Viehweg in Neckargröningen Foto: Stadtarchiv Remseck am Neckar

Mit der Neuen Mitte bekommen die Teilorte Remsecks nun ein gemeinsames Stadtzentrum. Dabei wollten die fünf Dörfer in den 1970er-Jahren partout nicht zusammengelegt werden. Wie kam es dennoch dazu? Ein Rückblick.

Remseck am Neckar - Es ist der Abend des 1. Juli 1974, um 19.30 Uhr, als vier Bürgermeister und ein Amtsverweser vor dem Stuttgarter Regierungspräsidium vorfahren. Ob das Auto mit quietschenden Reifen in den Hof einbiegt, ist nicht überliefert. Dass es die Herren eilig haben, gilt hingegen als gesichert. Die Türen der Behörde sind bereits geschlossen, also überreichen sie dem Pförtner einen Umschlag – viereinhalb Stunden bevor die Frist zur freiwilligen Gemeindefusion und damit auch die Chance auf 1,2 Millionen Mark verstreicht. Danach fahren sie in eine Gaststätte nach Mühlhausen, um die Aktion zu begießen. Es wird eine lange Nacht. Erst um drei Uhr morgens verabschieden sich die fünf voneinander.

Die Bürgermeister stehen den Gemeinden Aldingen, Hochdorf, Neckargröningen und Neckarrems vor, der Amtsverweser der Gemeinde Hochberg. Die Papiere, die sie dem Pförtner in die Hand drücken, sind der Antrag zum Zusammenschluss ihrer Dörfer, der mit dem 1. Januar 1975 offiziell wurde. So erzählt der langjährige Stadtarchivar Eduard Theiner von den Anfängen der Stadt Remseck am Neckar.

Freiwillig haben sich die Dörfer nicht zusammengetan

Mittlerweile bilden die fünf Orte mit Pattonville, das in den 90er-Jahren als sechster Stadtteil dazu kam, eine Große Kreisstadt, der an diesem 26. September – mehr als 45 Jahre nach der Gemeindefusion – ein weiterer historischer Tag ins Haus steht: die Eröffnung der neuen Stadthalle und damit verbunden die Einweihung der Neuen Mitte, wie das neue Remsecker Stadtzentrum heißt. Damit gehört die Phase, in der die Stadtverwaltung auf verschiedene Ortsteile verteilt war, endgültig der Vergangenheit an.

Dass es 1974 zu dem Fusionsantrag der Dörfer kam, darf dabei getrost als Meilenstein bezeichnet werden, denn „freiwillig haben sie sich nicht zusammengetan damals“, wie Theiner schmunzelnd erzählt. „Beinahe hätte es Remseck nicht gegeben“, sagt der 72-Jährige. Demnach einigte sich der Aldinger Gemeinderat an besagtem 1. Juli erst gegen 16.30 Uhr – schweren Herzens und nur unter der Bedingung, dass die Reformkommune vorläufig den Namen Aldingen trägt. Zuvor hatte sich die Ortsverwaltung lange quer gestellt: Als größte und reichste der fünf Gemeinden schreckte sie vor einer Fusion zurück. Auch die Angst, vom nur wenige Kilometer entfernten Stuttgart einverleibt zu werden, saß den damaligen Amtsträgern im Nacken. Aldingen wollte selbstständig bleiben.

Stadtflucht nach dem Zweiten Weltkrieg

Doch die damalige Landesregierung hatte andere Pläne. „Stuttgart blutet aus“ hieß es nach dem Zweiten Weltkrieg, als zahlreiche Menschen von der Großstädten aufs Land zogen. Nicht nur Mittelstädte profitierten von der Stadtflucht, sondern auch Dörfer. In Hochdorf beispielsweise verdoppelte sich Theiner zufolge die Anzahl der Einwohner zwischen 1961 und 1970 beinahe. Bloß: die Infrastruktur war dafür nicht ausgelegt. „Die Verwaltungen residierten bis in die 1960er-Jahre hinein in Rathäusern, von denen manche den Dreißigjährigen Krieg gesehen hatten“, sagte Theiner einmal.

Die Große Koalition unter dem damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU) und dem Innenminister Walter Krause (SPD) vollzog deshalb Ende der 1960er- bis Mitte der 1970er-Jahre eine Gebiets- und Verwaltungsreform, mit dem Ziel, kleine Gemeinden zu schlagkräftigen Verwaltungseinheiten zu bündeln. 1968 leitete sie die Kommunalreform mit einem Gesetz ein, das zu Gemeindezusammenschlüssen ermunterte. Verwaltungseinheiten in verdichteten Räumen sollten demnach mehr als 8 000 Einwohner haben. Später erhöhte die Landesregierung die Mindestanzahl gar auf 20 000.

Kooperationen zwischen den Orten gab es bereits

In manchen Bereichen arbeiteten die fünf Dörfer an der Remsmündung zu dieser Zeit bereits in Form diverser Zweck- und Dienstleistungsverbände zusammen. So hatten Hochberg, Neckargröningen und Neckarrems 1963 den Zweckverband Gruppenklärwerk Rems-Neckar gegründet, 1971 hatten sich alle fünf Orte zu einem Schulverband zusammengeschlossen. Auch in anderen Bereichen gab es Kooperationen – auch mit Poppenweiler: unter anderem bei der Müllabfuhr, beim Straßen-, Wasser- und Kanalleitungsbau.

