Aus Sorge um die Gesundheit der vom Lärm geplagten Bürgerinnen und Bürger fordern die Kommunen an der Autobahn im Kreis Esslingen die Begrenzung auf maximal 120 Stundenkilometer.
Die Autobahn A8 ist eine viel befahrene Ost-Westverbindung im Land. So werden auf dem Abschnitt zwischen Aichelberg (Kreis Göppingen) und dem Flughafen Stuttgart pro Tag bei Denkendorf rund 95 000 Fahrzeuge gezählt. Dieser Verkehr führt zu einem Lärmteppich, der 24 Stunden über den Anliegerkommunen liegt, wie es Kirchheims Erster Bürgermeister Günter Riemer formuliert. Auf der gut 25 Kilometer langen Strecke sind mehrere Zehntausend Menschen vom Autobahnlärm betroffen.
Gesundheit schützen, lautet das Ziel
Nach mehreren vergeblichen Versuchen wollen die Stadt Kirchheim und ihre Nachbarkommunen gemeinsam endlich ein Tempolimit von 120 Stundenkilometern auf diesem rund 25 Kilometer langen Abschnitt erreichen. „Abends und nachts, wenn es in der Stadt ruhig wird, hört man den Lärm ständig“, beschreibt Riemer das Dauerärgernis, das von der nahen Autobahn ausgeht. Da Lärm bekanntlich krank macht, sei es die Aufgabe der Kommune, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen.
Dabei sei es gar nicht so sehr der Motorenlärm der Fahrzeuge, der störe, sondern das Abrollgeräusch der Reifen verursache den meisten Lärm, erklärt Riemer. Und deshalb seien selbst Elektrofahrzeuge laut zu hören. Aber natürlich spiele auch Motorenlärm eine Rolle. Nach Worten von Köngens Bürgermeister Ronald Scholz ist das beispielsweise der Lärm von schnell und stark beschleunigenden Kraftfahrzeugen, die Lärmspitzenwerte verursachten und „insbesondere in den Nachstunden die Menschen immer wieder auch aus ihrem Schlaf reißen“. Besonders belastet von den Lärmemissionen der A 8 seien Bürgerinnen und Bürger in Köngens südlichem Bereich.
Sieben Kommunen handeln gemeinsam
Über Jahre hinweg führe diese Belastung unter anderem zu Stress und Krankheit. Eine „dringend erforderliche Entlastung von Lärm für unsere Bürgerinnen und Bürger“ wünscht sich auch der Wendlinger Bürgermeister Steffen Weigel. Und sein Denkendorfer Amtskollege Ralf Barth ergänzt: „auch die Denkendorfer Bevölkerung ist aufgrund der örtlichen Nähe zur Autobahn maßgeblich beeinträchtigt durch die Lärmentwicklung der dort fahrenden Fahrzeuge“. Nun verfolgen die Anrainerkommunen an der A 8 mit der Reduktion des Lärmpegels durch ein Tempolimit das gleiche Ziel. Die Rede ist von den Kommunen Aichelberg (Kreis Göppingen) sowie Holzmaden, Kirchheim, Köngen, Wendlingen, Denkendorf und Neuhausen im Kreis Esslingen. Die Gemeinden Dettingen und Weilheim seien nicht mit im Boot, erklärte Kirchheims Erster Bürgermeister Riemer.
Ronald Scholz aus Köngen bedauert, dass der Gesetzgeber keinen einheitlichen Lärmaktionsplan vorsieht. Stattdessen müsse jede Kommune die Lärmaktionsplanung eigenständig vornehmen. „Daher befinden wir uns mit den Anrainerkommunen in einem intensiven Austausch, um formell und materiell korrekte Lärmaktionspläne zu erarbeiten.“ Die gesetzlich vorgeschriebene Lärmaktionsplanung ist ein komplexes Verfahren, bestätigt auch Günter Riemer aus Kirchheim.
Seine Kommune befinde sich mit dem Bürgerbeteiligungsverfahren in der vierten Runde der gesetzlich vorgeschriebenen Lärmaktionsplanung, die noch vom Gemeinderat abgesegnet werden müsse. Die Arbeit in den vorausgegangenen Runden habe in Kirchheim in vielen Durchgangsstraßen innerorts zur Beschränkung auf Tempo 30 geführt. Die Basis dafür habe das kommunale Stadtgeschwindigkeitskonzept geliefert. Außerdem habe Kirchheim gemeinsam mit Wernau, Notzingen und Hochdorf bereits vor zehn Jahren ein LKW-Lenkungskonzept durchgesetzt, das auf den jeweiligen Landesstraßen zu einem Durchfahrtverbot für Lastwagen mit mehr als 7,5 Tonnen geführt hat und ein gutes Beispiel für eine gelingende interkommunale Zusammenarbeit sei.
Adressat ist die Autobahn GmbH
Unter Kirchheimer Federführung soll nun endlich auch besagtes Tempolimit auf der A 8 durchgesetzt werden. Und dafür sei eine einheitliche Beschlusslage in den beteiligten Kommunen nötig. Erste Vorstöße zum Tempolimit habe es vor 20 Jahren beim Bundesverkehrsministerium gegeben, die aber jedes Mal scheiterten, wie Riemer erklärt. Adressat des gemeinsamen Vorstoßes soll diesmal die in Berlin ansässige Autobahn GmbH des Bundes sein, die seit ihrer Gründung 2018 für Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung und Finanzierung der Autobahnen zuständig ist.
Riemers Köngener Kollege Ronald Scholz bekräftigt, man schätze die Chancen der aktuellen abgestimmten Vorgehensweise als gut ein, „insbesondere seit der EU-weiten Vereinheitlichung der Berechnungsmethode, die zu deutlich höheren Belastungszahlen als bisher führt“. Gemeinsam kämpfe man „für die Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger in einem dicht besiedelten Ballungsraum“. Und auch Steffen Weigel aus Wendlingen gibt sich mit Verweis auf eine veränderte Rechtslage optimistisch.
Der Lärm wird über Berechnungsmodelle ermittelt
Planung
Laut dem Verkehrsministerium Baden-Württemberg sind Kommunale Lärmaktionspläne eine zentrale Säule im Kampf gegen den Straßenlärm. Demnach verpflichtet die EU-Umgebungslärmrichtlinie mehr als 700 Städte und Gemeinden im Land dazu, einen Lärmaktionsplan aufzustellen. In der Folge werden häufig Geschwindigkeitsreduzierungen im Ort auf Tempo 30 beschlossen oder ein lärmmindernder Straßenbelag eingebaut.
Berechnung
Die Datenbasis dafür liefern Berechnungsverfahren wie aktuell die RLS-19 (Richtlinie für den Lärmschutz an Straßen). Diese legt Grenzwerte fest, die sich abhängig von der Tageszeit unterscheiden. In Wohngebieten gelten Immissionsgrenzwerte von tagsüber 59 Dezibel und nachts 49 Dezibel. Das Verkehrsministerium bezeichnet nächtliche Lärmpegel über 55 als gesundheitskritisch. Abhilfe versprechen Lärmschutzwände und Temporeduzierungen.