Wo früher Güterwaggons und Lokomotiven abgestellt wurden, befindet sich nun der Gemeinschaftsgarten. Foto: Michael Steinert

Im Gemeinschaftsgarten am ehemaligen Geislinger Tälesbahnhof gedeihen nicht nur Gemüse und Blumen, es wächst auch das Zusammengehörigkeitsgefühl all derer, die sich für das Gärtnern begeistern. Sogar ein Soja-Versuchsfeld gibt es.

Geislingen - Gifte sind auf diesem Fleckchen Erde unweit der viel befahrenen Stuttgarter Straße absolut tabu. Der Gemeinschaftsgarten am ehemaligen Geislinger Tälesbahnhof wird streng ökologisch bewirtschaftet. Darauf legen die Gärtner – im Moment sind es elf – großen Wert. Außerdem verwenden sie nur alte Sorten, weil diese besser schmecken, wie sie sagen. „Eine selbst gezogene Gurke hat ein ganz anderes Aroma als eine aus dem Supermarkt“, sagt Annette Klaus. Die technische Angestellte beim Regierungspräsidium Stuttgart ist beruflich im Straßenbau tätig. In ihrer Freizeit werkelt sie am liebsten im Garten – zu Hause und nun auch im Gemeinschaftsgarten, wo vor allem auch ihr Rat und ihre Erfahrung im ökologischen Gartenbau gefragt sind.

Wassercontainer auf verwitterten Paletten bestimmen das Bild. Auch die Umzäunung besteht aus Paletten – richtig schön ist das nicht. Doch wenn man die Augen schließt und die Nase in den Wind hält, dann riecht es nach Lavendel und Minze, und ab und zu weht ein Hauch Kamille über das Gelände, auf dem einst Güterwaggons und Loks rangierten. In den zu Hochbeeten umfunktionierten Wassercontainern grünt und blüht es. Bohnen, Rettiche, Gurken, Zucchini und die verschiedensten Kräuter gedeihen hier. Dazwischen recken Blumen, wie sie früher in Bauerngärten zu finden waren, ihre Blüten der Sonne entgegen.

Der mobile Garten könnte notfalls umziehen

Dass in Wassercontainern auf Paletten gegärtnert wird, hat einen einfachen Grund: Der Gemeinschaftsgarten bleibt auf diese Weise mobil. Denn die Stadt überlässt der Initiative die Fläche für jeweils nur ein Jahr. „Wenn es sein muss, können wir jederzeit umziehen“, erläutert Elke Bühler. Außerdem hielten sie und ihre Mitstreiter es nicht für ratsam, direkt auf dem Schotter aus Eisenbahntagen Erde aufzubringen und Gemüse zu pflanzen. „Wir wissen ja nicht, was in dem Boden drin ist“, sagt sie und zeigt auf eine kleine Fläche, aus der unter dem gehäckselten Holz ein Stück Schiene blitzt.

Seit April 2015 dient ein Teil der Fläche am Tälesbahnhof, der das Jugendhaus beherbergt, als Gemeinschaftsgarten. Jeden Samstagvormittag und Mittwochabend treffen sich die Freizeitgärtner. Jeder kann seine Hochbeete bepflanzen, wie er möchte. Herbert Behling liebt Rettiche, also zieht er in erster Linie diese Gewächse. Nicht nur für die Gärtner ist der Gemeinschaftsgarten ein Anziehungspunkt. Die ehemalige Bahntrasse nach Wiesensteig ist nun ein Rad- und Fußweg. Viele, die vorbeikommen, halten an für einen Plausch über das Gärtnern. Kinder und Senioren hätten besonders große Freude an dem Garten, erzählt Elke Bühler, die den Standort ideal findet. „Wir sind hier direkt auf der Grenzlinie zwischen Altenstadt und Geislingen, dahinten liegen Arbeitersiedlungen, hier läuft sehr viel zusammen.“

Teilnahme am Forschungsprojekt „1000 Gärten“

Obwohl Geislingen mitten in der Natur liegt, sieht sie einen großen Bedarf, den Menschen nahe zu bringen, wie Lebensmittel erzeugt werden. „Wir zeigen auf, dass es möglich ist, sich zu weiten Teilen mit Gemüse selbst zu versorgen.“ Nicht zuletzt wisse man dann auch, wo die Nahrungsmittel herkämen.

Besonders stolz sind die Gärtner darauf, dass sie an dem Forschungsprojekt „1000 Gärten“ der Life-Food-GmbH Taifun und der Uni Hohenheim mitmachen. In einigen Beeten haben sie zwölf verschiedene Sorten Soja angebaut. Minutiös dokumentieren sie nun, wie die Pflanzen gedeihen. Ziel ist es, für jede Region Deutschlands eine passende Sojasorte zur Herstellung von Tofu zu finden. Auf diese Weise werde man unabhängig von gentechnisch verändertem Soja aus Nord- und Südamerika und vermeide außerdem lange Transportwege.

Die Initiative ist für weitere Mitstreiter offen

Der Gemeinschaftsgarten auf dem Gelände des ehemaligen Tälesbahnhofs in Geislingen besteht sei dem April 2015. Die Stadt stellt der Initiative das Gelände jeweils für ein Jahr unentgeltlich zur Verfügung. Zurzeit sind elf Gärtner auf dem Areal am Werk. Sie treffen sich regelmäßig jeden Mittwochabend und jeden Samstagvormittag. Die Initiative ist offen für weitere Mitstreiter. Wer mitmacht, darf ein Beet oder mehrere nach eigenen Wünschen bepflanzen. Zum Lohn ihrer Arbeit dürfen die Gärtner das Gemüse und die Kräuter auch selbst ernten.

Die Hochbeete sind transportabel. Aus gutem Grund. Möglicherweise muss der Gemeinschaftsgarten umziehen. Die Stadt will ein Konzept für die Gestaltung der Freiflächen am Tälesbahn-Rad- und Fußweg in Auftrag geben. Nachgedacht wird unter anderem über einen Multi-Funktionssportfeld westlich des ehemaligen Bahnhofsgebäudes, in dem das Jugendhaus logiert. Ferner soll auf die Vergangenheit des Geländes an der stillgelegten Bahnstrecke nach Wiesensteig hingewiesen werden. Ob der Gemeinschaftsgarten dann noch an seinem angestammten Platz bleiben kann, ist fraglich. Sollte er aber umziehen müssen, will die Stadt der Initiative auf jeden Fall eine Alternative anbieten, wie der Oberbürgermeister Frank Dehmer versichert.