Der Investigativjournalist Georg Mascolo kritisiert die Lügenpropaganda von Donald Trump. Foto: Malte Jaeger/laif

Verlässliche Informationen sind ein Grundrecht, sagt der frühere Spiegel-Chef Georg Mascolo bei der Mediendozentur an der Tübinger Universität. Journalismus sei durch das Internet nicht überflüssig geworden, sondern in Zeiten der Fake-News umso wichtiger.

Tübingen - Der frühere „Spiegel“-Chef Georg Mascolo hat auf der Bühne des Festsaals der Tübinger Universität einen Hitzschlag erlitten.

Glauben Sie das nicht, es ist gelogen. Eine Meldung aus der Kategorie Fake-News. Kein Schwindelanfall beim Gastredner der Tübinger Mediendozentur, sondern eine Schwindelei, selbst wenn es dem Redner sichtbar heiß war. Und zudem eine Meldung weit unter dem Kaliber, das Mascolo, der Leiter des Investigativressorts von WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“, im voll besetzten Saal der Neuen Aula den Zuhörern präsentierte. Die deutsche Kanzlerin wolle den Islamischen Staat nicht bekämpfen, sondern habe ihn mit gegründet, sagt Mascolo provokant. Das kursiere in den sozialen Medien und werde von verschiedenen Fernsehsendern verkündet.

Glauben Sie auch das nicht. Es ist wieder gelogen. Aber exakt diese Behauptung habe der jetzige US-Präsident Donald Trump einst im Wahlkampf über Barack Obama und Hillary Clinton in Interviews öffentlich verbreitet: Die beiden seien die Gründer des Islamischen Staates.

Wieder eine Falschmeldung, aber ein passender Einstieg für Georg Mascolos Vortrag „Krieg der Worte – Fakt, Fake und die neue Macht der Lüge“. Eine Welt, in der sich eine Lüge mit der gleichen Geschwindigkeit verbreite wie etwas sorgsam Recherchiertes, sei gefährlich, ein Stresstest für die Demokratie, folgert der Journalist und holt am Dienstagabend weit aus. Warum ist es so leicht, uns in die Irre zu führen? Was kann die Politik tun, um all die Unwahrheiten, die getwittert und gepostet werden, wieder zu korrigieren? Und wie steht es um den klassischen Journalismus in Zeiten, wo undurchdringbare Algorithmen den Nachrichtenkonsum von Milliarden von Menschen steuern?

Mancher Herrscher setzt auf Lügenpropaganda und Populismus

Altmodisch analog legt Georg Mascolo stapelweise gelbe Karteikarten am Rednerpult aus und baut erst mal das gedankliche Grundgerüst für seine Thesen auf. „Fakten sind der Fels, auf den unsere Entscheidungen gründen.“ Mehr noch: Verlässliche Informationen sind ein Grundrecht. Manch eine Falschmeldung der Geschichte hätte schon Kriege ausgelöst, erinnert Mascolo, mancher Herrscher habe erfolgreich auf Lügenpropaganda und Populismus gesetzt. Bestes Beispiel ist Ramses II. Der Pharao hat die Niederlage gegen die Hethiter bei Kadesch in Syrien im Jahr 1274 vor Christus in einen Sieg umgemünzt und sich zu Hause als Held feiern lassen. Auch in den USA hätten Lügen die entscheidende Rolle dafür gespielt, dass ein nur schwer berechenbarer Mensch wie Donald Trump im Oval Office sitze. „Das ist, als würden wir jemanden aus dem Dschungelcamp im Kanzleramt wiedersehen“, klagt Mascolo und fragt, ob die Demokratie derzeit nicht an zu vielen Orten unter die Räder kommt.

Im Tübinger Festsaal wird es indes immer heißer. Der Redner beklagt die fehlende Klimatisierung. Er legt sein schwarzes Jackett ab, krempelt gekonnt während des Vortrags die blütenweißen Ärmel hoch, wünscht sich den Fächer der Großmutter herbei. Das Thema befeuert ihn zudem. „Das Internet ist die größte Kloake der Weltgeschichte“, zitiert er den britischen Historiker Timothy Garton Ash. Da seien einerseits die Abgründe des Netzes und anderseits auch seine unendlichen Weiten und Möglichkeiten, die der freien Meinungsäußerung Raum geben.

Immer mehr Staatsanwaltschaften gehen gegen strafbare Inhalte im Netz vor

Jeder kann alles ins Netz stellen, es genügt ein Smartphone, ein Internetzugang. Umso mehr sei der Staat gefragt, die Politik müsse handeln. Eine schnelle Kommunikation sei das Wichtigste, der Staat habe gelernt sich zu wehren, behauptet Mascolo und will mehr Regeln für die Cyberwelt. Gut sei, dass immer mehr Staatsanwaltschaften gegen strafbare Inhalte im Netz vorgingen. Zu lange seien die Urheber sogenannter Hassbotschaften ohne Strafverfolgung davongekommen. Gut gemeint, aber schlecht gemacht sei das Gesetz zur Bestrafung von Internetkonzernen, die illegale Inhalte nicht schnell genug löschten.

Ein Teil der Verantwortung liege bei jedem Einzelnen, mahnt Mascolo. Wer Bilder von einem Unfall oder Anschlag hochlade, solle sich überlegen, was er zeige. In diesen hypernervösen Zeiten, in denen viele vieles zuspitzten, seien die seriösen Medien in der Pflicht und keinesfalls überflüssig. „Journalismus muss ein Ort der Mäßigung sein“, er müsse Fehlentwicklungen spüren, sich der Beschleunigung entziehen. Nicht-Wissen könne auch eine Tugend sein. Ebenso wichtig sei es, Fehler zuzugeben und Falschmeldungen zu korrigieren. „Ich habe mich dieser Verpflichtung der längsten Zeit meines Berufslebens entzogen“, so wie die meisten anderen Journalisten auch, gab Mascolo zu. Denn wer Fehler zugebe, gewinne an Glaubwürdigkeit. Für Mascolo ist klar: „Wir haben die Bedrohung unserer Glaubwürdigkeit zu lange ignoriert.“