Grübelei in der Kabine: Manche blicken bei der Unechten Teilortswahl kaum durch. Foto: dpa

SPD, Grüne, FDP und die Linken wollen den bisherigen Wahlmodus abschaffen und beantragen eine Informationsveranstaltung – die Entscheidung ist vertagt worden.

Sindelfingen - Ist die Unechte Teilortswahl überhaupt noch sinnvoll, und welche Vor- und Nachteile hat sie? In einem interfraktionellen Antrag sprachen sich die Parteien im Sindelfinger Gemeinderat mit Ausnahme der CDU und den Freien Wählern dafür aus, den Wahlmodus zu hinterfragen mit dem Ziel, ihn letztlich aufzugeben. Dazu schlugen sie eine Informationsveranstaltung für die Bürger vor, damit sich jeder ein eigenes Bild von dem komplizierten Verfahren machen kann, das einen hohen Zeit- und Personalaufwand bedeutet. Betroffen sind nicht zuletzt die Organisatoren der Kommunalwahlen bis hin zu denjenigen, welche die Stimmzettel auszählen müssen.

Ein Kandidat mit weniger Stimmen als andere erhält Mandat

Die Unechte Teilortswahl ist eine Sonderregelung im baden-württembergischen Kommunalwahlrecht, die eine ausreichende und garantierte Repräsentation einzelner Teilorte oder Wohnbezirke im Gemeinderat sichern soll. Sie wurde mit der Gemeindereform 1972 eingeführt. Dabei können Kandidaten auf der Wahlliste eines Teilorts oder Wohnbezirks von allen Stimmberechtigten der Gesamtgemeinde gewählt werden. So kann ein Kandidat, der weniger Stimmen erhält als ein anderer, in die Gremien einziehen kann, weil sein Ortsteil eine garantierte Zahl von Sitzen hat. Deshalb spricht man von Unechter Teilortswahl.

40 Stimmen hat jeder Wähler in Sindelfingen, um die Stadtparlamentarier zu bestimmen. Zu vergeben sind sie für 29 Sitze aus der Kernstadt sowie für acht aus dem Ortsteil Maichingen und drei aus dem Ortsteil Darmsheim. Pro Kandidat dürfen bis zu drei Stimmen abgegeben werden. Und zwar auf den Listen der Parteien und Wahlgruppierungen, die maximal so viele Kandidaten aufbieten dürfen wie Plätze im Kommunalparlament zu vergeben sind.

SPD: Wahl soll bürgerfreundlicher sein

„Für viele Wähler ist das Ganze viel zu wenig zu durchschauen“ – so jedenfalls lautet der Tenor bei der SPD, den Grünen, der FDP und der Linken. Zwar dürfen weniger Stimmen als 40 abgegeben werden, aber auf jeden Fall nicht mehr. Letzteres ist jedoch zu oft der Fall, wie die Kritiker monieren, dann ist der Wahlzettel ungültig. „Es kommt bei der Unechten Teilortswahl doppelt so oft vor wie bei einem einfachen Wahlmodus“, bilanziert Tobias Bacherle (Grüne). In Sindelfingen waren bei der letzten Kommunalwahl 4,6 Prozent der Wahlscheine ungültig.

„Dazu kommt auch noch etwa das Panaschieren. Wenn der Wähler einen Kandidaten von der einen auf eine andere Liste setzt und ihm dort seine Stimmen gibt. Das macht die Sache noch komplizierter“, sagt der Sozialdemokrat Andreas Schneider-Dölker. Im Sinne von mehr Bürgerfreundlichkeit müsse das unechte Verfahren abgeschafft werden.

Zurzeit keine Mehrheit für die Abschaffung

Was dies bedeuten würde, kann kaum jemand vorhersehen. Einige Annahmen gibt es aber schon. Zum Beispiel ist die CDU in Maichingen recht stark. „Wenn die Mandate nicht begrenzt sind, könnte von den Christdemokraten wohl ein Kandidat mehr gewählt werden“, erklärte Schneider-Dölker. Wahrscheinlich ist auch, dass es bei einer Abschaffung der garantierten Sitze weniger Ausgleichsmandate gibt und das Kommunalparlament dadurch kleiner wird. Solche Mandate werden vergeben, wenn eine Partei zwar ein besseres Stimmergebnis erzielt hat, aber auf Grund der garantierten Verteilung weniger Sitze bekommt als eine Partei mit einem schlechteren Wahlergebnis.

Die Kritiker der Unechten Teilortswahl müssen momentan zwar davon ausgehen, dass sie für ein Ende des bisherigen Wahlprozederes im Gemeinderat keine Mehrheit finden. Votieren die CDU und die Freien Wähler geschlossen für die Beibehaltung, haben die Gegner keine Chance. Mit der Frage werden sich nun jedoch die Ortschaftsräte beschäftigen.

Die Initiative, eine Neuerung einzuführen, sollte aus deren Mitte kommen. Diese Auffassung vertritt etwa Walter Arnold, der CDU-Fraktionssprecher. Außerdem solle man „nicht kurz vor knapp“ vor der Kommunalwahl im nächsten Jahr dieses Thema angehen. Dennoch wird es im Gemeinderat demnächst erneut auf die Tagesordnung kommen. Ob es letztlich doch eine Informationsveranstaltung für die Bürger gibt, bleibt offen.

Verzicht auf garantierte Sitze führt kann zu kleineren Gremien führen

Landkreis:
In Leonberg wurde im Jahr 2000 die unechte Teilortswahl abgeschafft. Dies führt mitunter zur Verkleinerung der Gremien. In Leonberg wurde der Gemeinderat auf 32 Sitze reduziert. Davor hatte er 40 Sitze, mit Ausgleichsmandaten bis zu 46 Sitze. In Böblingen gibt es diese Wahl noch, sie war in den Gremien bisher kein Thema. In Herrenberg fand im Jahr 2013 ein Bürgerentscheid statt. 58,4 Prozent stimmten für die Abschaffung der unechten Teilortswahl. In Gärtringen legten sie der Ortschaftsrat und der Gemeinderat im Jahr 2015 ad acta.

Region
: Im Kreis Esslingen wird der Wahlmodus in Kirchheim für die Stadtteile Nabern und Jesingen angewandt. Im Rems-Murr-Kreis gilt er in Berglen mit seinen 21 Teilgemeinden, Höfen und Wohnplätzen. Bei der Zusammenlegung der Gemeinden Beutelsbach, Endersbach, Großheppach und Schnait im Jahr 1974 wurde die Kommune Weinstadt gebildet und die unechte Teilortswahl eingeführt. Im Kreis Ludwigsburg wird sie auch in Markgröningen praktiziert. Vaihingen/Enz hat sie im Jahr 2010 abgeschafft.