Der Bonus-Markt auf der Rohrer Höhe kämpft ums Überleben Foto: Leif Piechowski

Zwischen dem Versprechen der Stadtverwaltung und dem Vollzug sind fast 14 Monate vergangen. Jetzt gibt die Stadt Stuttgart zusätzliche Anreize, damit die Lücken bei der Nahversorgung mit Lebensmitteln geschlossen werden. Der Jubel darüber ist bescheiden.

Stuttgart - Der Gemeinderat von Stuttgart hat jetzt ein kommunales Beschäftigungsprogramm zur Förderung der Nahversorgung beschlossen. Späte Folge eines Versprechens der Stadtverwaltung: Im Juni 2014 hatte Finanzbürgermeister Michael Föll (CDU) auf der Mittendrin-Veranstaltung unserer Zeitung einen städtischen Zuschuss für Nahversorger angekündigt, die in einem wirtschaftlich unrentablen Umfeld einen Laden betreiben. Föll wörtlich: „Einen kommunalen Lohnkostenzuschuss halte ich für einen sinnvollen Ansatz.“

So wollte er der schlechter werdende Nahversorgung in Stuttgarter Stadtbezirken begegnen. Denn ungefähr 120 000 Einwohnern fehlt ein Lebensmittelladen, den sie fußläufig erreichen können. Die Lücke zu schließen, ist ein wichtiger Faktor der Daseinsvorsorge in einer alternden Gesellschaft.

Nun hat Föll jenes Wort gehalten, das er auf der Mittendrin-Veranstaltung unserer Zeitung im Juni 2014 gegeben hatt. Nun soll also jenes kommunale Beschäftigungsprogramm die Nahversorgungsprobleme der Stadt zumindest lindern. Es sieht vor, dass mit Bundesmitteln und zusätzlichen Zuschüssen der Stadt bis zu 20 Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose bei gemeinnützigen Unternehmen finanziert werden.

Vollsortimenter müssten umgestimmt werden

Dennoch war die Begeisterung über das Paket, das vergangene Woche im Gemeinderat geschnürt wurde, bei den Stadträten nicht besonders groß. Zwar stimmten sie ausnahmslos dem Programm zur Verbesserung der Nahversorgung zu, aber keine Fraktion sieht darin eine Patentlösung. Das Programm sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein, urteilte Christoph Ozasek von der Fraktionsgemeinschaft SÖS/Linke-plus. Man erwarte ein umfangreicheres Konzept. Die Verwaltung müsse Vollsortimenter umstimmen, die sich gern an autogerechten Standorten niederlassen, Kaufkraft aus anderen Bereichen abziehen und dort die Nahversorgung gefährden würden. Andrea Münch (Grüne) verlangte, dass die zuständigen Referate der Verwaltung ihre „inhaltlichen Differenzen“ überwinden und an einem Strang ziehen.

Am vehementesten übte SPD-Wirtschaftsexperte Hans H. Pfeifer Kritik. Am meisten ärgerte er sich darüber, dass der Gemeinderat ohne verlässliche Fakten entscheiden musste. Gemeint ist ein Gutachten mit dem Namen „Nahversorgung konkret“, das die Probleme der zwölf am schlimmsten betroffenen Stadtbezirke untersuchte. Pfeifer: „Statt dem Gemeinderat dieses Gutachten vorzulegen, macht Herr Föll daraus eine geheime Verschlusssache.“ Selbst Fölls Ankündigung, das Gutachten nach der Sommerpause zu präsentieren, besänftigte den ehemaligen City-Manager nicht: „Dieses Beschäftigungsprogramm zeigt zwar den guten Willen, aber es ist unterm Strich ideen- und fantasielos.“

Pfeifer fehlen die konkreten Vorschläge. Zum Beispiel die Frage, wie vorhandene Strukturen, etwa Bäckereien oder Metzgereien, ihr Sortiment mit Hilfe von Lieferanten erweitern können. Pfeifer ist bewusst, dass gerade kleinere Läden keine Chance haben , bei den Großen der Branche Waren zu beziehen. Edeka oder Rewe liefern erst ab einem Mindestumsatz von rund 500 000 Euro pro Monat. „Wenn ich solche Probleme lösen will“, so Pfeifer, „muss ich als Kommune Geld in die Hand nehmen.“

Kaum rentabel zu wirtschaften

Damit eröffnet Pfeifer jedoch eine ganz andere Diskussion: Wie stark darf oder soll eine Kommune ordnungspolitisch in den Markt eingreifen? Das ist eine Frage, die weit über die Nahversorgung hinausgeht. Wie vor einiger Zeit die Diskussion, was die Stadt tun kann oder tun muss, damit ein Café nicht schließt und der Marktplatz belebt bleibt.

Eine „direkte monetäre Förderung“, die noch weiter geht als das neue Beschäftigungsprogramm, lehne die CDU ab, verkündete deren Stadtrat Joachim Rudolf in den zuständigen Ausschüssen. Sibel Yüksel sagte, die FDP wolle auch Lücken schließen, aber keine unmittelbare Konkurrenz zu privaten Wirtschaftsunternehmen aufbauen. SPD-Mann Pfeifer dagegen versteht die Furcht nicht, die er aus den Äußerungen der CDU heraushört: die Furcht, dass man wettbewerbsverzerrender „Beihilfen“ gescholten werden könnte. In anderen Kommunen sehe man solche „Beihilfeprobleme“ offenbar nicht, sagte Pfeifer.

Klar ist dagegen: Aus den zwölf Brennpunkt-Bezirken haben sich die klassischen Lebensmittel-Anbieter deshalb verabschiedet, weil dort kaum rentabel zu wirtschaften ist. Der Betrieb des Bonus-Marktes auf der Rohrer Höhe kann beispielsweise nur durch Querfinanzierung aus dem Gesamtsystem Bonus oder durch Spenden aufrechterhalten werden. Pfeifer empfiehlt daher, auf Grundlage von Expertisen des Handelsverbandes „genau hinzusehen, wo sich ein Betrieb rechnet und wo nicht“. Dort, wo ersichtlich ist, dass kommunale Unterstützung nicht den Wettbewerb aushebelt, sei sie gerechtfertigt. „In München gibt es solche Subventionen schon“, ergänzt Pfeifer.

Was aber will Föll über das vorgelegte Beschäftigungsprogramm hinaus? „Es gibt nicht den einen Lösungsweg, um Defizite bei der Nahversorgung zu beseitigen“, sagte er. Auf der Rohrer Höhe brauche man das neue Programm, um den Bonus-Markt zu erhalten. Im Stadtteil Schönberg könne vielleicht nur ein mobiler Händler helfen, der ein- oder zweimal die Woche komme. In dem Gutachten würden „keine revolutionären Dinge“ vorgeschlagen, sondern unterschiedlichste Instrumente aufgeführt, beugte Föll Enttäuschungen vor. Weiter ließ er sich noch nicht in die Karten blicken.