Der Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling rechnet nicht mit einer großen Schlappe für die Sieger von 2009 Foto: StN

Mit starken Zugewinnen der CDU im Stuttgarter Gemeinderat ist nach Meinung des Tübinger Politikwissenschaftlers Hans-Georg Wehling am 25. Mai nicht zu rechnen – mit einem dramatischen Abrutschen der 2009 mächtig erstarkten Grünen auch nicht, meint er im Interview.

Mit starken Zugewinnen der CDU im Stuttgarter Gemeinderat ist nach Meinung des Tübinger Politikwissenschaftlers Hans-Georg Wehling am 25. Mai nicht zu rechnen – mit einem dramatischen Abrutschen der 2009 mächtig erstarkten Grünen auch nicht, meint er im Interview.
 
Stuttgart - Herr Wehling, reden wir gleich mal über die spannendste Frage, die sich vor dieser Gemeinderatswahl stellt: Werden die Grünen in Stuttgart nach ihrem Höhenflug 2009 am 25. Mai von den Wählern wieder zurückgestutzt?
Ich bin kein Prophet, aber so viel kann ich, glaube ich, sagen: Die Grünen können froh sein, wenn sie ihren Stimmenanteil von 2009 halten können. Einen starken Rückgang erwarte ich freilich nicht. Wo sollten die Stimmen auch hingehen? Allenfalls zur Liste Stuttgart Ökologisch Sozial, die mit Hannes Rockenbauch ein politisches Talent hat. Und Herr Rockenbauch wird im Lauf der Zeit in seiner Programmatik auch noch realistischer werden.
Das Ergebnis 2009 war geprägt von der Hochphase des Streits um Stuttgart 21. Der ist abgeflaut. Spricht das nicht gleichermaßen für Stimmenverluste von Grünen und SÖS, die damals als Speerspitzen gegen S 21 galten?
Das Projekt spielt tatsächlich keine so große Rolle mehr. Die Bevölkerung nimmt es heute eher hin. Eine Rückenstärkung für die Grünen bedeutet diese Entwicklung nicht. Aber dramatische Negativwirkungen erwarte ich für sie auch nicht. Die montäglichen Protestreste sind nicht nur in Stuttgart anzusiedeln. Da reisen manche auch von außen an, weil das Baden-Württemberg-Ticket der Bahn günstig ist. Zum andern gibt es in der Bevölkerung auch das Denken, dass die Grünen nicht dran schuld sind, wenn der Tiefbahnhof jetzt gebaut wird. Jene, die sie noch dafür bestrafen möchten, dass das Projekt nicht verhindert wurde, könnten zur SÖS wandern. Aber das dürften nicht allzu viele Wähler sein.
Reicht es aus, damit die CDU wieder stärkste politische Kraft im Rathaus werden kann wie vor 2009?
Es kann sein, dass sie an den Grünen wieder vorbeizieht. Aber ich glaube nicht, dass sie sehr von der Entwicklung profitieren wird.
Es stellt sich ohnehin die Frage, ob die CDU mit ihrer bisherigen Politik zum Lebensgefühl in der Großstadt passt oder nicht? Denken wir nur mal an die Vorliebe für den Bau von Einfamilienhäusern auf den raren Bauflächen.
Der Landesvorsitzende Thomas Strobl verfolgt nicht ungeschickt und durchaus wahrnehmbar den Kurs, die CDU großstadtkompatibel zu machen. Das liegt nahe, da sie in keiner Großstadt im Land mehr den Oberbürgermeister stellt. Aber es ist doch klar, mit dem Bau von Einfamilienhäusern kann man in Stuttgart mangels Flächen nicht ernstlich Politik machen. Die Probleme sind hartnäckig, die Parteien ein Stück weit hilflos bei der Frage, wo es noch Flächen für bezahlbare Wohnungen gibt und wie der Feinstaub reduziert werden soll. Da sind die Möglichkeiten weitgehend ausgereizt.
Könnten Ihrer Erfahrung nach die Grünen einen OB-Bonus bekommen? Immerhin steht ja der Grünen-OB Fritz Kuhn stark im Blickpunkt der Öffentlichkeit.
Oberbürgermeister haben kaum Einfluss auf die Wahlentscheidung, wenn es um den Gemeinderat geht. Aber schaden tut es einer Partei meist nicht, wenn ein Mitglied von ihr auf dem OB-Sessel ist. Der OB kann Orientierungshilfe für Wähler bei der Stimmentscheidung sein. Gerade Fritz Kuhn hat seine Arbeit bisher ja auch nicht schlecht gemacht. Das läuft ziemlich glatt im Rathaus.
Inwiefern?
Er bildet Gesprächsrunden, verteilt Aufgaben an Bürgermeister und zieht Themen, die ihm wichtig sind, auch an sich. Widerspruch dagegen gibt es nicht. Und ich erkenne nicht, dass die CDU-Bürgermeister schlecht mit ihm kooperieren würden. Die Kunst eines Oberbürgermeisters ist es, einen Dissens in einen Konsens zu verwandeln. Das macht Kuhn nicht schlecht.
Und wo die Leute besonders unzufrieden sind, etwa mit neuen Einkaufszentren oder dem Städtebau im Europaviertel, kann er auf Schuldige in der Zeit vor dem Amtsantritt verweisen.
Richtig. Da waren manche Kuckuckseier schon gelegt, als Kuhn sein Amt am 7. Januar 2013 antrat. Den Unmut über diverse Zustände verstehe ich. Die albtraumhafte, menschenleere Gegend des Europaviertels hat nichts mit wirklicher Urbanität zu tun.
Das spricht in den Augen der Wähler aber nicht gegen Kuhn und die Grünen?
Man rechnet es Kuhn, glaube ich, nicht negativ an, dass er nicht von heute auf morgen überall Veränderung reinbringen kann. Die Grünen spekulieren meines Erachtens auch darauf, dass es einen positiven Effekt bei der Gemeinderatswahl hat, wenn Kopfplakate für den Regionalwahlkandidaten Kuhn in der Stadt aufgehängt werden.
Auch sonst hängen vor dieser Wahl ungewöhnlich viele Kopfplakate von Gemeinderatskandidaten, scheint uns.
Darin suchen die Parteien und Listenvereinigungen ihr Heil. Denn Stuttgart 21 ist als Thema verbraucht, die Parteien haben wenig eigenes Profil, und im Stuttgarter Rathaus kommen sie außerdem recht gut miteinander aus. Man kann sich darüber hinaus schon fragen, was die Kopfplakate – ganz gleich von welcher Gruppierung – überhaupt sollen, welche Botschaft sie in einer Großstadt bringen sollen oder können. Die spontanen Reaktionen des Publikums sind wohl eher: schön oder hässlich, sympathisch oder unsympathisch.
Was würden Sie vorziehen?
Flyer, ja selbst die Wahlzettel sind da aussagekräftiger: Man erfährt, welchen Beruf die Kandidaten haben und wo sie wohnen. Was zum Beispiel heißt: Welche Kandidaten kennen sich mit den Problemen meiner Wohngegend aus? Parteizugehörigkeit ist selbst in einer Großstadt eher zweitrangig, von daher wird man auch nicht allzu viel in das Wahlergebnis hineininterpretieren dürfen.