Aufklebern und extra gedruckten Briefmarken kämpfen Wälder und ihre Mitstreiter für die „Rettung des Lichtensteins“. Sie wollen vor allem über die Ausmaße der 200 Meter hohen Windräder aufklären. „Die werden fast so groß wie der Stuttgarter Fernsehturm mit seinen 216 Metern“, sagt die Engstingerin verärgert, „hinter Neuschwanstein würde man doch auch keine solchen Riesendinger stellen.“ Ganz ähnlich argumentiert Karl Philipp Fürst von Urach, der seine Familie bei der Erörterung vertritt: „Die Windräder sind ein Fremdkörper in der Landschaft, sie gehören da nicht hin“, urteilt der 24-jährige Geschichtsstudent. Er ist empört über die „kriminelle Dreistigkeit“, mit der die Bedeutung der Sichtachsen zum Schloss heruntergespielt würden.

Beeinträchtigen die Rotoren die Sicht auf das Schloss oder nicht? Genau damit hat sich der Wissenschaftler Sören Schöbel in einem Gutachten befasst, das er für die Firma Sowitec erstellt hat. „Die prominenten Ansichten werden von den Windrädern nicht tangiert“, beschwichtigt der Landschaftsarchitekt, der sich ausführlich mit „dem richtigen Blick auf den Lichtenstein“ befasst hat. Die ersten und vorerst einzigen Lacher aus dem Publikum sind ihm für diese Formulierung sicher.

Komplett anderer Auffassung ist dagegen Martin Hahn vom Landesamt für Denkmalpflege. „Das Bauwerk ist das Highlight des Albtraufs“, gibt er zu bedenken und warnt davor, dass das Schloss in seinem Denkmalwert marginalisiert würde. Seine Schlussfolgerung ist eindeutig: „Die Windkraftanlagen sind unzulässig, weil sie das geschützte Erscheinungsbild erheblich beeinträchtigen würden.“

Wie bedroht das schmucke Wahrzeichen ist, wird das Landratsamt in einigen Monaten entscheiden. Roland Heinrich von der Firma Sowitec, die von Sonnenbühl aus weltweit Windräder plant und errichtet, wünscht sich mehr Rückendeckung. „Es ist ein hartes Brot“, sagt der Umwelttechniker, „wir hatten gehofft, dass mit dem grünen Regierungswechsel im Südwesten der Durchbruch für die Windenergie kommt, aber wir warten bis heute.“ Keine einzige Anlage habe er in den vergangenen Jahren in Baden-Württemberg errichtet, umso wichtiger sei es endlich, ein positives Signal zu bekommen.