So dynamisch wie dieser Leopard-Kampfpanzer kommt das Beschaffungswesen der Bundeswehr nicht daher. Foto: dpa

Die Generalabrechnung eines Generals an Planung und Rüstung der Bundeswehr stößt auf ein gemischtes Echo unter Soldaten und zivilen Mitarbeitern. Hat er ein zu negatives Bild gezeichnet?

Berlin - Selbst im Verteidigungsministerium, das eine offizielle Stellungnahme verweigert hat, wird eingeräumt: Der negativen Bestandsaufnahme Frank Leidenbergers von Planung und Rüstung in der Bundeswehr ist an vielen Punkten nicht zu widersprechen. Was der Drei-Sterne-General aus dem Heereskommando in seinem Thesenpapier „Rüstung digitalisierter Landstreitkräfte“ formuliert hat, lässt sich so zusammenfassen: Planung und Rüstung sind zu kompliziert, zu langsam und zu wenig an den Bedürfnissen der Truppe orientiert.

Erheblicher Widerspruch

Auf erheblichen Widerspruch unter zivilen und militärischen Kollegen stößt Leidenberger allerdings mit seiner Behauptung, die Prozesse für Planung und Beschaffung seien so unzulänglich, dass sie die Sicherheit Deutschlands gefährdeten. Top-Mitarbeiter von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die namentlich nicht genannt werden wollen, sagten unserer Zeitung, besonders unverständlich sei, dass Leidenberger unerwähnt lasse, wie stark viele Verfahren zuletzt verändert worden seien, um die Missstände zu beseitigen.

Namentlich die Konzentration von Entscheidungsbefugnissen über Planung und Beschaffung an der Spitze des Ministeriums hat dazu geführt, dass die früher üblichen Streitigkeiten zwischen Heer, Luftwaffe und Marine um knappe Rüstungsmittel weitgehend aufgehört haben. Ein Faktor, der viele Entscheidungen verzögert hatte.

Ein Paradebeispiel dafür, was schief läuft

Leidenbergers Kritik, dass das Ministerium sozusagen am Bedarf der Soldaten vorbei plane und einkaufe, steht in Widerspruch zu der Praxis, dass Heer, Luftwaffe und Marine auch heute ständig in die Planungs- und Beschaffungsprozesse eingebunden sind. Auf Widerspruch stößt Leidenberger damit, dass er die geplante Beschaffung von digitalen Funkgeräten für etwa 50000 Heeressoldaten als Paradebeispiel dafür nennt, was schief läuft in der Bundeswehr. Diese sei doch genau so angelegt, wie der General es in seinem Thesenpapier fordert, kritisieren Kollegen den Kritiker. Im Klartext: Die „Mobile taktische Kommunikation“ genannte Digitalfunk-Ausstattung soll erst für einen Einsatzverband, dann für den nächsten beschafft, die Technologie fortlaufend weiterentwickelt und immer die modernste Version geliefert werden. Und zwar so, dass die neuesten Geräte stets gemeinsam mit den älteren eingesetzt werden können.

Die Ungeduld wächst

Leidenbergers Forderung nach einer digitalen Begleitung von Rüstungsprojekten findet ihre Entsprechung in Beschlüssen aus jüngster Zeit. Etwa dem, dass für große Waffensysteme wie Kriegsschiffe, Flugzeuge oder Panzer eine digitale Datenbasis erstellt wird, auf die Hersteller und Nutzer von der Planung bis zum Nutzungsende gemeinsam zugreifen können.

Das alles ändert aber wenig daran, dass die Truppe mit wachsender Ungeduld darauf wartet, dass von der Leyens so genannte „Trendwende Material“ spürbar bei denen ankommt, die im Einsatz Deutschland schützen sollen. Anders ist der große Beifall aktiver und ehemaliger Bundeswehr-Angehöriger für die Streitschrift des Generals nicht erklärbar.

Ruf nach schnelleren Verfahren

Diese Ungeduld kommt nicht von ungefähr. „Es fällt uns wahnsinnig schwer, den Rüstungsbedarf der Truppe mit den Regeln in Einklang zu bringen, die das Haushaltsrecht, die Auflagen für die Ausschreibung und der Trend zu multinationalen Rüstungskooperationen mit sich bringen.“ Das sagte ein früherer Admiral unserer Zeitung, der viele Jahre mit diesen Themen befasst war. Anders gesagt: Die Struktur des Beschaffungswesens und vor allem seine rechtlichen Grundlagen sind extrem kompliziert, die Zuständigkeiten häufig aufgesplittert.

Auch garantiert allein das zuletzt verfügbare leichte Plus an Steuergeld noch nicht die von Leidenberger wie von den meisten seiner Kollegen geforderte Beschleunigung der Verfahren für das, was Leidenberger die „konsequente Erneuerung der Landstreitkräfte“ nennt. Die ist unter den Vorzeichen einer rasant fortschreitenden Digitalisierung fällig wegen der Wiederausrichtung der Bundeswehr auf Landes- und Bündnisverteidigung.

Großgerät steht nicht zur Verfügung

Als Engpässe erweisen sich Ingenieurs-Expertise und Mitarbeiterkapazitäten in dem für die Umsetzung von Rüstungsvorhaben zuständigen Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr. Auch in Heer, Luftwaffe und Marine sind solche Kapazitäten knapp.

Hinzu kommt: Die meisten großen Waffensysteme wurden in den vergangenen 20 Jahren wegen Geldmangels unvollständig beschafft. Mit der Folge, dass heute prinzipiell vorhandenes Großgerät der Truppe über lange Zeiträume nicht zur Verfügung steht, weil es immer wieder für Nachrüstungen oder Software-Updates an die Hersteller zurückgegeben muss. Die wiederum haben ihre Kapazitäten wegen der seit 1994 deutlich reduzierten Bundeswehr-Aufträge massiv zurückgefahren. So entsteht das Problem: Selbst wenn Geld für Rüstung da ist, mangelt es immer wieder an Kapazitäten, es sinnvoll, zügig und im Einklang mit dem Haushaltsrecht auszugeben.

Extra-Hürde für die Verteidigungsministerin

Erschwerend kommt hinzu: Seit 1982 gibt es den – ausschließlich für das Verteidigungsministerium geltenden – Grundsatz, dass Beschaffungen im Volumen von mehr als 25 Millionen Euro nach der grundsätzlichen Bewilligung durch den Bundestag unmittelbar vor Vertragsunterzeichnung nochmals durch den Haushaltsausschuss müssen. Das schafft einen enormen zusätzlichen Dokumentations-, Entscheidungs- und damit auch Zeitbedarf. Anläufe aus der Bundeswehr, diesen Vorbehalt loszuwerden, sind zuletzt in den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen gescheitert.