Zunächst hatte man die Hoffnung, es würde bei der Zusammenarbeit in Form derartiger Zweckverbände bleiben. Bis die Landesregierung 1969 einen Entwurf formulierte, mit dem sie den Verbund der sechs Gemeinden anstrebte. Doch Poppenweiler sträubte sich vehement, mit teils „unrealistischen Szenarien“, was die Entwicklung der Einwohnerzahl betraf, wie Theiner sagt: So rechnete die Gemeinde damals damit, bis zum Jahr 1990 auf 12 000 Einwohnern anzuwachsen. Letztlich wurde der Ort von Ludwigsburg eingemeindet. Zuvor waren auch Dreierkombinationen im Gespräch, erzählt Theiner: Hochberg, Hochdorf und Poppenweiler als Einheit, Aldingen, Neckargröningen und Neckarrems als zweite. Doch bei beiden Kombinationen bestand die Gefahr, zu klein zu bleiben – und von Kornwestheim oder Ludwigsburg geschluckt zu werden. Das Innenministerium signalisierte zudem, dass es zwei Dreierlösungen nicht absegnen würde.

Viel Hin und Her

1973 legte die Landesregierung die endgültige Zielplanung vor, nach der es um Stuttgart herum statt der bisherigen 71 nur noch 23 Kommunen geben sollte. Im selben Jahr verabschiedete sie eine Wahlsperre für Bürgermeister und Gemeinderäte. Wahlen waren damit erst wieder im Frühjahr 1975 möglich. 1974 erließ die Landesregierung dann das dritte Gesetz zur Verwaltungsreform – und betonte, wie gut Aldingen, Neckargröningen, Neckarrems, Hochdorf und Hochberg doch zusammenpassten. „Da haben die Gemeinden gemerkt: Jetzt wird’s ernst“, sagt Theiner.

Hochberg, Hochdorf, Neckarrems und Neckargröningen stellten einen Fusionsentwurf auf die Beine – doch Aldingen scherte aus: „Aldingen war mit dem Herzen nicht dabei“, sagt Theiner. So wenig dabei offenbar, dass der Aldinger Bürgermeister Albert Erhardt am 14. Juni 1974 sogar noch einen Eingemeindungsvertrag mit dem Ludwigsburger Oberbürgermeister Otfried Ulshöfer unterschrieb, woraufhin es ihm der Hochdorfer Bürgermeister Richard Schneider nachtat. Doch die Rechnung ging nicht auf: Kurz darauf lehnte der Landtag die Eingemeindung der beiden Orte ab – und forderte erneut die Zusammenlegung der fünf Dörfer.

Historische Entscheidung kurz vor Fristablauf

So fuhren die höchsten Amtsträger von Hochdorf, Hochberg, Neckargröningen und Neckarrems am 1. Juli 1974 nach Aldingen, um den Bürgermeister Albert Erhardt doch noch zur Vernunft zu bringen – mit Erfolg. Der Rest ist bekannt: Ein paar Stunden später hetzten die fünf Männer zum Stuttgarter Regierungspräsidium.

Werner Kuhn, damaliger Amtsverweser von Hochberg und langjähriger Remsecker Kämmerer, war unter jenen, die damals in Erhardts Auto saßen. Er lacht, wenn er an den Tag zurückdenkt. „Ja, da hatten wir es wirklich eilig“, sagt der mittlerweile 76-Jährige. Lange habe man mit den Plänen der Landesregierung gehadert. Dann aber, auf der Fahrt nach Stuttgart, nachdem die Würfel gefallen waren, sei man sich nicht mehr böse gewesen, wie Kuhn erzählt. „Jetzt machen wir das Beste draus“, habe man sich damals vielmehr versichert. „Damit war das heutige Remseck die letzte aller freiwilligen Fusionen im Land“, sagt Theiner. Zweieinhalb Jahre später bekam die Stadt ihren heutigen Namen: Remseck am Neckar, nach der Burg, die einst über der Remsmündung thronte. 1992 schließlich kam der sechste Stadtteil hinzu: Nachdem die US-Streitkräfte Pattonville 1992 verließen, bekam Remseck einen Teil der Siedlung zugesprochen.

Keine Liebe auf den ersten Blick, aber nachhaltig

Bis die Stadtteile auch in den Köpfen der Bürger zusammenwuchsen, dauerte es eine Weile. In der Heimatkundlichen Schriftenreihe 10 Jahre Remseck am Neckar schreiben die Verfasser über diese Zeit: „Freilich soll gar nicht verschwiegen werden, dass das Zusammenfinden der ‚Fünf’ auch seine Geburtswehen hatte. Es ist wie bei den Menschen: Mit so manchem, mit dem man anfangs seine Schwierigkeiten hat, verträgt man sich nachher umso besser. ‚Liebe auf den ersten Blick ist nicht immer von Dauer, wie hinlänglich bekannt ist.’“

Remsecker befürworten neues Stadtzentrum

Mittlerweile scheinen sich die Remsecker denn auch recht wohl zu fühlen. Die Fusion insgesamt, da sind sich Theiner und Kuhn einig, ist gelungen. Als positiv nennt Kuhn den Anschluss an die Stadtbahn und den Stadtbus. Der Bau der Neuen Mitte werde von der Remseckern befürwortet, sagt Kuhn. Die Bürger treibe aber ein anderes Thema um: Der starke Verkehr über die Neckarbrücke. Dieses Problem will die Stadtverwaltung nun mit dem Bau der Westrandbrücke lösen. Am 15. November dürfen die Remsecker darüber abstimmen.

Und dann sagt Kuhn noch etwas, das die einstige Landesregierung sicherlich gefreut hätte: „Ich sehe mich an erster Stelle als Remsecker. Erst an zweiter als Neckargröninger oder Hochberger. Da gibt es mittlerweile überhaupt keine Probleme mehr.“