Rollschulfahrer werden an vielen Schulen noch ausgebremst Foto: dpa

Vom Herbst an wird es für Kinder mit Behinderungen leichter, eine reguläre Schule zu besuchen. Das Kultusministerium rechnet bis 2023 mit zusätzlichen Kosten von über 100 Millionen Euro jährlich.

Stuttgart - Stuttgart - Demnächst wird es in Baden-Württemberg keine Sonderschulpflicht mehr geben. Eltern von Kindern mit Einschränkungen und sonderpädagogischem Förderbedarf können dann entscheiden, ob ihr Kind eine Sonderschule oder eine Regelschule besucht. Einen Anspruch auf eine bestimmte Schule haben sie allerdings nicht. Das sieht der Gesetzentwurf von Kultusminister Andreas Stoch (SPD) vor, der in zwei Wochen im Kabinett verabschiedet werden soll und dann in die öffentliche Anhörung geht. Im Juli wird das Gesetz verabschiedet, um das seit Jahren gerungen wird. Es tritt zum nächsten Schuljahr in Kraft.

Eltern, die ihr behindertes Kind im Herbst an eine Regelschule schicken möchten, sollten sich allerdings sputen. Im Schulamtsbezirk Stuttgart etwa müssen Sonderschüler, die nach den Sommerferien in eine Inklusionsklasse wechseln möchten, bis zum 13. Februar beim Staatlichen Schulamt angemeldet werden. Für Kinder, die dann neu eingeschult werden, ist Anmeldeschluss am 20. März. In anderen Schulamtsbezirken wurden teilweise andere Termine festgelegt. Denn die Eltern können sich die Schule nicht selbst aussuchen und ihr Kind einfach dort anmelden. Vielmehr macht ihnen das Schulamt nach Gesprächen mit Schulen, Schulträgern und gegebenenfalls Kostenträgern, etwa Sozialämtern, einen Vorschlag, welche Schulen in Frage kommen. Vorgesehen ist, dass möglichst mehrere Kinder mit Einschränkungen in einer Klasse unterrichtet werden. Die so genannte Gruppeninklusion hat sich bei den Modellversuchen besser bewährt als die Inklusion einzelner behinderter Schüler in eine Klasse.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass behinderte Schüler auch dann eine Regelschule besuchen können, wenn keine Chance besteht, dass sie den Abschluss dieser Schule erreichen. Kinder mit geistigen Behinderungen können dann nicht mehr mit der Begründung abgelehnt werden, dass sie den Hauptschulabschluss oder das Abitur nicht schaffen. Ausnahmen gelten für die gymnasiale Oberstufe und die beruflichen Schulen. Dort sind weiterhin nur Schüler zugelassen, die den jeweiligen Abschluss anstreben.

In Inklusionsklassen werden neben den Fachlehrern auch Sonderpädagogen eingesetzt – ob stundenweise oder die ganze Zeit über hängt unter anderem von der Zahl der behinderten Kinder und ihren Einschränkungen ab. Bis zum Endausbau 2022/23 will die Landesregierung jährlich 150 bis 200 Sonderpädagogen zusätzlich einstellen, insgesamt rund 1350 Lehrer. 50 von ihnen sollen an den Schulämtern und Regierungspräsidien die Inklusionsgespräche führen. Vor einem Jahr hatten das Kultusministerium noch mit einem Extrabedarf von 4000 Sonderschullehrern gerechnet (wir berichteten).

Das Kultusministerium rechnet für Inklusion mit Kosten in Höhe von 108 Millionen Euro. Bei seinen Berechnungen geht das Ministerium davon aus, dass 28 Prozent der behinderten Kinder an Regelschulen wechseln beziehungsweise dort eingeschult werden. Bei Modellversuchen in fünf Regionen besuchten in den vergangenen Jahren besuchten über ein Viertel der behinderten Kinder Inklusionsklassen.

Nicht einberechnet in die Inklusionskosten sind die Zuschüsse für die Kommunen, über die Land und Kommunen seit Monaten verhandeln. Inzwischen soll es eine Annäherung geben. Von den 39 Millionen Euro pro Jahr, die für Schulassistenten, behindertengerechte Schulen und Schülerbeförderung erwartet werden, will das Land im Endausbau 30 Millionen Euro tragen, hieß es. Eine Sprecherin des Kultusministeriums wollte die Zahl nicht bestätigen. Die Verhandlungen liefen noch, sagte sie. Die Finanzierung wird in einem zweiten Gesetz geregelt – das ist eher ungewöhnlich.

Die Kommunen sind mit der geplanten Regelung im Schulgesetz nicht zufrieden. Sie hätten sich – zumindest für die ersten Jahre – Schwerpunktschulen gewünscht, sagte Städtetagsdezernent Norbert Brugger am Montag. „Wer will, dass die Großaufgabe Inklusion gut gelingt, kann nicht überall gleichzeitig damit anfangen.“ Der Gesetzentwurf verspreche den Eltern mehr, als das Land halten könne.

Die inklusionspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Landtag, Monika Stolz, erklärte, wichtige Fragen wie Finanzierung, Umsetzung und die Vorbereitung der Lehrer auf diese Aufgabe seien weiter ungeklärt. Grün-Rot müsse die „Verunsicherung bei Schülern, Eltern, Lehrern und Kommunen endlich beenden“.