OB Fritz Kuhn (am Rednerpult) lobt die Wirtschafts- und Innovationsqualität in der Stadt. Doch die Fraktionen sorgen sich, etwa um die Entwicklung des Handels. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Gut drei Stunden lang ging es im Gemeinderat bei der Generaldebatte um den Wirtschaftsstandort Stuttgart. Wie steht die Landeshauptstadt da? Wie innovativ ist Stuttgart? Und wie sieht gute Wirtschaftsförderung aus? Die Fraktionen haben unterschiedliche Vorstellungen.

Stuttgart - Der Gemeinderat hat am Donnerstag gut drei Stunden lang kontrovers über das Thema Wirtschafts- und Innovationsstandort Stuttgart diskutiert. Es war die letzte von vier Generaldebatten über Themen, die für die Landeshauptstadt von übergeordneter Bedeutung sind. Ein Überblick über die Standpunkte.

Der Oberbürgermeister

Für Fritz Kuhn ist die Landeshauptstadt ein „sensationeller Wirtschaftsstandort“ mit exzellenten Forschungseinrichtungen, Bildungs- und Dienstleistungsangeboten. Die mehr als 30 000 Unternehmen hätten allein 2017 knapp 720 Millionen Gewerbesteuereinnahmen in die Stadtkasse gespült: „Ohne diese Stärke der Wirtschaft wären viele Dinge, die wir in dieser Stadt machen können, gar nicht möglich“, so der grüne Rathauschef, „was für die Wirtschaft gut ist, ist auch gut für die Stadt.“ Defizite gestand Kuhn in den Bereichen Wohnungsbau, Mobilität und Digitalisierung ein. Vor allem bei der Autoproduktion müsse der Transformationsprozess hin zu emissionsarmen Antrieben und die Vernetzung verschiedener Mobilitätsträger gelingen, um Arbeitsplätze zu sichern.

Die CDU

Für die Union lobte Nicole Porsch zwar ebenfalls die starke Wirtschaftsstruktur der Stadt: „Andere Städte hätten gern unsere Probleme“, sagte die Stadträtin mit Blick auf den schuldenfreien Haushalt und Investitionen wie etwa in die Tarifreform im öffentlichen Nahverkehr oder in das Bahnprojekt Stuttgart 21. Zugleich bescheinigte sie dem OB eine gewisse Wirtschaftsferne. Kuhn habe keinen Masterplan für die Stadt, entwickle keine Visionen. Er suche monatelang nach Standorten für eine Interimsoper, aber nicht nach neuen Gewerbegebieten für Zukunftstechnologien. Auch der Handel in der City habe unter der Politik der Grünen, wie dem Rückbau von Parkplätzen, zu leiden. Für die CDU forderte sie in der Wirtschaftspolitik eine „Kultur der Chancen“ statt des Bedenkens und der Probleme.

Die Grünen

Die Grünen sehen Stuttgart in Forschung, Bildung und Technologie „exzellent aufgestellt“, wie Fraktionssprecherin Anna Deparnay-Grunenberg formulierte. Im Bereich der Digitalisierung seien Fortschritte erkennbar, beim Wohnungsbau zeige etwa das Beispiel des mit Wohnungen gespickten Lärmschutzriegels auf dem Eiermann-Campus in Vaihingen die Innovationskraft der Stadt. Auch im Verkehrsbereich gehe Stuttgart mit Seilbahntrassen oder dem City-Logistik-Konzept neue Wege. Deparnay forderte zugleich einen grundlegenden Wandel des Wirtschaftens – weg von der Nutzung fossiler Energien zum Schaden des Klimas, weg von der Produktion von Schadstoffen und ohne Ausbeutung billiger Arbeitskräfte in unterentwickelten Ländern. Mit diesem auf dem Gemeinwohl basierenden Wirtschaftskonzept habe die Stadt eine gute Zukunft.

Die SPD

Die SPD beklagte in Kuhns Erfolgsbilanz zu wenig Perspektiven. Stadtrat Hans H. Pfeifer mahnte zugleich, angesichts der jüngsten düsteren Konjunkturprognosen gebe es für die Landeshauptstadt „keinen Anlass zur Panik“. Stuttgart stehe im nationalen und internationalen Vergleich gut da, es gebe eine ausgezeichnete Mischung aus produzierendem Gewerbe und Zuliefererbetrieben, denen freilich ein dramatischer Strukturwandel bevorstehe. Namens der SPD forderte Pfeifer mehr Investitionen in Kitaplätze, mehr Anstrengungen im Wohnungsbau und eine attraktive Gestaltung des öffentlichen Raums. Auch der Wissenschaftsstandort müsse stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden, so Pfeifer.

SÖS/Linke-plus

Für die Fraktionsgemeinschaft ist Wirtschaftspolitik vor allem Sozialpolitik. Es gebe zunehmend prekäre Arbeitsverhältnisse, Minijobs und befristete Arbeitsverträge. Jede Menge Pfandflaschensammler auf den Straßen und mehr als 70 000 Bonuscard-Besitzer sowie die Tatsache, dass jedes siebte Kind in der Landeshauptstadt Stuttgart als arm gelte, das spreche eine deutliche Sprache. Stadtrat Luigi Pantisano sprach außerdem seinen Ratskollegen unter Bezug auf Stuttgart 21 schlicht den Wirtschaftssachverstand ab: „Wer tatenlos zusieht, wie 10 Milliarden Euro für eine wirtschaftlich sinnloses Projekt verpulvert werden, dem mangelt es an Kompetenz“, kritisierte er. Pantisano forderte in seiner Rede mehr Geld für Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge.

Die Freien Wähler

Stuttgart sei „schön, reich und schlau“ und dürfe seine Autoindustrie, an der jeder vierte Arbeitsplatz hänge, nicht verteufeln, warnte Konrad Zaiß für die Freien Wähler. Dem Ausbau des Straßennetzes komme besondere Bedeutung zu, auch neue Gewerbeflächen, gestaltet vielleicht gemeinsam mit Nachbarkommunen wie Leinfelden-Echterdingen, seien Voraussetzung für eine weiter gute Entwicklung. Die Stadt müsse sich mehr um das Handwerk kümmern – und trotz mehr Wohnungsbaus dafür sorgen, dass das Landschaftsbild erhalten bleibe.

Gruppen und Einzelstadträte

Mängel in der Nahversorgung und das Verschwinden kleiner Unternehmen aus den Stadtteilen bewegten Matthias Oechsner von der FDP. Stadtteilmanager könnten dem entgegensteuern, eine gesplittete, für Kleinbetreibe abgesenkte Gewerbesteuer auch. Die Fahrverbote nannte er unverhältnismäßig und einen „Schaden für den Wirtschaftsstandort“. Die Zukunft gehöre dem Diesel, sagte Bernd Klingler von BZS 23. Auch er forderte mehr Augenmerk auf die Stadtteile. In den Zentren dürften keine Parkplätze abgebaut werden. Ralph Schertlen (Stadtisten) forderte eine „nachhaltige Wirtschaftspolitik“ zur Schonung von Ressourcen und konsequente Kreislaufwirtschaft. Eberhard Brett (AfD) will bessere Verkehrswege und die Senkung von Gewerbe- und Grundsteuer, Walter Schupeck (LKR) mahnte die Förderung der Autoindustrie an, die eine „unglaubliche Erfolgsstory“ schreibe.