Das Land will durch die Reform wieder mehr Polizisten auf Streife schicken. Foto: dpa

Unions-Polizeiexperte Binninger zerlegt die Umstrukturierung bei der Polizei in ihre Einzelteile.

Stuttgart – In der Debatte um die Polizeireform von Innenminister Gall sind die Fronten verhärtet. Der Polizeiexperte der Unionsfraktion im Bundestag, Clemens Binninger, warnt vor Mammutbehörden und legt Kompromissideen vor.

Herr Binninger, Sie sind seit Jahren ein Experte in Sachen Polizeifragen. Wie schätzen Sie die Reform ein, die Innenminister Gall vorhat?
Die Reform bleibt in jeder Hinsicht den Nachweis ihrer Berechtigung schuldig. Meine große Sorge ist es, dass die Polizei dadurch zu einer Dauerbaustelle wird und nicht mehr, sondern weniger Präsenz und Bürgernähe in der Fläche entstehen.

Woher nehmen Sie die Sorge?
Weil die geplanten Strukturveränderungen unsinnig sind. Wenn man aus den jetzt bestehenden 37 Polizeidirektionen und Präsidien im ganzen Land künftig nur noch zwölf Präsidien machen will, dann sind das sehr große Behörden mit bis zu 2500 Beschäftigten. Die Kriminalpolizei, die Verkehrspolizei und die Führungs- und Lagezentren werden damit viel weiter von den Bürgern weg sein, als dies bisher der Fall ist. Ein Beispiel: Der Notruf eines Bürgers aus Herrenberg geht dann nicht mehr wohnortnah bei der Polizei ein, sondern landet im Führungs- und Lagezentrum in Pforzheim oder Ludwigsburg, je nach Standort des Präsidiums. Bürgernah ist das sicher nicht.

Aber eine Reduzierung des Behördenapparats muss nicht automatisch schlecht sein.
Der Behördenapparat wird aber nicht reduziert, sondern nur kompliziert. Wenn der Innenminister behauptet, man habe künftig nur noch die Präsidien, und dann kämen gleich die Reviere, dann stimmt das eben nicht. Sein eigenes Eckpunktepapier sieht vor, dass es in jedem Präsidium jeweils eine Direktion für die Polizeireviere, eine für die Kriminalpolizei und eine für die Verkehrspolizei gibt. Also landesweit 36 neue Direktionen. Da in diesen Direktionen natürlich auch wieder Führungsstäbe gebildet werden müssen, sorgt das nicht nur für zusätzlichen Abstimmungsbedarf, sondern zehrt auch das Personal komplett auf, das der Innenminister eigentlich auf Streife schicken will.

Der Ansatz in der Reform macht durchaus Sinn, damit sich künftig nicht mehr jede Polizeidirektion um Wirtschaftskriminalität oder Kinderpornografie kümmern muss, sondern diese Themen gebündelt werden.
Die Begründung ist nur in Teilen richtig. Es gibt im Land sehr kleine Polizeidirektionen wie Sigmaringen, Mosbach, Künzelsau oder Emmendingen, bei denen man sich schon die Frage stellen kann, ob sie mit rund 200 Mitarbeitern für alle Aufgaben personell ausreichend ausgestattet sind. Aber eine Direktion mit 500 Mitarbeitern ist leistungsfähig. Da gibt es keinen Grund für eine Zusammenlegung zu Mammutbehörden über Kreisgrenzen hinweg. Die Arbeit der Polizei wird dadurch nicht besser.

Was vermuten Sie als Motiv für die Reform?
Sie ist parteipolitisch motiviert, man will eine grundsätzlich andere Polizei und weg von den Landkreisstrukturen, koste es, was es wolle. Da hilft auch das unzutreffende Argument nicht, es sei eine Reform aus der Polizei für die Polizei. Ich habe mit Führungskräften gesprochen, und die beklagen, dass sie nie gefragt wurden, sondern nur mit dem Ergebnis konfrontiert wurden.