Manchmal lernen alle zusammen, manchmal jeder für sich. Foto: dpa

Die Gemeinschaftsschule ist nicht besser und nicht schlechter als die anderen Schularten. Zu diesem Ergebnis kommen 31 Wissenschaftler, die die neue Schulart untersucht haben.

Stuttgart - Zwei Jahre lang haben die Wissenschaftler von acht Hochschulen das Lehrer- und Schülerverhalten in 20 Lerngruppen an zehn Gemeinschaftsschulen untersucht. Sie beobachteten immer wieder den Unterricht, befragten Lehrer, Schüler und Eltern und analysierten Schülertexte und Aufgaben. Die Unterrichtsqualität entspreche der an anderen weiterführenden Schulen, obwohl es sich um eine neu eingeführte Schulart handle, sagte der Tübinger Erziehungswissenschaftler und Leiter der Studie, Thorsten Bohl, am Mittwoch in Stuttgart. Allerdings sei Hilfe nötig, um Leistungsunterschiede abzubauen und um die große Belastung der Lehrer zu senken.

„Die Gemeinschaftsschulen müssen den Vergleich mit anderen Schularten nicht scheuen. Sie befinden sich auf einem guten Weg“, erklärte Kultusminister Andreas Stoch (SPD). Er kündigte an, weitere Fortbildungsangebote und mehr Beratung für die Schulen zu bieten und digitale Bildungsplattformen auszubauen, um die Unterrichtsplanung zu erleichtern.

Unterrichtsqualität

Wie gut die Schüler motiviert sind, hängt nicht von der Schulart, sondern von den Lehrern ab. Von den 350 Unterrichtseinheiten, die die Forscher beobachteten, erreichten 64 Prozent die beiden oberen Niveaustufen. Bei Vergleichsstudien an anderen Schulen bundesweit waren es 61 Prozent.

Die Leistungsunterschiede zwischen den einzelnen Schulen, aber auch innerhalb von Schulen sind sehr groß. Die Zusammenarbeit der Kollegien lässt mancherorts zu wünschen übrig. Aus Sicht der Wissenschaftler wirkt es sich nachteilig auf den Lernerfolg aus, wenn Lehrer nicht gemeinsam planen und an einem Strang ziehen.

Individuelles Lernen

Individuelles Lernen spielt eine große Rolle. Ein Teil des Unterrichts findet gemeinsam statt, in dieser Zeit vermitteln die Lehrer den Schülern neuen Stoff. Andere Stunden sind für Freiarbeit reserviert. Dann beschäftigen sich die Schüler beispielsweise selbstständig mit Aufgaben, die sie wählen können. Von dieser Form des Lernens profitieren am meisten leistungsstarke Schüler.

Schwächeren Schülern fällt es oft schwer, während der Freiarbeit effektiv zu lernen. Manche wissen nicht so recht, was sie eigentlich tun sollen, etwa, weil sie Aufgaben nicht richtig verstehen. Die Lehrer müssten diese Schüler stärker an die Hand nehmen, ihnen klare Aufträge geben und überprüfen, ob sie diese schaffen, so die Wissenschaftler.

Lehrer

Im Vergleich zu den Kollegen an anderen Schulen stehen Lehrer an Gemeinschaftsschulen Neuerungen offener gegenüber. Sie arbeiten mehr mit Kollegen zusammen und sind gegenüber Lerngruppen mit großen Leistungsunterscheiden insgesamt positiver eingestellt. Von ihrem Engagement hängt ab, ob Schüler motiviert arbeiten oder nicht.

Nicht alle Lehrer sind gut vertraut damit, auf unterschiedlichen Leistungsniveaus zu unterrichten und Aufgaben so zu stellen, dass sich schwache und starke Schüler gut weiterentwickeln. Vor allem in der Anfangsphase mussten sie Unterrichtsmaterialien größtenteils selbst erstellen. Auch für die Planung mit ihren Kollegen benötigen sie viel Extrazeit. Die Wissenschaftler raten deshalb, über eine veränderte Unterrichtsbemessung nachzudenken, um zu verhindern, dass Lehrer ständig überlastet sind.

Inklusion

Gemeinschaftsschulen verstehen sich als inklusive Schulen, an denen Schüler mit und ohne Behinderungen gemeinsam lernen.

In der Praxis tun sich viele Gemeinschaftsschulen noch schwer mit gemeinsamen Unterricht, der Entwicklungsstand ist sehr unterschiedlich.

Reaktionen auf die Studie:

„Schon nach kurzer Zeit hat sich die neue Schulart im baden-württembergischen Bildungssystem etabliert“, sagt Thekla Walker, Landesvorsitzende der Grünen. Die anspruchsvolle Arbeit der Lehrkräfte dürfe „auf keinen Fall finanziell beschnitten werden, wie von Guido Wolf angekündigt“.

Es sei normal, dass nach dem Start einer innovativen neuen Schulart mit hohen pädagogischen Herausforderungen „an der einen oder anderen Stelle noch etwas Sand im Getriebe“ stecke, sagte der SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei. „Die Systemfrage stellt sich aber nicht.“

Doro Moritz, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, warnte davor, im Landtagswahlkampf die 271 Gemeinschaftsschulen „schlecht zu reden und mit Stammtischparolen Bildungspolitik zu machen“. Der Bildungsbericht für Baden-Württemberg zeige, dass alle Schularten bei der Unterrichtsentwicklung Unterstützungsbedarf haben.

„Es zeichnet sich ab, dass das Ziel mit der Gemeinschaftsschule eine leistungsstarke und zugleich sozial gerechtere Schule einzuführen, erreichbar ist“, sagte Matthias Wagner-Uhl, Vorsitzender des Vereins für Gemeinschaftsschulen.

Ob die Gemeinschaftsschule eine bessere Ausbildungsreife, mehr mittlere Abschlüsse, mehr direkte Übergänge in Ausbildung und Beschäftigung erreiche, könne erst beurteilt werden, wenn die ersten Schüler den Abschluss machen, meinen die Arbeitgeber. Positiv bewerten sie die Einschätzung des Kultusministeriums, dass letztlich alleine die Qualität über den Erfolg der Gemeinschaftsschulen entscheidet und dass die vorliegende Evaluation dazu genutzt werden soll, diese Qualität zu verbessern.

Die Studie zeige, dass die Gemeinschaftsschule schwache Schüler überfordere. Die zu hohe Arbeitsbelastung der Lehrer sei besorgniserregend, sagt CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf. „Und das, obwohl die Gemeinschaftsschule schon heute bei der Verteilung von Lehrerstellen klar bevorzugt wird.“

„Wohl mit Blick auf die bevorstehende Landtagswahl blieben der Kultusminister und der Gemeinschaftsschul-Chefevaluator Thorsten Bohl bei der Bewertung des grün-roten Prestigeprojekts im Ungefähren“, erklärt FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Mit der Gemeinschaftsschule laufe es „alles andere als rund“. Die FDP wolle die Privilegien der Gemeinschaftsschule abschaffen „und für eine faire Ausstattung aller Schularten im Sinne eines Wettbewerb um das jeweils beste Konzept sorgen“.

„Enttäuschend ist insbesondere, dass dieser Zwischenbericht keinerlei Antwort auf die eigentlich entscheidende Frage gibt, nämlich welche Auswirkungen die neu eingeführte Gemeinschaftsschule auf die Lernergebnisse und Schülerleistungen hat und ob diese Gemeinschaftsschulen vom Leistungsstand her mit den Schulen des gegliederten Schulwesens mithalten können“, sagte der Bundesvorsitzende des Philologenverbands baden-Württemberg, Heinz-Peter Meidinger.